Viele Dinge trieben sie um. Heimlich zerschnitt sie Leichen, man fand genug davon, der Krieg dauerte schon so lange, dass es alte Menschen gab, die noch nie Frieden gesehen hatten. Sie beschäftigte sich mit den Muskeln, den Fasern, den Nerven, zwischendurch gebar sie ihrem Mann fünf Kinder, von denen drei die Geburt überlebten, aber dann fiel ihr ein Ziegelstein auf den Kopf. Gott hatte das nicht geplant, kein Schicksal hatte es herbeigeführt, bloß der Dachdecker war unfähig gewesen, und sie kam nie zurück.
Ihr Vater war zunächst Wegelagerer gewesen. Seine Mutter hatte ihn ausgesetzt, er war von einem Bauernpaar aufgezogen worden, die einen billigen Knecht brauchten. Sie gaben ihm wenig zu essen, und er machte sich bald davon.
Es gab unvorstellbar viel Wald. In ihm herrschte kein Gesetz, und wer ihn durchqueren musste, den beschützte Gott nicht, und dem half kein Fürst. Eine Zeitlang bestahl er Reisende und schlief in Erdlöchern, aber eines Tages stand er unversehens vor einer Hexe: einem scheußlichen Wesen voller Haare und Warzen, ein Drittel Frau, ein Drittel Mann, ein Drittel horniges Wildschwein. Sie fraß ein kleines, blutiges Ding, ein Rehkitz vielleicht, womöglich auch ein Menschenkind, er wagte nicht hinzusehen. Die Hexe hob den Kopf, ihre Augen waren giftgrün, die Pupillen nur ein Punkt. Er begriff, dass sie ihn bis ins Innerste erkannt hatte und dass sie ihn nicht vergessen würde. Er rannte los. Sein Atem ging rasselnd. Äste schlugen ihm ins Gesicht, es wurde Nacht und wieder Tag. Außer sich vor Erschöpfung, erreichte er eine ummauerte Stadt.
Dort ließ er sich nieder und arbeitete als Verwalter von Häusern, Gütern, Feldern. Er zeugte neun Kinder, von denen drei Mädchen die Geburt überlebten. Er gewann Freunde und verdiente Geld und lebte, als hätte er vergessen, dass er verdammt war. Seine Töchter unterrichtete er wie Söhne und war stolz auf sie. Sie heirateten und schenkten ihm Enkel. Die Familie war gut katholisch, weil die Stadt gut katholisch war, jeden Sonntag ging er zur Kirche und bezahlte den Priester für sein Seelenheil. Man sagte, dass es Krieg geben werde, aber er glaubte nicht daran. Und eines Nachts stand die Hexe doch vor ihm, er sah sie deutlich, obgleich es stockdunkel war im Zimmer und sie selbst noch dunkler als die Dunkelheit. Sie fanden ihn am nächsten Morgen. Er kam nie zurück.
Sein Vater war Hauslehrer im Dienst eines Grafen Schulenburg. Der Graf hatte eine Tochter, es gab heimliche Briefe, Schwüre und Pläne zu einer Flucht übers Meer, wo angeblich neues Land gefunden worden war, was aber auch ein Märchen sein konnte, wie sollte man das wissen. Ihr Schicksal kam den beiden so wichtig vor, als stünde es in einem Buch.
Aber als das Mädchen schwanger wurde, fingen den Hauslehrer zwei Männer auf der Straße ab und schlugen ihn mit Eisen, bis er tot war. Sie gebar heimlich, das Kind wurde ausgesetzt, sie musste einen Landadeligen heiraten, der nie erfuhr, dass er nicht der Erste gewesen war.
Nach einigen Jahren zog sie sich ins Kloster Passau zurück, wo sie Aristoteles’ Buch über die Wolken kommentierte. Gott, erläuterte sie, sei nicht außerhalb der Welt, er sei die Welt selbst, die deshalb auch ohne Anfang sei und ohne Ende; außerdem könne man Gott weder gut nennen noch schlecht, er sei die Fülle aller Dinge, weshalb es auch weder Zufall gebe noch Fügung, denn die Welt sei kein Theaterstück. Man würde sie heute noch kennen, hätten sich nicht die Milben über das Manuskript hergemacht.
Der Vater des glücklosen Hauslehrers war Priester. Das war nicht schlimm, Luther hatte seine Thesen noch nicht angeschlagen, die Heilige Kirche war gelassen. Er hatte viele Kinder. Pestkranken gab er die Letzte Ölung, dann ließ er sie zur Ader, und durch den Blutverlust starben sie noch schneller.
Es war eine laue Zeit für den großen Tod. Die Beulenpest war im Abklingen, die schwersten Ausbrüche fanden weiter südlich statt, aber dann steckte er sich doch am Blut der Kranken an. Er hatte es erwartet, kaum einer, der mit Pestkranken zu tun hatte, überlebte lange, fast mit Erleichterung machte er sich ans Sterben. An seinem Bett tauchte ein einäugiger Mann mit nur einem Bein auf, uralt und verwittert, der ihm eine schwere Hand auf die Schulter legte und Unverständliches zuraunte. Es schien, als hätte er die Menschensprache verlernt. Murmelnd und hüpfend zog er seiner Wege.
Der Vater des Priesters war Bauer, wohlhabend und mit viel Land. Er war fröhlichen Gemüts, ohne zu wissen, warum. Gerne spielte er mit seinen Kindern. Etliche davon starben, und wenn er an ihren kleinen Gräbern stand, dachte er, dass es ein guter Brauch sei, Kinder nicht zu früh zu lieben.
Er verließ sein Gut nie. Ohne sich zu beschweren, zahlte er Abgaben an die Obrigkeit. Zuweilen zogen Menschen vorbei, die kamen von anderen Orten und wollten anderswohin, aber sie schienen ihm unwirklich wie Gespenster. Einmal tauchte ein alter Mann auf, dem ein Auge fehlte und ein Bein; der behauptete, mit ihm verwandt zu sein. Er blieb einige Wochen, aß viel und erschreckte nachts die Knechte mit seinem Geschrei. Dann hüpfte er auf seinen Krücken davon.
Eines Nachts überfiel den Bauern das Gefühl, dass jemand ihn verflucht hatte, und er bekam solche Angst, dass er keinem mehr in die Augen sehen wollte, nicht seiner Frau, nicht seinem Gesinde und auch nicht den Kindern. Eine Zeitlang plagte die Lust ihn schwer, aber er wusste, dass er ihr zu widerstehen hatte, um nicht in die Hölle zu kommen. Er widerstand nicht. Dann widerstand er eine Weile, dann widerstand er wieder nicht. Als er starb, weinte er sehr, aus Angst vor der Hölle. Sein ältester Sohn, gerade zum Priester geweiht, hätte gern gewusst, wie es seines Vaters Seele denn nun ergangen war, aber er kam nie zurück, und keiner erfuhr es.
Auch sein Vater war Bauer. Er verließ sein Gut nie. Zuweilen zogen Menschen vorbei, die kamen von anderen Orten und wollten anderswohin. Er wollte das nicht.
Auch sein Vater war Bauer. Er verließ sein Gut nie. Zuweilen zogen Menschen vorbei, die kamen von anderen Orten und wollten anderswohin. Er wollte das nicht.
Auch sein Vater war Bauer. Er verließ sein Gut nie. Zuweilen zogen Menschen vorbei, die kamen von anderen Orten und wollten anderswohin. Er wollte das nicht.
Auch sein Vater war Bauer. Er verließ sein Gut nie, er wollte nicht anderswohin, er verstand nicht, warum Leute unterwegs waren, als gäbe es nicht überall die gleichen Bäume, Hügel und Seen. Er bestellte sein Land, vermied es, seine Schwestern zu sehen, starb früh und kam nie zurück.
Auch sein Vater war Bauer. Er verließ sein Gut nie und hatte viele Kinder. Zwei davon kamen zugleich auf die Welt, es waren Mädchen, die einander so ähnlich sahen, als wären sie ein und dieselbe Person. Teufelswerk, rief er. Auch der Priester sagte, dass es damit keine gute Bewandtnis habe, und seine Frau rief die Gnade des Herrgotts an. Aber er brachte es nicht über sich, sie zu ersäufen. Und so wuchsen die Mädchen heran und heirateten Bauern im nahen Dorf. Er gab ihnen gute Mitgift. Ihre Kinder sahen einander gar nicht ähnlich.
Sein Vater war ein Wanderer, ein Magier, Zähnereißer und Betrüger. Der Pest war er davongelaufen, bei Köln hatte er sich vor einer großen Menschenmenge in die Luft erhoben und war dreimal um den noch unvollendeten Dom gekreist. Später erzählte man allerhand Geschichten darüber, wie er es vorgetäuscht habe, aber in Wahrheit ist das Fliegen nicht schwer, wenn man weder Skrupel hat noch Furcht und außerdem verrückt ist. Bei Ulm bezichtigte ihn ein Kaufmann, er habe ihm Geld gestohlen, und das war auch so, doch er wusste, dass man nur schneller rennen musste als die Dummköpfe, dann drohte einem nichts. Bei irgendeinem Dorf zwischen besonders hohen Bäumen zeugte er ein Kind. Er sah es nie, seinen eigenen Vater hatte er ja auch nicht gekannt.
So verging seine Zeit. Manche sagten, dass er bei Palästina erschlagen worden sei, andere wollten wissen, dass er am Galgen geendet habe, und nur ein paar wenige behaupteten später, dass er noch lebe, da man jeden töten könne, nicht aber einen wie ihn.