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Sie stiegen aus. Leuchtröhren verbreiteten fahles Licht. Eric verschränkte die Arme und starrte auf den Boden.

«Du glaubst nicht an Hypnose?», fragte Iwan.

«Ich glaube, dass man Menschen alles einreden kann», sagte Arthur.

Sie betraten die Liftkabine, die Türen schlossen sich, Eric kämpfte gegen seine Panik an. Was, wenn das Seil riss? So etwas war schon passiert, es würde wieder passieren, irgendwann und irgendwo, also warum nicht hier? Endlich hielt der Lift, die Türen öffneten sich, sie gingen auf das Theater zu. Der große Lindemann, stand auf einem Spruchband, Meister der Hypnose. Nachmittagsvorstellung. Auf einem Plakat war ein unscheinbarer Herr mit Brille zu sehen, der sich sichtlich bemühte, düster und durchdringend zu blicken. Schatten lagen auf seinem Gesicht, die Beleuchtung war theatralisch, es war ein schlechtes Foto. Lindemann, stand daneben, lehrt Sie, Ihre Träume zu fürchten.

Ein junger Mann überprüfte gähnend ihre Eintrittskarten. Sie hatten gute Plätze, weit vorne, in der dritten Reihe. Das Parkett war fast voll, auf den Rängen saß niemand. Iwan blickte zur überladen verzierten Decke auf und fragte sich, wie man das wohl malen könnte. Geschickt hatte der Künstler das Auge getäuscht und ein Gewölbe vorgegaukelt, das nicht da war. Wie zeichnete man so etwas ab, wenn man zeigen wollte, dass da in Wirklichkeit kein zweiter Raum war, sondern bloß Vortäuschung? In den Büchern stand so etwas nicht.

Keiner konnte einem helfen. Kein Buch, kein Lehrer. Alles Entscheidende musste man aus eigener Kraft lernen, und gelang es nicht, hatte man sein Leben verfehlt. Iwan fragte sich oft, wie Leute, die nichts Besonderes konnten, das Dasein eigentlich ertrugen. Er sah, dass seine Mutter sich ein anderes Leben wünschte und dass sein Vater stets anderswo war mit den Gedanken. Er sah, dass seine Lehrer in der Schule traurige kleine Seelen waren, und natürlich wusste er von den Erscheinungen, die Eric quälten. Wann immer er in einen von Erics Träumen geriet, fand er sich an einem dunklen und stickigen Ort, an dem man nicht sein wollte. Er sah auch Martin, der zu schwach war und zu viel allein mit seiner Mutter. Iwan seufzte. Hypnose interessierte ihn nicht, er wäre gern wieder daheim gewesen, um zu zeichnen. Nur endlich besser zeichnen, das war das Einzige, was zählte, etwas anderes wollte er nicht.

Das Licht wurde schwächer, das Murmeln erstarb. Der Vorhang öffnete sich. Lindemann stand auf der Bühne.

Er war füllig und hatte eine Glatze, die durch ein paar über die Kahlheit seines Schädels gelegte Haare nur noch stärker ins Auge fiel, und er trug eine schwarze Hornbrille. Sein Anzug war grau, in der Brusttasche steckte ein grünes Tüchlein. Ohne Gruß, ohne Verbeugung begann er, mit leiser Stimme zu sprechen.

Hypnose, sagte er, sei kein Schlaf, vielmehr sei sie ein Zustand nach innen gerichteter Wachheit, nicht Willenlosigkeit, sondern Selbstermächtigung. Man werde heute Erstaunliches sehen, aber niemand brauche sich Sorgen zu machen, denn bekanntlich könne kein Mensch gegen seinen Willen hypnotisiert werden, und niemand sei je durch Hypnose dazu gebracht worden, etwas zu tun, das er im Grunde seiner Seele zu tun nicht bereit sei. Er schwieg einen Moment und lächelte, als hätte er einen schwer verständlichen Witz gemacht.

Eine schmale Treppe führte von der Bühne in den Zuschauerraum. Lindemann stieg herab, rückte an seiner Brille, sah sich um und ging durch den Mittelgang. Offensichtlich entschied er jetzt, welche Zuschauer er auf die Bühne holen würde. Iwan, Eric und Martin senkten die Köpfe.

«Keine Sorge», sagte Arthur. «Er nimmt nur Erwachsene.»

«Dann vielleicht dich.»

«Bei mir funktioniert es nicht.»

Man stehe vor großen Ereignissen, sagte Lindemann. Wer nicht mitmachen wolle, der müsse nichts befürchten, dem werde nicht zu nahe getreten, der bleibe verschont. Er erreichte die letzte Reihe, lief erstaunlich behände zurück und sprang auf die Bühne. Zu Anfang, sagte er, etwas Leichtes, ein Scherz nur, eine Kleinigkeit. Die ganze erste Reihe, bitte herauf!

Ein Murmeln ging durch den Saal.

Ganz recht, sagte Lindemann, die erste Reihe. Alle. Bitte schnell!

«Was macht er, wenn jemand sich weigert?», flüsterte Martin. «Wenn jemand einfach sitzen bleibt, was dann?»

Alle Leute in der ersten Reihe standen auf. Sie flüsterten miteinander und blickten unwillig um sich, aber sie gehorchten und stiegen auf die Bühne.

«In einer Reihe aufstellen!», kommandierte Lindemann. «An den Händen nehmen.»

Zögernd taten sie es.

Man werde einander nun nicht mehr loslassen, sagte Lindemann, während er an der Reihe entlangging, man wolle nicht, deshalb tue man es nicht, und weil man nicht wolle, könne man nicht, und da man nicht könne, sei es nicht falsch, zu behaupten, man hafte aneinander. Beim Sprechen fasste er da und dort hin und berührte Hände. Ganz fest, sagte er, die Hände ganz fest, ganz fest, niemand falle heraus, keiner könne loslassen, ganz fest, unauflöslich. Wer wolle, möge es jetzt versuchen.

Keiner ließ los. Lindemann wandte sich zum Publikum, es gab zaghaften Applaus. Iwan beugte sich vor, um die Gesichter der Leute auf der Bühne besser zu sehen. Unentschlossen sahen sie aus, geistesabwesend und wie erstarrt in einer Verkrampfung des Willens. Ein kleiner Mann presste die Kiefer aufeinander, einer Dame mit Haarknoten zitterten die Hände, als hätte sie vor, sich loszureißen, fände aber dafür sowohl den Griff ihres Nachbarn als auch den eigenen zu fest.

Er werde bis drei zählen, sagte Lindemann, dann würden alle Hände sich lösen. «Also eins. Und zwei. Und …» Er hob langsam die Hand, sagte: «Drei!», und schnippte.

Unentschieden, beinahe widerwillig, ließen sie los. Verlegen betrachteten sie ihre Hände.

«Jetzt aber schnell wieder hinsetzen», sagte Lindemann. «Schnell hinunter, schnell!» Er klatschte in die Hände.

Die Frau mit dem Haarknoten war blass und schwankte beim Gehen. Lindemann fasste sie sanft am Ellenbogen, führte sie zur Treppe und sprach leise auf sie ein. Als er sie losließ, bewegte sie sich sicherer, ging die Stufen hinab und erreichte ihren Platz.

Das sei ein kleines Experiment gewesen, sagte Lindemann, ein Scherz für den Anfang. Nun etwas Ernsthaftes. Er trat an die Rampe, nahm seine Brille ab und kniff spähend die Augen zusammen. «Der Herr da vorne im Pullover und der Herr gleich dahinter und Sie, junge Frau, bitte herauf!»

Gequält lächelnd stiegen die drei auf die Bühne. Die Frau winkte jemandem, Lindemann wiegte missbilligend den Kopf, sie ließ es sein. Er stellte sich neben den Ersten von ihnen, einen groß gewachsenen Mann mit Bart, und hielt ihm die Hand vor die Augen. Eine Weile sprach er ihm ins Ohr und rief plötzlich: «Schlaf!» Der Mann kippte um, Lindemann fing ihn auf und legte ihn auf dem Boden ab. Dann trat er zu der Frau daneben, und es geschah das Gleiche. Ebenso bei dem anderen Mann. Sie lagen reglos.

«Und nun seid glücklich!»

Er müsse das erläutern. Lindemann drehte sich zum Saal, nahm seine Hornbrille ab, zog das grüne Stecktuch aus seiner Brusttasche und begann, sie zu putzen. Man kenne ja zur Genüge die albernen Suggestionen, welche mittelmäßige Hypnotiseure – Pfuscher und Wichtigtuer ohne Talent, wie es sie in jeder Profession im Übermaß gebe – ihren Probanden gern einflößten: Eiseskälte etwa oder Hitze, körperliche Starre, Phantasien von Flug oder Fall, gar nicht zu reden vom allseits beliebten Vergessen des eigenen Namens. Er stockte und blickte nachdenklich in die Luft. Heiß sei es hier, nicht wahr? Schrecklich heiß. Was da denn wohl los sei? Er tupfte sich die Stirn ab. Solche Albernheiten, wie gesagt, habe man oft genug gesehen, die werde er kurzerhand überspringen. Mein Gott, sei das heiß!