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Ich trat zurück, wütend halb und halb voll Angst, aber ich konnte nicht antworten. Sein Lächeln wuchs und wuchs, bis es mein Blickfeld füllte.

«Du kannst, was man können muss, aber du bist leer. Hohl bist du.» Er kicherte hoch und spitz. «Geh jetzt. Geh in Unfrieden. Geh und schaffe nicht. Geh!»

Als ich zu mir kam, lag ich im Halbdunkel des Schlafzimmers und konnte nicht verstehen, worüber ich so tief erschrocken war. Ich schlug die Decke zurück. Darunter kauerte, gerollt zu einem Menschenball, mit spiegelnder Brille Lindemann. Und während er kicherte, erwachte ich ein zweites Mal, im selben Zimmer, und schlug mit klopfendem Herzen die Decke zurück, aber diesmal war ich allein und wirklich wach.

Er hatte recht, das wusste ich. Aus mir würde nie ein Maler werden.

Jetzt fällt mir sein Name ein, er heißt Sebastian Zöllner. Ich frage ihn, wohin er fährt. Nicht, dass es mich interessieren würde, aber wenn man sich flüchtig kennt und in der U-Bahn nebeneinandersitzt, muss man auch miteinander plaudern.

«Zu Malinowski. Ins Atelier.»

«Wer ist Malinowski?»

«Ja genau. Eben! Wer ist das eigentlich! Aber das Circle-Magazin bringt eine Geschichte über ihn, und wenn die erscheint, zieht art monthly sofort nach, und dann ruft mich noch am selben Tag der Chef zu sich und fragt, warum wir das schon wieder verpasst haben. Also mache ich den ersten Schritt.»

«Und wenn Circle nichts bringt?»

«Die bringen dann sicher was, weil ich ja etwas gebracht haben werde. Und ich werde schreiben, dass es eine Schande ist, wenn einer wie Malinowski nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Dass bei uns Lautstärke immer über Qualität triumphiert, das werde ich schreiben, gut? Lautstärke über Qualität. Gut? Spätestens dann macht sich Humpner bei art monthly gewaltig in die Hose, dann ziehen die auch nach, und schon bin ich Malinowskis Entdecker. Das ist der Vorteil, wenn man für eine Tageszeitung schreibt und nicht für ein Magazin, das mit zwei Monaten Vorlauf produziert. Man kriegt raus, was die vorhaben, und ist schneller.»

«Welche Art von Kunst macht er?»

«Wer?»

«Malinowski.»

«Das weiß ich doch nicht. Deshalb fahre ich ja hin. Um das herauszufinden.»

Aufgedunsen sitzt er neben mir, unrasiert, kaum noch Haare auf dem Kopf und das Jackett so zerknittert, als hätte er darin geschlafen. In der mittelalterlichen Kunst entspricht das Aussehen der Menschen ihren Seelen: die Bösen hässlich, die Guten schön. Das neunzehnte Jahrhundert hat uns beigebracht, das sei Unsinn. Aber mit ein bisschen Lebenserfahrung merkt man, es ist gar nicht so falsch.

«Waren Sie bei der Khevenhüller-Eröffnung?», fragt er.

Ich schüttle den Kopf. Und weil auch ich Zeitungen lese, weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass er jetzt sagen wird, Khevenhüller habe sich seit langem nur noch wiederholt.

«Er macht nichts Neues mehr. Immer das Gleiche, Aufguss um Aufguss. Zwischen ’90 und ’98 war er originell. Da hatte er etwas zu sagen. Jetzt: Schnee von vorgestern.»

Die Bahn hält, die Türen öffnen sich, eine japanische Reisegruppe strömt herein, etwa dreißig Menschen, die Hälfte davon trägt Mundschutzmasken. Aneinandergepresst und schweigend füllen sie den Waggon.

Zöllner beugt sich zu mir. «Ich wünschte, ich hätte Ihren Beruf.»

«Sie können ihn haben», sage ich gedehnt, «Sie wären gut darin.»

Er wehrt ab, derart mit sich selbst beschäftigt, dass ihm meine Unehrlichkeit nicht auffällt. «In fünfzehn Jahren bin ich arbeitslos. Keine Zeitungen mehr. Nur noch im Netz. Und ich bin noch nicht mal fünfzig. Zu jung für die Rente. Zu alt, um noch umzusatteln.»

Mir kommt die Idee zu einem Eulenböck-Bild. Ein Porträt von Zöllner, aus nächster Nähe, wie er hier neben mir sitzt, im grünlichen Kunstlicht des Waggons, vor dem Hintergrund des Japanergedrängels, mit dem Titel Kunstrichter. Aber natürlich geht das nicht, du bist zu lange tot, armer Heinrich, keiner würde es für echt halten.

«All die jungen Leute! Frisch von der Uni, Jahr für Jahr, immer mehr. Sie machen Volontariate, bringen Kaffee, fragen mich, ob ich Zucker möchte, schauen mir über die Schulter und grübeln darüber nach, was ich eigentlich kann, was sie nicht können. Die verstehen alle etwas von Kunst, Friedland! Die sind alle nicht blöd. Die wollen alle meinen Job. Und wohin soll ich dann? Zu kunstkritik online? Da hänge ich mich lieber auf.»

«Na, na», sage ich betreten. Er wird sich an dieses Gespräch erinnern, und er wird mir nicht verzeihen.

«Aber sie haben nicht das Gespür. Sie wissen nicht, wann es Zeit ist, Malinowski zu loben, und wann die Zeit dafür vorbei ist. Sie lassen sich beeindrucken, ihnen gefällt etwas, oder es missfällt ihnen, das ist der Fehler. Sie wissen nicht, was verlangt wird.»

«Verlangt?»

«Mir macht man nichts vor. Mich beeindruckt nichts. Ob jemand steigt oder fällt, um das zu wissen, braucht man Erfahrung, man braucht Instinkt!» Er reibt sich über das Gesicht. «Aber der Druck, Sie haben ja keine Ahnung! Molkner zum Beispiel. Zuerst hat er Spengrich gelobt, den man jetzt gar nicht mehr mögen kann, dann hat er ausdrücklich Hähnel empfohlen, zwei Tage bevor sie in der Kulturkamera aufgedeckt haben, dass Hähnel Antidemokrat ist, und dann hat er den Fotorealismus die Kunstform der Zukunft genannt. Ein ganz armseliger Versuch, sich gegen Lümping und Karzel als konservative Kraft zu positionieren, aber der Trottel hat sich dafür genau den Moment ausgesucht, als Karzel bei uns in den Abendnachrichten seine Attacke gegen die neuen Realisten geritten hat, Sie erinnern sich, auch Eulenböck hat ja sein Fett weggekriegt. Übelstes Timing! Und jetzt? Was glauben Sie?»

«Ja?» Dunkel erinnere ich mich an Molkner: ein stark schwitzender kleiner Herr, sehr nervös, mit Glatze und Spitzbart.

«Jetzt ist er nur noch Pauschalist», flüstert Zöllner, als dürften die Japaner es auf keinen Fall hören. «Und sein ehemaliger Assistent, Lanzberg, dieses Stück Dreck, streicht in den Reportagen herum, die Molkner von irgendwelchen Provinzvernissagen schickt. Gnadenlos! Das können Sie mir glauben. Ein gnadenloses Geschäft.» Er nickt, horcht seinen eigenen Worten nach, springt unvermittelt auf und schlägt mir noch einmal auf die Schulter. «Tut mir leid, bin in ganz übler Stimmung. Meine Mutter ist gestorben.»

«Das ist ja furchtbar!»

Er schiebt sich zwischen den Japanern hindurch zur Tür. «Sie glauben wohl alles!»

«Dann ist sie nicht gestorben?»

«Jedenfalls nicht heute.» Er drängt einen Mann mit Mundschutz zur Seite und springt hinaus. Die Türen schließen sich, der Zug fährt an, einen Moment noch sehe ich ihn winken, dann fahren wir wieder durchs Dunkel.

Ein Japaner setzt sich neben mich und drückt kleine Knöpfe an seiner Kamera. Diese U-Bahn-Linie führt zu keinen Sehenswürdigkeiten, jetzt kommen nur noch die Industriegebiete am Stadtrand. Die Reisegruppe ist im falschen Zug. Jemand sollte es ihnen sagen. Ich schließe die Augen und schweige.

Aus mir würde also kein Maler, das wusste ich jetzt. Ich arbeitete wie zuvor, aber es hatte keinen Sinn mehr. Ich malte Häuser, ich malte Wiesen, ich malte Berge, ich malte Porträts, sie sahen nicht schlecht aus, sie waren gekonnt, aber wozu? Ich malte abstrakte Gebilde, sie waren harmonisch komponiert und farblich durchdacht, aber wozu?

Was bedeutet es, mittelmäßig zu sein – plötzlich ließ die Frage mich nicht mehr los. Wie lebt man damit, warum macht man weiter? Was für Menschen sind es, die alles auf eine Karte setzen, ihr Leben dem Schaffen verschreiben, das Risiko der großen Wette eingehen und dann, Jahr für Jahr, nichts von Bedeutung zustande bringen?