Der auf dem Boden liegt reglos und atmet schwer.
Jetzt kommt es darauf an. Jetzt muss ich das Richtige sagen, das rechte Wort finden, einen Satz, der alles entspannt, verbessert, auflöst, klärt. Es heißt ja, dass Angst einen schneller denken lässt, aber ich merke nichts davon. Mein Herz klopft, in meinen Ohren rauscht es, die Straße dreht sich langsam um sich selbst. Ich wusste nicht, dass man sich so fürchten kann, mir ist, als hätte ich mich noch nie im Leben gefürchtet, als lernte ich das Fürchten erst jetzt. Gerade war doch alles noch in Ordnung, dort oben war ich, hinter einer Stahltür, umgeben von Sicherheit. Kann der Übergang sich wirklich so schnell vollziehen, kann das Schlimmste so nahe liegen? Und ich denke: Frag dich jetzt nicht so etwas, du hast die Zeit nicht, du musst das Richtige sagen! Und ich denke: Vielleicht gibt es Momente, in denen es keine richtigen Worte mehr gibt, Momente, in denen Worte nichts mehr bedeuten, in denen Worte zerfallen, in denen Worte nirgendwo hinführen, weil es einfach egal ist, was man sagt. Und ich denke: Hör endlich zu denken auf! Und ich denke …
Da tritt bubbletea is not a drink I like auf mich zu und sagt noch einmal, aber nun anders betont, nicht mehr fragend, auch nicht überrascht, sondern als reine Drohung: «Was!»
«Er ist am Ende», sage ich. «Er kann sich nicht mehr rühren. Er ist fertig.» Gar nicht schlecht, denke ich, da ist mir ja doch etwas eingefallen. «Ihr seid viel stärker. Er hat keine Chance, das bringt doch nichts.»
«Wer bist denn du?»
Das kam nicht von bubbletea is not a drink I like, es kam von Y. Von ihm hatte ich es nicht erwartet. Er war mir harmlos vorgekommen, wie ein Mitläufer, ein Beistehender, fast ein Freund.
«Ich bin …» Aber meine Stimme ist nicht zu hören. Ich räuspere mich, jetzt geht es besser. «… niemand.» Die alte Antwort des Odysseus, erprobt und bewährt in Situationen wie dieser. «Ich bin niemand!»
Sie starren.
«Wenn er stirbt, bekommt ihr lebenslänglich.»
Sofort wird mir klar, dass das ein Fehler war. Erstens wird er nicht sterben, und zweitens bekommt niemand unter zwanzig lebenslänglich. Ein Heer von Jugendanwälten, Jugendrichtern und Jugendberatern verhindert es, keinem wird mehr so früh das Leben ruiniert, das weiß ich von meinem Priesterbruder. Aber wenn ich Glück habe, wissen sie es nicht.
«Ihr macht euch unglücklich. Die Polizei ist bestimmt schon unter –»
Es setzt sich wieder zusammen: Straße, Himmel, Stimmen, schattenhafte Gestalten über mir, und ich auf dem Boden, an die Hausmauer gelehnt. Mein Kopf schmerzt. Ich muss ohnmächtig gewesen sein.
Bleib sitzen! Du hast genug getan. Bei allen Heiligen und allen Teufeln und aller Schönheit der Welt, bleib sitzen!
Ich stehe auf.
Wie eigentümlich: Normalerweise entpuppen Menschen sich in Gefahr als kleiner, mutloser, erbärmlicher, als sie es vermutet haben. So ist es normal, so gehört es sich, so erwartet man es von sich selbst. Man ist überzeugt davon, dass man sich bei erster Gelegenheit als Feigling erweisen wird. Und jetzt das. Iwan Friedland, Ästhet, Kurator, Träger teurer Anzüge, ist ein Held. Darauf hätte ich verzichten können.
Ich komme auf die Beine. Mit der einen Hand stütze ich mich an der Mauer ab, mit der anderen rudere ich um Gleichgewicht. Diesmal muss ich gar nichts sagen – die pure Unverfrorenheit, die darin liegt, dass ich aufgestanden bin, genügt: Sie wenden sich nicht ab.
«Wer bist du denn?», fragt Y von neuem.
«Wenn ich das wüsste.» Aus so mancher schlimmen Lage hat man sich mit Witzen befreit.
«Bist du irre?», fragt Y.
Und bubbletea is not a drink I like, wie überrascht von dieser Erkenntnis, sagt: «Steck es ein, Ron. Der ist irre.»
Da fällt mir auf, dass sich etwas in MorningTowers Hand entfaltet hat, etwas Kleines und silbrig Böses. Jetzt ist die Lage ernst. Auch wenn ich dachte, sie wäre es zuvor schon gewesen – ich hatte unrecht, sie war es nicht. Jetzt ist sie es. «Wollt ihr ihn umbringen?», frage ich. Aber um ihn geht es gar nicht mehr.
«Ron!», sagt MorningTower zu bubbletea is not a drink I like. «Halt die Schnauze.»
«Nein, Ron!», sagt Y. «Du hältst die Schnauze.»
Es muss an meinem Verstand liegen, es kann nicht sein, dass sie alle den gleichen Namen haben. Übertrieben laut, um mein Herzklopfen zu übertönen, frage ich: «Wollt ihr Geld?»
Aber sie starren nur und sagen nichts, und ich habe das Gefühl, dass ich schon wieder einen Fehler gemacht habe. Der pochende Schmerz hinter meiner Stirn. Vielleicht sollte ich ihnen Geldscheine zeigen. Mein Jackett, aus dünnem Stoff geschneidert bei Kilgour in London, ist so nass, als wäre ich aus dem Wasser gestiegen. Ich führe die Hand zum Portemonnaie in meiner Innentasche, nehme wahr, dass ihre Blicke sich verändern, will die Bewegung schnell zu Ende führen, damit es keine Missverständnisse gibt, und merke, während meine Fingerspitzen schon das Leder der Brieftasche spüren, dass auch das falsch war: Y duckt sich, bubbletea is not a drink I like macht einen Satz rückwärts, MorningTowers Hand schnellt vor, berührt mich und zieht sich wieder zurück, und während ich die Brieftasche hervorhole, schießt Schmerz durch meine Brust, meinen Kopf, meine Arme, strahlt flammend aus, durchdringt Asphalt, parkende Autos, Häuser, Himmel und Sonnenball, erfüllt die Welt, wird zur Welt, kehrt zurück, ist wieder in mir. Meine Brieftasche fällt zu Boden, aber ich flattere mit den Armen, kann das Gleichgewicht halten, falle nicht.
Ich sehe die drei an. Sie sehen mich an: ruhig, beinahe neugierig, als wäre ihre Wut mit einem Mal gestillt. Nicht dumm, nicht böse, bloß verwirrt. Mir scheint es, als ob bubbletea mich sogar anlächeln möchte. Ich versuche zurückzulächeln, aber es gelingt nicht, ich fühle mich sehr schwach. Y hebt meine Brieftasche auf, blickt sie fragend an und lässt sie wieder fallen. Dann laufen sie los. Ich blicke ihnen nach, bis sie um die Ecke verschwunden sind.
Der Junge zu meinen Füßen bewegt sich. Er räkelt sich, stöhnt leise, streckt die Arme, dreht sich und versucht, auf die Füße zu kommen. Sein Gesicht ist geschwollen und blutig, aber dennoch sieht er gar nicht so schwer verletzt aus. Nein, er wird nicht sterben. Wahrscheinlich muss er nicht einmal ins Krankenhaus. Er rollt vornüber, stemmt sich mit den Ellenbogen gegen den Boden und steht schwankend auf.
«Alles in Ordnung», sage ich. «Nicht aufregen. Alles gut.»
Er sieht mich blinzelnd an.
«Alles gut», sage ich. «Alles gut.»
Er geht mit unsicheren Schritten zu meiner Brieftasche, hebt sie auf und blickt hinein. Sein rechtes Auge ist geschlossen, das Augenlid zuckt, Blut läuft ihm aus einem Ohr. Auf seinem roten T-Shirt steht gar nichts. «Scheiße», sagt er.
«Ja», sage ich.
«Dem Ron habe ich es letzte Woche gegeben. Jetzt haben sie mich erwischt, und ich war allein.»
«Ja», sage ich.
«Die kommen zurück», sagt er. «Die kommen, die kommen zurück, die kommen schon. Die kommen zurück.» Tief in Gedanken steckt er meine Brieftasche ein, dann wendet er sich ab und wankt davon.
Hat er gesagt, dass sie zurückkommen werden, hat er das wirklich gesagt? Vorsichtig, Schritt für Schritt, gehe ich über die Straße. Ich darf nicht hinfallen. Liege ich erst einmal, kann ich nicht mehr aufstehen. Jedes Einatmen sticht, und immer wenn ich auftrete, zucken Blitze aus Schmerz. Da vorne ist die Tür, da muss ich hin, dahinter wartet der Lift, da oben ist mein Studio, sicher hinter der sicheren Stahltür, da können sie nicht hinein, da ist es sicher, da bin ich in Sicherheit, wenn sie zurückkommen.
Die Straße ist so breit. Ich darf nicht ohnmächtig werden, es sind doch nur ein paar Schritte.
Und weiter. Er hat meine Brieftasche genommen!