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Arthur zeigte auf ein Zelt. Klein und blau war es, vor dem Eingang hing ein roter Vorhang, darüber blinkten elektrische Sterne. Ihre Zukunft, stand da, gelesen im Tarot.

«Lieber nicht», sagte Marie.

«Komm», sagte Arthur. «Vielleicht sagt er dir gute Dinge voraus.»

«Und wenn er mir schlimme Dinge voraussagt?»

«Dann glaubst du einfach nicht daran.»

Sie gingen hinein. Eine Leselampe warf gelbliches Licht auf einen Holztisch, bezogen mit fleckigem Filz. Dahinter saß ein alter Mann, der einen Pullover trug. Er hatte eine Glatze mit nur zwei Haarbüscheln an den Ohren und eine Brille. Vor ihm lagen ein Paket Karten und eine Lupe.

«Treten Sie ein, treten Sie näher», sagte er, ohne aufzusehen. «Kommen Sie her, nehmen Sie Karten, erfahren Sie Ihre Zukunft. Treten Sie näher.»

Marie sah zu Arthur, aber der stand schweigend und mit verschränkten Armen da.

«Treten Sie näher», sagte der Wahrsager mit Leierstimme, «kommen Sie her, nehmen Sie drei Karten. Erfahren Sie die Zukunft.»

Marie trat an den Tisch. Seine Brillengläser waren enorm dick, seine Augen dahinter kaum zu erkennen. Blinzelnd hielt er ein Kartenpäckchen hoch.

«Suchen Sie zwölf aus, lesen Sie Ihr Schicksal.»

Zögernd nahm Marie das Paket. Die Karten waren speckig und abgegriffen. Es waren keine Karten, wie sie sie kannte. Seltsame Figuren sah man darauf: einen fallenden Stern, einen gehängten Mann, Ritter mit Lanzen, eine vermummte Gestalt in einem Boot.

«Nehmen Sie zwölf», leierte der Wahrsager. «Nehmen Sie. Zwölf Euro kostet es. Für zwölf Karten. Jede Karte ein Euro.»

Arthur legte fünfzehn Euro auf den Tisch. «Machen Sie das schon lange?»

«Wie?»

«Ob Sie das schon lange machen!»

«Vorher habe ich anderes gemacht und davor wiederum anderes, aber ich hatte nicht viel Glück.»

«Schwer zu glauben», sagte Arthur.

«Ich habe Säle gefüllt.»

«Große?»

«Die größten.»

«Was ist passiert?»

Der Wahrsager blickte auf.

«Was ist passiert?», wiederholte Arthur.

Der Wahrsager blinzelte und hielt sich die Hand vor die Stirn. «Nichts», sagte er dann. «Schlechte Zeiten sind passiert. Pech ist passiert. Die Jahre sind vergangen, das ist passiert. Man ist nicht mehr der Alte.»

«Und doch ist man es jetzt erst», sagte Arthur.

«Was ist man jetzt erst?»

«Der Alte.»

«Wie meinen Sie?»

«Nur ein Scherz.»

«Wieso?»

Arthur schwieg, Marie blickte auf die Karten in ihren Händen und wartete. Der Wahrsager saß reglos.

«Wir haben nicht so viel Zeit», sagte Arthur dann.

Der Wahrsager nickte, tastete nach dem Geld, fand es, steckte es ein, kramte in seiner Tasche und legte umständlich drei Münzen Wechselgeld auf den Tisch. «Nehmen Sie Karten», sagte er zu Marie. «Aus der Mitte, von oben, von unten. Wie Sie mögen. Machen Sie die Augen zu. Horchen Sie nach innen.»

«Zwölf?», fragte Marie.

«Legen Sie sie hierhin. Eine neben die andere, hier auf den Tisch.»

«Zwölf soll ich nehmen?»

«Hierhin. Eine neben die andere.»

Sie warf Arthur wieder einen fragenden Blick zu, aber der starrte mit merkwürdigem Ausdruck den Wahrsager an. Wie sollte sie die Karten aussuchen? Sie konnte jede einzeln ziehen, oder sie konnte zwölf aufeinanderliegende aus der Mitte nehmen. Unschlüssig drehte sie das Paket.

«Ganz egal», sagte Arthur.

«Wie bitte?», fragte der Wahrsager.

«Wenn es funktioniert, funktioniert es, egal, wie du die Karten aussuchst», sagte Arthur. «Wenn es nicht funktioniert, ist es erst recht egal.»

«Ihre Zukunft», sagte der Wahrsager. «Ihr Schicksal. Hier auf den Tisch, bitte.»

Marie zog eine Karte aus der Mitte und legte sie verdeckt hin. Dann noch eine, dann noch eine. Dann, von verschiedenen Stellen des Stapels, neun weitere. Sie wartete, aber der Wahrsager rührte sich nicht.

«Fertig», sagte sie.

Der Wahrsager blinzelte in ihre Richtung. Sein Mund stand offen. Er holte ein grünes Seidentuch aus der Brusttasche und tupfte sich die Stirn ab.

«Fertig!», sagte sie noch einmal.

Er nickte, dann zählte er, indem er jede Karte kurz mit dem Finger berührte. «Zwölf», sagte er leise, halb zu ihr und halb zu sich selbst, rückte an seiner Brille und schob die Karten zu einem Halbkreis zurecht.

«Was immer es kostet», sagte Arthur. «Man muss sich nur bemühen. Was immer es kostet.»

«Wie bitte?», fragte der Wahrsager.

Arthur antwortete nicht.

Der Wahrsager begann, die Karten umzudrehen. Etwas Erschreckendes ging von den Bildern aus, sie kamen Marie hässlich vor, urtümlich und brutal. Von Gewalt schienen sie zu künden, von einer Welt, in der kein Mensch freundlich zu einem anderen war, in der einem alles zustoßen konnte und in der man besser niemandem glaubte. Eine Figur war in einem springenden Tanzschritt begriffen, auf einer anderen Karte war ein gelber Kreis, umgeben von Wolken. Der Wahrsager beugte sich vor, die Stirn ganz nahe über dem Tisch, man konnte deutlich seine Glatze sehen. Er nahm die Lupe und betrachtete eine Karte nach der anderen.

«Die Drei der Schwerter. Auf dem Kopf stehend.»

«Das sind nicht drei», sagte Arthur.

Der Wahrsager hob den Kopf. Seine Augen schimmerten winzig hinter den Gläsern.

«Zählen Sie noch einmal!», sagte Arthur.

Es waren fünf Schwerter, Marie konnte es auf einen Blick erkennen. Der Zeigefinger des Wahrsagers bewegte sich von einem Schwert zum nächsten, aber seine Hand zitterte, und die Schwerter waren so schmal, dass er sie immer wieder verfehlte.

«Sieben», sagte er. «Auf dem Kopf stehend.»

«Das sind nicht sieben», sagte Marie.

Der Wahrsager blickte auf.

«Fünf!», rief sie.

«Fünf Schwerter», sagte der Wahrsager und legte den Finger auf die nächste Karte. «Fünf Schwerter, auf dem Kopf stehend, neben der Sonne und den Liebenden.»

«Das ist der Mond!», sagte Arthur.

Der Wahrsager nahm seine Brille ab und wischte sich mit dem grünen Tuch übers Gesicht.

«Sonne und Mond stehen doch im Gegensatz», sagte Arthur.

«Was für ein Satz?», fragte der Wahrsager.

«Beim Tarot, meine ich. Die stehen im Gegensatz, hat man mir gesagt. Ich kenne mich ja nicht aus. Haben Sie kein Hörgerät?»

«Das pfeift immer. Dann versteht man erst recht nichts.»

«Mit pfeifendem Hörgerät kann man sicher nicht gut hypnotisieren.»

«Nein», sagte der Wahrsager. «Das geht dann nicht mehr.»

«Aber das Kartenlegen läuft gut?»

«Zu hohe Standmiete. Alles Verbrecher. Zu wenig Kunden. Ich habe mal Säle gefüllt.»

«Die größten», sagte Arthur.

«Bitte?»

«Machen Sie weiter!»

Der Wahrsager senkte den Kopf, seine Nasenspitze hing einen Zentimeter über den Karten. Er zog eine davon in die Mitte. Auf ihr sah man eine Festung und einen Blitz, und da waren Figuren, erstarrt in wilden Verrenkungen.

«Der Turm», sagte Arthur.

«Bitte?»

«Ist das der Turm?»

Der Wahrsager nickte. «Der Turm. In Verbindung mit der auf dem Kopf stehenden Fünf der Schwerter. Dazu der Mond. Das kann bedeuten –»

«Aber das ist er nicht!», rief Arthur. «Das ist ja gar nicht der Turm.»

«Was ist es denn?», fragte der Wahrsager.

«Sie sehen nichts», sagte Arthur. «Stimmt’s? Sie hören nichts, und Sie sehen nichts mehr.»

Der Wahrsager starrte auf den Tisch. Langsam legte er die Lupe weg.

Arthur zeigte auf den Ausgang.

Marie nickte.

«Auf Wiedersehen!», rief Arthur.

Der Wahrsager schwieg. Sie gingen hinaus.

«Aber du hast ihn trotzdem bezahlt», sagte Marie.

«Er hat sein Bestes gegeben!»

«Was hieß das? Der Turm, die Fünf der Schwerter, und war das jetzt wirklich der Mond oder doch die Sonne? Was hatte das zu bedeuten?»