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Und jetzt das Bekenntnis des Glaubens. Ich räuspere mich und trage vor, was ich gerne glauben würde: Gott, der Allmächtige, Jesus, sein Sohn, gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tage auferstanden, aufgefahren in den Himmel, von wo er kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Der Heilige Geist, die Auferstehung, die Gemeinschaft der Heiligen und das ewige Leben. Ja, es wäre schön.

Die Fürbitten. Wir bitten für die Dominikaner, damit sie mit Eifer Gottes Werk tun, denn heute ist der Tag des heiligen Dominik. Wir bitten dich, erhöre uns. Wir bitten für die suchenden Menschen, erhöre uns, für alle, die krank sind, bitten wir und für alle, die abgekommen sind von der Sicherheit des Glaubens. Im Seminar für Liturgiekunde haben wir einst diskutiert, welchen Sinn es haben soll, ein allwissendes Wesen um die Erfüllung eines Wunsches zu bitten. Pater Pfaffenbichel erklärte uns, die Fürbitte sei nicht wichtig, man könne sie auch weglassen. Aber er kannte meine Gemeinde nicht. Zwei Wochen ohne Fürbitten letztes Jahr, und schon dachten sie, Gott habe sie vergessen. Neun Beschwerde-Mails an mich und leider auch drei an den Bischof sowie ein offizieller Kirchenaustritt. Ich musste Frau Koppel eine Bonbonniere schicken und sie zweimal daheim besuchen, um sie umzustimmen.

Die Eucharistie. Der Ministrant gießt Wasser über meine Finger, die Orgel stimmt ihren Hochgesang an, ich hebe das Gefäß mit den Hostien. Der Moment hat Pathos und Kraft. Fast könnte man denken, diese Menschen glauben tatsächlich, eine Oblatenscheibe werde zum Körper eines gekreuzigten Mannes. Aber natürlich glauben sie es nicht. Man kann das nicht glauben, man müsste geistesgestört sein. Aber man kann glauben, dass der Priester es glaubt, der wiederum glaubt, seine Gemeinde glaube es; man kann es mechanisch wiederholen, und man kann sich verbieten, darüber nachzudenken. Heilig, heilig, heilig, skandiere ich, und tatsächlich ist mir, als umgäbe mich ein Feld von Kraft. Magische Gesten, jahrtausendealt, älter als die christlichen Zeiten, älter als Stahl und Feuer. Die ersten Menschen haben schon von zerfleischten Göttern phantasiert. Später dann die Legende von Orpheus, zerrissen von den Geistern der Rache, die Mär von Usir, hinabgestiegen ins dunkle Reich und wieder zusammengefügt zum lebenden Körper, viel später erst die Gestalt des Nazareners. Ein alter und blutiger Traum, Tag für Tag nachgespielt an Abertausenden Orten. Es wäre so leicht, den Vorgang zum symbolischen Akt zu erklären, aber genau das ist Häresie. Man muss es glauben, so ist es vorgeschrieben. Man kann es nicht glauben. Man muss, man kann nicht. Erhebet die Herzen, sage ich. Wir haben sie beim Herrn, sagen sie. Geheimnis des Glaubens. Deinen Tod verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit. Der Ministrant berührt die kleine Glocke, ihr Ton zittert in der Luft, die Bänke knarren, als meine Gemeinde in die Knie sinkt.

Ich hebe die Hostie. Es ist so still, dass man von draußen die Autos hört. Ich lege die Oblate zurück und mache die vorgeschriebene Kniebeuge. Sofort bricht mir der Schweiß aus, es fällt mir schwer, das Gleichgewicht zu halten, letzte Woche bin ich dabei umgefallen, es war furchtbar peinlich. Halt durch, Martin, halt dich gerade, halt durch! Schwankend und schweißgebadet komme ich wieder in den Stand. Beten wir, keuche ich, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat.

Vater unser, der du, geheiligt werde, dein Reich, dein Wille, Sätze, verschliffen von tausend Jahren Wiederholung, erlöse uns, amen. Ich breche die Hostie, schiebe sie mir in den Mund und genieße für einen Moment den trockenen Geschmack. Gottes Körper ist das eher nicht, aber es schmeckt. Die Orgel beginnt das Agnus Dei, fünf Mitglieder meiner Gemeinde stellen sich zur Kommunion an. Ich fürchte die Alten, die sich das gewandelte Brot auf die Zunge legen lassen wollen, wie es vor dem Konzil üblich war; es ist schwer, etwas auf eine Zunge zu legen, ohne sie mit den Fingerspitzen zu berühren. Aber heute habe ich Glück, drei Paar Hände und nur eine einzige schrumpelige Greisenzunge. Als Letzter wie immer Adrian Schlüter.

Leib Christi, sage ich.

In Ewigkeit, amen, sagt er und blickt dabei nicht die Hostie an, sondern mich, starr und ohne Blinzeln, als hätte er mir etwas zu beweisen. Er wird wiederkommen, heute Abend, morgen früh, morgen Abend, jeden Tag, er ist meine Prüfung.

Die Orgel erklimmt die letzten Akkorde und verstummt. Ich setze zum Schlusswort an. Tragt den Geist dieser Feier in die Welt. Der Herr sei mit euch.

Und mit deinem Geiste.

Gehet hin in Frieden.

Dank sei Gott, dem Herrn.

Ich beeile mich, als Erster zum Ausgang zu gelangen, dort baue ich mich in der hereinströmenden Morgenhitze auf. Martha Frummels Hand fühlt sich an wie Sandpapier, Frau Wiegner hält sich gekrümmt, ihrem Herzen geht es nicht gut, ihrem Rücken auch nicht. Frau Koppel sieht gesund aus, aber so einsam wie immer. Frau Helgner wird nicht mehr oft kommen, sie ist sehr schwach. Wer tut das den Menschen an? Am liebsten würde ich sie umarmen, aber ich bin dick und schwitze, es würde ihnen nicht gefallen. Also schüttle ich bloß Hände und lächle. Schon sind sie gegangen, nur einer steht noch hier.

«Lieber Herr Schlüter, ich habe es ein wenig eilig.»

«Eine Glaubensfrage. Herr Pfarrer Friedland, es lässt mir keine Ruhe.»

Ich versuche, ihn interessiert anzusehen.

«Die Dreifaltigkeit. Ich habe Tertullian gelesen. Auch Rahner. Und natürlich Ratzinger, Seine Heiligkeit. Aber ich verstehe nicht.»

«Was verstehen Sie nicht?»

«Der Heilige Geist.»

Ich sehe ihn verzweifelt an.

«Ich verstehe den Sohn, ich verstehe den Vater, ich verstehe auch den Unterschied zwischen dem Heiligen Geist und dem Sohn. Aber was ist der Unterschied zwischen dem Heiligen Geist und dem Vater? Barth sagt, Gott ist das Subjekt, der Geist ist der Inhalt, und der Sohn ist das Geschehen der Offenbarung.»

«Es ist ein Mysterium.»

Das hat gewirkt. Er blinzelt. Was täte ich ohne dieses Wort?

«Es ist uns offenbart worden!» Ich zögere. ‹Offenbart› oder ‹geoffenbart›? Ich muss bald nachsehen. «Gott hat uns gesagt, dass es so ist. Wir können versuchen, es mit dem Verstand zu durchdringen. Aber der Verstand hat Grenzen. Und an diesen Grenzen steht der Glaube.»

«Ich muss es nicht verstehen?»

«Sie brauchen nicht.»

«Ich soll gar nicht?»

«Sie müssen nicht.»

Seine Hand ist weich und trocken, sein Händedruck fühlt sich nicht einmal unangenehm an. Für heute bin ich davongekommen. Er macht sich auf den Weg, und ich gehe erleichtert in die Sakristei.

Der Ministrant hilft mir, das Messgewand abzulegen. Sobald ich im Hemd dastehe, meide ich den Blick meines Spiegelbilds. Dabei ist es doch nicht schlimm: Auch Chesterton, der große Katholik, war wohlgenährt, und sogar Thomas von Aquin stelle ich mir rund und weise vor. Im Vergleich zu ihnen kann ich fast als schlank durchgehen. Ich setze mich auf die Couch. Auf der Lehne liegt mein Rubik-Würfel; wie immer freue ich mich, ihn zu sehen, und meine Hände greifen ganz von selbst nach ihm. Der Ministrant hat mich neulich gefragt, was das denn sei und wozu man es brauche. Sic transit gloria. Vor zwanzig Jahren war das der berühmteste Gegenstand der Welt.

«Du musst jetzt zur Schule?», frage ich den Jungen.

Er nickt, und aus reinem Mitleid beuge ich mich vor und streiche ihm über den Kopf. Er zuckt zusammen, sofort ziehe ich die Hand zurück. Wie dumm von mir. Ein Priester muss vorsichtig sein dieser Tage, harmlose Gesten gibt es nicht mehr.

«Ich habe eine Frage», sagt er. «Letzte Woche im Religionsunterricht. Es ging um Gottes Vorauswissen. Dass er weiß, wie wir uns entscheiden werden, noch bevor wir uns entschieden haben. Wie können wir trotzdem frei sein?»

Die Gazevorhänge bauschen sich, Lichtflecken tanzen übers Parkett. Das Kreuz auf dem Schrank wirft einen langen Schatten.