»Und was spielt dieser Ippolit bei ihr für eine Rolle?« fragte Fandorin vorsichtig nach.
»Graf Surow? Das weiß ich nicht so genau, zwischen ihnen ist irgend etwas Besonderes. Entweder hat er sie in der Hand, oder sie ihn . Eifersüchtig ist er jedenfalls nicht. So eine wie sie verbittet sich jede Eifersucht. Eben ganz die Königin!«
Er verstummte, weil eine Horde angetrunkener Kaufleute am Nachbartisch krakeelte - sie waren im Gehen und stritten, wer die Zeche bezahlen sollte. Dann schafften die Kellner flink das schmutzige Tischtuch beiseite, legten ein frisches auf, und keine Minute später nahm bereits ein neuer Gast Platz: ein Beamter, ziemlich besoffen, mit fast weißen, noch dazu (wohl vom Trinken) glasigen Augen. Eine dralle Brünette kam zu dem Trunkenbold geflattert, faßte ihn um die Schulter und schlug die Beine so eindrucksvoll übereinander, daß Fandorin Gelegenheit hatte, sich in den Anblick ihres faltenlos mit rotem Fil de Perse bestrumpften Knies zu versenken.
Unterdessen hatte der Student ein gut gefülltes Glas Rheinwein trockengelegt und fuhr, in seinem blutigen Beefsteak stochernd, zu erzählen fort: »Sie glauben wohl, Pierre Kokorin hätte aus Liebeskummer Hand an sich gelegt? Das wäre ja noch schöner. Nein, ich war es, der ihn umgebracht hat.«
»Was?!« Fandorin traute seinen Ohren nicht.
»Sie haben richtig gehört!« Achtyrzew nickte und schaute stolz drein. »Wenn Sie den Mund halten und mich nicht mit Ihren Fragen behelligen, erzähle ich Ihnen alles haarklein.
Jawohl, ich habe ihn getötet, und es reut mich nicht im geringsten. Wir haben uns duelliert, und zwar auf ehrliche Art. Ein ehrlicheres Duell hat es seit Ewigkeiten nicht gegeben! Wenn zwei sich vis-a-vis gegenüberstehen, geht es fast nie mit rechten Dingen zu: Der eine schießt besser, der andere schlechter, der eine ist dicker, man trifft ihn darum leichter, oder er hat eine schlaflose Nacht verbracht, und seine Hand zittert. Bei Pierre und mir hingegen war alles gerecht. Angefangen hat es im Sokolniki-Park, auf dem Rondell, wir fuhren zu dritt in einer Equipage spazieren, und plötzlich sagte sie: >Ach, ich hab euch alle beide satt, ihr reichen, verzogenen Jungs! Von mir aus könntet ihr euch gegenseitig den Schädel einschlagen.< Darauf Kokorin, das miese Stück: >Ich tät’s, wenn Ihr es mir lohntet.< Und ich: >Für den richtigen Lohn täte ich es auch. Den, der nicht zu teilen ist. Einer soll verzichten - oder ins Gras beißen. < So weit war es mit uns schon gekommen, mit Kokorin und mir. >Liebt Ihr mich wirklich so sehr?< fragte sie. Und er: >Mehr als das Leben.< Von mir bekam sie Gleiches zu hören. >Na gut<, meinte sie, >Mut ist das einzige, was ich an Menschen schätze, alles übrige läßt sich imitieren. So hört meinen Willen. Sollte einer von euch tatsächlich den anderen aus der Welt schaffen, dann wird sein Mut belohnt - womit, könnt ihr euch denken.< Und sie lachte. >O je, was seid ihr zwei für hohle Schwätzer. Ihr würdet doch nie einen Mord begehen. Ihr habt auch wirklich gar nichts zu bieten außer dem elterlichen Kapital.< Das hat mich wütend gemacht. >Für Kokorin kann ich die Hand nicht ins Feuer legen<, habe ich gesagt, >aber was mich angeht, so würde ich um einer solchen Belohnung willen weder mein noch ein anderes Leben schonen.< Darauf fuhr sie mich wütend an: >Ach wißt ihr, mir reicht euer eitles Geschwätz. Die Wette gilt, ihr werdet euch duellieren, aber nicht wie üblich, sonst gibt es hinterher bloß wieder einen Skandal. Und außerdem wäre es eine halbe Sache. Der eine schießt dem anderen in den Arm und erklärt sich zum Sieger. Nein, einer soll sterben und der andere lieben. So wie das Schicksal es will. Werft das Los! Wen es trifft, der soll sich erschießen. Und vorher schreibt er einen anständigen Abschiedsbrief, damit keiner auf den Gedanken kommt, es wäre um meinetwillen passiert. Na, was ist, kneift ihr? Wenn ihr kneift, dann schämt euch wenigstens und laßt euch nicht mehr bei mir blicken. Wäre mir auch recht.< Pierre sah mich an und sagte: >Ich weiß nicht, wie Achtyrzew die Sache sieht, ich jedenfalls kneife nicht.< Und so war es besiegelt ...«
Der Student schwieg und ließ den Kopf hängen. Dann fuhr er auf, goß das Weinglas randvoll und schüttete es in sich hinein. Das rotbestrumpfte Mädchen am Nachbartisch bekam von dem Mann mit den weißen Augen etwas ins Ohr geflüstert, worüber sie sich halbtot lachte.
»Aber was ist mit dem Testament?« fragte Fandorin - und biß sich auf die Zunge, denn davon hätte er wohl kaum etwas wissen dürfen. Doch Achtyrzew, versunken in seiner Geschichte, nickte nur matt:
»Ach, das Testament . Das kam auch von ihr. >Ihr denkt, ihr könnt mich mit Geld kaufen? Na schön, von mir aus - nur nicht für hunderttausend, wie Nikolai sich einbildet!< (Ich hatte es einmal versucht, so bei ihr zu landen, und wäre um ein Haar rausgeflogen.) Auch nicht für’s Doppelte. Nein, ich will alles, was ihr habt. Wem der Tod beschieden ist, der soll nackt ins Jenseits hinübertreten. Aber<, hat sie gesagt, >denkt nicht, daß ich euer Geld nötig habe, ich verschenke mein eigenes an Hinz und Kunz. Nein, soll es für irgendeinen guten Zweck hingehen - an ein Kloster oder was weiß ich. Als Abbitte für die Todsünden. >Was meinst du, Pe- truscha<, fragt sie ihn, >reichen deine Millionen für eine schöne dicke Kerze?< Dabei war Kokorin ein bekennender Atheist. >Bloß nicht den Popen in den Rachen!< parierte er hitzig. >Dann schon lieber den gefallenen Mädchen! Soll jedes sich eine Nähmaschine kaufen und das Gewerbe wechseln. Wenn eines Tages in ganz Moskau keine Hure mehr übrig ist, verdankt ihr es dem seligen Pjotr Kokorin!< - >Na, ich weiß nicht<, entgegnete Amalia, >wer einmal vom Weg abgekommen ist, den krempelst du nicht mehr um. Das muß früher passieren, in zartester Jugend!< Kokorin hat bloß abgewinkt: >Dann kriegen es eben irgendwelche Kinder, das Waisenhaus, was weiß ich!< Sie strahlte übers ganze Gesicht: >Dafür, Petruscha, wird dir vieles verziehen sein. Komm her, laß dich küssen!< Mich hat die Wut gepackt. >Puh, im Waisenhaus, da lassen sie deine Million ruck, zuck verschwinden, sag ich dir. Hast du nicht gelesen, was über die staatlichen Heime in den Zeitungen steht? Es gibt sowieso viel zu viele davon. Soll es die Engländerin kriegen, dieses Freifräulein Aster, die klaut nicht.< Dafür bekam auch ich von Ama- lia einen Kuß: Prima! hieß das, wischt den Patrioten ruhig mal eins aus. Das war am elften, am Sonnabend. Am Sonntag haben wir uns getroffen, Kokorin und ich, und alles besprochen. Das war ein seltsames Gespräch, kann ich Ihnen sagen. Er tat großspurig, alberte herum, während ich die meiste Zeit schwieg. In die Augen haben wir uns kein einziges Mal gesehen. Ich war wie betäubt . Wir bestellten einen Advokaten und setzten in aller Form die Testamente auf. Pierre wurde für mich zum Zeugen und Vollstrecker ernannt, ich für ihn. Der Advokat bekam von jedem fünftausend dafür, daß er den Mund hielt. Wenn er geplaudert hätte, wäre es ohnehin sein Schaden gewesen. Verblieben sind wir so, wie Pierre es vorschlug: Treffpunkt um zehn bei mir an der
Taganka. Da wohne ich, genaugenommen in der Gon- tscharnaja. Jeder mit einem Revolver in der Tasche, Sechsermagazin, aber nur eine Patrone dann. Wir gehen jeder für sich, immer so, daß er den anderen sieht. Wer als erster dran ist, wird ausgelost. Irgendwo hatte Kokorin etwas über das amerikanische Roulette gelesen, das hat ihm gefallen. >Du wirst sehen, Kolja<, hat er gesagt, >nach uns werden sie es in russisches Roulette umbenennen.< Außerdem fand er es öde, sich zu Hause die Kugel zu geben, wir sollten zuletzt noch mal einen richtig schönen Spaziergang machen, mit Spannungsmomenten. Ich stimmte zu, mir war alles egal. Ehrlich gesagt, hatte ich mich schon aufgegeben, weil ich mir sicher war zu verlieren. Morgen ist der Dreizehnte, ausgerechnet der Dreizehnte, hämmerte es in meinem Kopf. Die Nacht hab ich kein Auge zugetan, ich war nahe daran, mich ins Ausland abzusetzen, aber allein der Gedanke, wie er mit ihr zurückbleiben und mich auslachen würde . Ich rührte mich also nicht von der Stelle.