»Schade.« Brilling schaute bekümmert drein. »Dann haben Sie beim Grafen eigentlich nichts zu suchen. Aber gut, nehmen Sie einen Zettel und schreiben Sie mit .«
Nach einer Viertelstunde konnte Fandorin ohne Stocken die Farben benennen und erkennen, welche Karte höher und welche niedriger war, nur die Bilder brachte er noch durcheinander - er vergaß immer, ob die Dame dem Buben über war oder umgekehrt.
»Sie sind ein hoffnungsloser Fall«, resümierte Brilling. »Aber das ist nicht weiter schlimm. Preference und ähnliche intelligente Spiele werden beim Grafen sowieso nicht gespielt. Dort kann es gar nicht primitiv genug sein, Hauptsache, es geht schnell, und die Einsätze sind hoch. Meine Detektive sagen, er spiele am liebsten Stoß, noch dazu die einfache Variante. Ich erkläre die Regeln. Der, der die Karten ausgibt, heißt Banquier. Der daneben Sitzende ist der Pointeur. Vor beiden liegt ein Satz Karten. Der Pointeur entnimmt seinem Stapel eine Karte - sagen wir, eine Neun. Er legt sie verdeckt vor sich hin, Schwarte nach oben.«
»Schwarte heißt das Muster auf der Rückseite?« fragte Fandorin.
»Genau. Jetzt setzt der Pointeur eine Summe - sagen wir, zehn Rubel. Der Banquier fängt an zu werfen, das heißt, er deckt die oberste Karte auf und legt sie nach rechts, das ist die Stirn. Die nächste legt er links daneben, zu ihr sagt man Orakel.«
Stirn - re. Orakel - li. schrieb Fandorin gewissenhaft in sein Notizbüchlein.
»Jetzt deckt der Pointeur seine Neun auf. Ist die Stirn zufällig auch eine Neun, gleich welcher Farbe, streicht der Ban- quier den Einsatz ein. Dazu sagt man: er sticht die Neun. Es bedeutet, die Bank, das heißt der Einsatz, um den gespielt wird, erhöht sich. Ist hingegen im Orakel eine Neun, dann gewinnt der Pointeur, er findet die Neun.«
»Und wenn in beiden keine Neun ist?«
»Wenn in beiden keine Neun ist, legt der Banquier das nächste Paar Karten aus. Und immer so weiter, bis eine Neun kommt. Das ist das ganze Spiel. Absolut simpel, aber man kann sich um Kopf und Kragen spielen, besonders wenn man als Pointeur den Einsatz ständig verdoppelt. Darum schreiben Sie sich hinter die Ohren, Fandorin: Wenn Sie spielen, dann nur als Banquier. Das ist einfach: Sie legen eine Karte nach rechts und eine nach links, wieder eine nach rechts und wieder eine nach links. Mehr als den ursprünglichen Einsatz kann der Banquier nicht verlieren. Seien Sie nie Pointeur, und falls doch, weil das Los Sie getroffen hat, dann halten Sie den Einsatz niedrig. Beim Stoß gibt es nie mehr als fünf Runden, danach geht der Rest der Bank an den Banquier. An der Kasse liegen zweihundert Rubel zum Verspielen für Sie bereit.«
»So viel?« ächzte Fandorin.
»Das ist nicht viel, sondern wenig, Sie werden sehen. Versuchen Sie, mit dieser Summe auszukommen. Sollten Sie schneller bankrott sein, müssen Sie auch nicht gleich gehen, sondern können sich noch eine Weile dort herumdrücken. Nur ja keinen Verdacht erregen, ist das klar? Und so werden Sie jeden Abend spielen, bis wir ein Ergebnis haben. Zu wissen, daß Surow nicht in den Fall verwickelt ist, wäre auch ein Ergebnis. Dann hätten wir einen Verdächtigen weniger.«
Fandorin murmelte etwas vor sich hin, schielte auf seinen Spickzettel.
»Herz, das sind die roten und nicht die schwarzen Herzen, ja?«
»Ja. Manchmal sagt man auch einfach Rot oder auf gut französisch Creur. Gehen Sie übrigens noch in der Kleiderkammer vorbei, Ihr Maßanzug ist schon fertig. Bis morgen mittag wird die Garderobe für alle Lebenslagen komplett sein. Marsch, Marsch, Fandorin, ich hab auch ohne Sie genug zu tun. Von Surow kommen Sie direkt wieder her. Egal, um welche Zeit. Ich übernachte heute hier im Amt.«
Brilling steckte die Nase wieder in seine Papiere.
ACHTES KAPITEL,
in welchem im unpassenden Moment ein Pique Bube auftaucht
In dem verräucherten Salon wurde an sechs grünen Lombertischen gespielt - an manchen in Viererrunde, an anderen zu zweien. Um die Tische drängten sich Zuschauer: weniger an denen, wo mit geringem Einsatz gespielt wurde, als da, wo der Einsatz in die Höhe geschossen war. Speisen und Getränke wurden beim Grafen nicht gereicht, wer wollte, konnte nach nebenan ins Gästezimmer gehen und einen Lakaien ins Wirtshaus schicken, was aber höchstens geschah, um Champagner herbeizuschaffen, wenn einer besonderes Glück im Spiel hatte. Von allen Seiten tönten Rufe, die für einen Nicht-Spieler kaum begreiflich waren.
»Je coupe!«
»Je passe.«
»Zweiter Abzug.«
»Retournez la carte!«
»Abgeworfen, meine Herren!«
»Dame erstochen!« - und so weiter, und so fort.
Den größten Auflauf gab es um einen Tisch, wo ein Spiel Mann gegen Mann im Gang war. Der Gastgeber persönlich hielt die Bank, als Pointeur agierte ein verschwitzter Herr im modisch auf Taille geschnittenen Rock. Ihm war das Glück sichtlich nicht hold: Er biß sich auf die Lippen, ereiferte sich, während der Graf die Kaltblütigkeit in Person war, süßlich unter seinem schwarzen Schnurrbärtchen hervorlächelte und am gebogenen türkischen Tschibuk saugte.
Behende legten die kräftigen, gepflegten, mit blitzenden Ringen geschmückten Finger die Karten aus: eine nach rechts, eine nach links.
Unter den Zuschauenden befand sich, dezent am Rande stehend, ein schwarzhaariger junger Mann mit geröteter, einem Spieler ansonsten kaum ähnlicher Physiognomie. Wer den Blick dafür hatte, sah, daß der Bursche aus gutem Hause stammte, sich zum ersten Mal an den Spieltisch verirrt hatte und noch sehr scheu war. Geschniegelte Herren mit Pomade in den Haaren hatten ihn schon ein paarmal locken wollen, »eine Karte zu riskieren«, waren jedoch enttäuscht worden: Der Junge setzte nie mehr als fünf Rubel und zeigte auch nicht die geringste Lust »festzukleben«. Der gestandene Spielmeister Gromow, den jeder Glücksspieler in Moskau kannte, hatte den Jungen zu ködern versucht, indem er ihm einen Hunderter vorschoß, doch das Geld war umsonst angelegt: Kein Glühen in den Augen des rotbäckigen Jünglings, kein Händezittern. Mit diesem Neuzugang ließ sich wohl nichts anfangen, er blieb ein ausgemachter »Kiebitz«.
Dabei hatte Fandorin (denn um ihn handelte es sich natürlich) geglaubt, als unsichtbarer Schemen durch den Saal zu wandeln und keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eingebracht hatte diese Gangart allerdings bislang nicht viel. Einmal hatte er mitbekommen, wie ein durchaus ehrbar anzusehender Herr einen halben Goldimperial vom Tisch stibitzte und anschließend voll Würde den Rückzug antrat. Zwei niedere Offiziere stritten halblaut miteinander im Korridor, Fandorin verstand nicht, worum es ging: Ein Dragonerleutnant versicherte, er sei doch kein Schnapphahn, daß er vor Freunden den schwarzen Jungen zinke, während der Husarenkornett ihn einen Mauschler nannte.
Surow, dessen Nähe Fandorin in Abständen suchte, fühlte sich in dieser Gesellschaft augenscheinlich wie ein Fisch im Wasser, und nicht irgendein Fisch: Er war der Hecht im Karpfenteich. Ein Wort von ihm genügte, um einen aufkommenden Streit im Keim zu ersticken, und einmal eilten auf einen Wink von ihm zwei propere Lakaien herzu, nahmen einen Krakeeler, der sich partout nicht beruhigen wollte, in ihre Mitte und beförderten ihn schnurstracks vor die Tür. Fandorin war sich sicher, daß der Graf ihn nicht erkannte, auch wenn er seinen flinken, bösen Blick ein paarmal auf sich gespürt hatte.
»Die fünfte, mein Wertester«, verkündete Surow - eine Mitteilung, die den Pointeur bis zum Äußersten zu erregen schien.
»Zwei Ohren für den Esel!«, rief er mit bebender Stimme und knickte zwei Ecken seiner Karte um. Ein Raunen ging durch die Umstehenden, der schwitzende Herr strich sich eine Strähne aus der Stirn und warf einen ganzen Haufen regenbogenbunter Scheine auf den Tisch.