»Was heißt das, zwei Ohren für den Esel?« erkundigte sich Fandorin verlegen bei dem rotnasigen Alten, der ihm der Harmloseste unter den Anwesenden zu sein schien.
»Es bedeutet den vierfachen Einsatz«, erläuterte der Nachbar bereitwillig. »Hiermit begehrt unser Freund in der letzten Runde volle Revanche.«
Der Graf stieß ungerührt ein Wölkchen Pfeifenrauch aus und deckte rechts einen König, links eine Sechs auf.
Der Pointeur offenbarte ein Herz As.
Surow nickte knapp und warf als nächstes ein Kreuz As rechts, einen Herz König links.
Fandorin hörte neben sich ein begeistertes Wispern: »Ein Spieler vor dem Herrn!«
Der schwitzende Herr bot einen jämmerlichen Anblick.
Er schaute dem Häuflein Banknoten nach, wie es hinter den gräflichen Ellbogen wanderte, und fragte kleinlaut: »Vielleicht ließe sich ein kleiner Kredit ermöglichen?«
»Abgelehnt«, erwiderte Surow träge. »Wer will, wer hat noch nicht, meine Herren?«
Plötzlich blieb sein Blick an Fandorin hängen.
»Wir kennen uns doch, nicht wahr?« fragte der Gastgeber mit einem unguten Lächeln. »Herr Fedorin, wenn ich nicht irre?«
»Fandorin«, korrigierte dieser und wurde dummerweise schon wieder rot.
»Pardon. Was lorgnieren Sie hier in einem fort herum? Wir sind doch nicht im Theater. Wenn Sie schon da sind, müssen Sie spielen. Ich darf bitten!« Er wies auf den frei gewordenen Stuhl gegenüber.
»Beide Blatt selbst auswählen!« wisperte der gütige Alte ihm ins Ohr.
Fandorin nahm Platz und folgte dem Rat, indem er forsch verkündete: »Wenn Euer Erlaucht gestatten, nehme ich das Recht des Neulings in Anspruch und halte die Bank. Und zwar mit dem Blatt und . dem da.« Bei diesen Worten wählte er aus dem Stapel versiegelter Kartenspiele auf dem Tablett die zwei zuunterst liegenden.
Surows Lächeln wurde noch anzüglicher.
»Warum nicht, Herr Neuling, Bedingung akzeptiert, nur unter einem Vorbehalt: Wenn ich die Bank sprenge, laufen Sie mir nicht davon. Dann steht mir noch ein Spielchen in der Vorhand zu. Also, dann wollen wir mal. Ihr Einsatz?«
Fandorin zauderte. So schnell die Kühnheit über ihn gekommen war, so schnell hatte sie ihn wieder verlassen.
»Hundert Rubel?« bot er zaghaft an.
»Soll das ein Scherz sein? Sie sind hier nicht im Wirtshaus.«
»Gut, dann dreihundert.« Erast Fandorin legte alle seine Rubel auf den Tisch - einschließlich jener hundert, die er zuvor gewonnen hatte.
»Le jeu n’en vaut pas la chandelle«, meinte der Graf achselzuckend. »Aber fürs erste mag’s angehen.«
Er zog eine Karte aus seinem Stapel und warf lässig drei Hundertrubelscheine darauf.
»Va banque.«
Stirn nach rechts! erinnerte sich Fandorin, deckte eine Dame mit roten Herzchen auf und legte sie akkurat zur Rechten vor sich hin, zur Linken folgte eine Pique Sieben.
Ippolit Surow drehte seine Karte mit zwei Fingern um und runzelte ein wenig die Stirn. Es war eine Karo Dame.
»Flotter Einstieg, Herr Neuling!« Er pfiff durch die Zähne. »Kratzt sich mit einer Dame ein.«
Fandorin mischte ungeschickt sein Blatt.
»Va banque«, sagte der Graf in albernem Ton und warf sechs Banknoten auf den Tisch. »Wagen ist besser als wägen!«
Wie hieß doch gleich die linke Karte? Fandorin kam nicht darauf. Rechts die Stirn und links, verdammt noch mal . Wie peinlich. Wenn ihn nun plötzlich einer fragte? Er konnte doch unmöglich seinen Spickzettel hervorholen.
»Bravo!« lärmte unterdessen die Runde. »C’est un jeu interessant, Graf, finden Sie nicht?«
Fandorin sah, daß er erneut gewonnen hatte.
»Hören Sie auf herumzufranzöseln, wenn ich bitten darf! Was ist das für eine dämliche Angewohnheit, die russische Sprache mit französischen Phrasen auszustopfen?« Surow warf dem Sprecher von eben einen gereizten Blick zu, obwohl man wußte, daß er selbst ab und an seine Rede mit französischen Wendungen spickte. »Spielen Sie endlich aus, Fan- dorin, spielen Sie. Das Glück ist keine Mähre, die man vom Schwanz aufzäumt. Va banque.«
Rechts: aha, ein Bube. Die Stirn. Links: eine Acht, und nennt sich ...
Surow deckte eine Zehn auf. Fandorin stach sie im vierten Abzug.
Der Tisch war mittlerweile dicht umdrängt, und Fandorins Erfolge wurden gebührend gewürdigt.
»Fandorin, Fandorin«, murmelte Surow zerstreut und trommelte mit den Fingern auf seinem Kartenstapel herum. Schließlich zog er eine Karte. Dann zählte er zweitausendvierhundert Rubel ab.
Die Pique Sechs fiel gleich beim ersten Abzug in die Stirn.
»Fandorin! Was ist das eigentlich für ein Name!« rief der Graf, der langsam in Rage geriet. »Irgend so ein falscher Grieche, was? Fandoraki, Fandoropulo!«
»Wieso Grieche?« Fandorin war beleidigt; in seinem Gedächtnis klangen noch die Spottrufe übermütiger Mitschüler nach, die seinem altertümlichen Namen galten (sein Spitzname am Gymnasium war Fandango gewesen). »Unsere Sippe ist so russisch wie die Ihre, Graf, die Fandorins haben schon am Hofe des Zaren Alexej gedient.«
»Und ob!« bekräftigte Fandorins Gönner, der rotnasige Alte von vorhin. »Unter Katharina der Großen hat es auch einen Fandorin gegeben, er hat hochinteressante Memoiren hinterlassen.«
»Memoiren kann sich wer sparen!« reimte Surow düster, während er Geldscheine zu einem richtigen kleinen Hügel zusammenschob. »Va banque! Spielen Sie aus, Teufel noch mal!«
»Le dernier coup, messieurs!« rief es aus der Menge.
Alles starrte lüstern auf die zwei gleich hohen Haufen aus zerknülltem Papiergeld, die auf dem Tisch lagen: einer vor dem Banquier, der andere vor dem Pointeur.
In vollkommener Stille riß Fandorin zwei neue Blätter auf und grübelte immer noch an derselben Frage: Homunkel? Tabernakel?
Rechts ein As, links ein As. Surow hatte einen König anzubieten. Rechts eine Dame, links eine Zehn. Rechts ein Bube, links eine Dame (Fandorin wußte schon wieder nicht mehr, was von beiden höher war). Rechts eine Sieben, links eine Sechs.
»Blast mir nicht in den Nacken!« brüllte der Graf erbost, man rückte ein Stück zurück.
Rechts eine Acht, links eine Neun. Rechts ein König, links eine Zehn. Ein König!
Die Runde johlte. Ippolit Surow saß da wie versteinert.
Orakel! durchfuhr es Fandorin, und er lächelte froh in sich hinein. Die Karte links hieß Orakel. Ein komischer Name.
Da beugte sich Surow jäh über den Tisch, seine stahlharten Finger krallten sich in Fandorins Lippen und zogen sie in die Länge.
»Hier wird nicht gegrinst! Wer kassiert, hat sich gefälligst zivil und anständig zu benehmen« zischte der Graf, völlig außer sich, und war nun ganz dicht vor ihm. Seine blutunterlaufenen Augen waren furchtbar anzusehen. Im nächsten Moment stieß er Fandorin vor das Kinn, ließ sich gegen die Lehne seines Stuhls zurückfallen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Graf, das geht zu weit!« rief einer der Offiziere.
»Ich denke, ich weiß, was ich tue«, stieß Surow durch die zusammengebissenen Zähne, während er kein Auge von Fandorin ließ. »Wenn hier einer ist, der sich beleidigt fühlt, soll er es sagen, ich stehe zur Verfügung.«
Nun herrschte wahre Totenstille.
In Fandorins Ohren rauschte es gräßlich, und er hatte nur eine Angst: jetzt zu kneifen. Das heißt, es gab noch eine - daß ihm die Stimme zittern und seinen Zustand verraten könnte.
»Sie sind ein ehrloser Gauner. Sie wollen Ihre Schuld nicht bezahlen, das ist alles«, sagte Fandorin, und seine Stimme zitterte tatsächlich, doch es war ihm schon egal. »Ich fordere Sie hiermit zum Duell.«
»Sie mimen vor Publikum den großen Helden, hab ich recht?« sagte Surow und verzog den Mund. »Dann wollen wir doch mal sehen, wie Sie sich im Angesicht der Mündung benehmen. Zwanzig Schritt, mit Barriere. Wer zuerst schießt, ist mir gleich, aber anschließend tritt er vor zur Barriere. Na, keine Angst?«