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»Stopp, stopp!« Brilling zog die Stirn in Falten. »Worauf wollen Sie hinaus? Spionage?«

»Aber natürlich!« Fandorin schlug die Hände zusammen. »Englische Intrigen! Sie wissen doch selbst, wie es um unser

Verhältnis zu England momentan steht. Ich will Lady Aster nichts Übles nachsagen, sie hat davon gewiß keine Ahnung, aber ihr Institut läßt sich gut als Deckmantel gebrauchen, als trojanisches Pferd, um in Rußland Fuß zu fassen!«

»Oha.« Der Chef lächelte ironisch. »Königin Victoria und ihr Herr Disraeli sind natürlich unzufrieden mit den Goldausbeuten in Afrika und den indischen Diamanten, da brauchen sie unbedingt noch die Tuchfabrik eines Peter Kokorin und Achtyrzews dreitausend Desjatinen in Nikolenka.«

Jetzt spielte Fandorin seinen großen Trumpf aus: »Es geht nicht so sehr um die Fabrik, nicht einmal um das Geld! Erinnern Sie sich an die Liste der Besitztümer? Ich habe auch nicht gleich darauf achtgegeben. Kokorin besaß unter anderem eine Werft in Libau, dort läßt die Kriegsmarine ihre Schiffe bauen - ich habe mich erkundigt.«

»Ach ja, wann denn?«

»Während ich auf Sie gewartet habe. Telegrafische Anfrage an das Heeres- und Marineministerium. Dort gibt es auch einen Nachtdienst.«

»Soso. Und weiter?«

»Achtyrzew gehörte außer dem Landgut, den Häusern und dem Geld ein Erdölvorkommen in Baku, das hatte er von der Tante geerbt. In der Zeitung war zu lesen, wie sehr die Engländer davon träumen, an kaspisches Öl heranzukommen. Und so hätten sie es - auf ganz legitime Weise! Die Sache war tadellos eingefädelt: entweder das Werk in Libau, oder das Öl - eines von beiden mußte den Engländern zufallen! Sie müssen es natürlich am besten wissen, Chef«, ereiferte sich Fandorin, »aber ich für mein Teil mag nicht davon ablassen. Ich werde all ihren Anweisungen Folge leisten, aber nach Dienstschluß gehe ich dieser Spur nach. Und werde unter Garantie fündig!«

Der Chef sah wieder aus dem Fenster. Diesmal schwieg er noch länger als zuvor. Fandorin zappelte vor Nervosität, doch hatte er genug Charakter, um sich zu zügeln.

Endlich seufzte Brilling und begann zu sprechen - langsam und stockend, er mußte wohl noch etwas zu Ende denken.

»Wahrscheinlich ist das alles Unsinn. Edgar Allan Poe, Eugene Sue. Pure Zufälligkeiten. Aber in einem mögen Sie recht haben: Die Anfrage an die Engländer lassen wir lieber sein. Auch nicht über unseren Residenten an der Londoner Botschaft. Sollten Sie mit Ihren Vermutungen fehlgehen - und das tun Sie bestimmt -, dann stellten wir uns als Hornochsen bloß. Und angenommen, Sie behielten recht, könnte die Botschaft ohnehin nichts ausrichten - die Engländer würden die Beshezkaja verstecken oder uns irgend etwas vormachen. Außerdem sind unseren Gesandten die Hände gebunden - sie stehen viel zu sehr in der Öffentlichkeit ... Also gut!« Brilling hieb energisch mit der Faust durch die Luft. »Ich könnte Sie zwar auch hier ganz gut gebrauchen, Fan- dorin, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich, wie der Volksmund sagt. Ich habe in Ihrer Akte gelesen, daß Sie außer Deutsch und Französisch auch ganz gut Englisch können. Fahren Sie mit Gott nach London zu Ihrer Femme fatale! Instruktionen dränge ich Ihnen keine auf, vertraue ganz auf Ihre Intuition. Ich gebe Ihnen einen Mann von der Botschaft an die Seite, Pyshow mit Namen. Er tut dort als einfacher Schriftführer Dienst, so wie Sie hier, ist aber mit anderen Dingen befaßt. Beim Außenministerium wird er als Gouvernementssekretär geführt, bei uns hat er einen noch höheren Rang. Ein vielseitig begabter Mann. Fahren Sie am besten gleich nach Ihrer Ankunft zu ihm. Er ist sehr findig. Im übrigen bin ich mir sicher, daß die Reise umsonst ist. Aber schließlich haben Sie sich das Recht auf einen Irrtum verdient. Schauen Sie sich Europa an. Exkursion auf Staatskosten! Wobei Sie derzeit, vermute ich, ganz gut bei Kasse sind?« Der Chef schielte nach dem Bündel, das herrenlos auf einem Stuhl herumlag.

Noch ganz perplex von dem, was er eben gehört hatte, fuhr Fandorin zusammen.

»Ach ja, Pardon, das ist mein Gewinn. Neuntausendsechshundert Rubel, ist nachgezählt. Ich wollte es im Kontor abliefern, aber es war zu.«

»Ach, hören Sie auf!« Brilling winkte ab. »Sind Sie bei Trost? Was soll denn der Kontorist Ihrer Meinung nach in sein Kassenbuch schreiben? Eingang Spielgewinn Kollegienregistrator Fandorin? Apropos, warten Sie mal. So einen kleinen Registratur auf Dienstreise ins Ausland zu schicken macht keinen seriösen Eindruck.«

Er setzte sich an den Tisch, tauchte die Feder ins Tintenfaß und fing, sich selbst diktierend, zu schreiben an:

»»Also. Blitztelegramm. An Fürst Michail Alexandrowitsch Kortschakow, persönlich. Abschrift an Generaladjutant La- wrenti Arkadjewitsch Misinow. Euer Hochwohlgeboren, im Interesse Ihnen bekannter Angelegenheit sowie in Anerkennung hervorragender Verdienste bitte ich den Kollegienregistrator Erast Petrowitsch Fandorin extra ordinem und in Außerachtlassung des Dienstalters zum ... ach, was soll’s, am besten gleich zum Titularrat. Ist auch kein sonstwie hohes Tier, aber immerhin ... zum Titularrat zu befördern. Ferner bitte ich, Fandorin zeitweise in das Amt des diplomatischen Kuriers erster Kategorie beim Außenministerium zu erheben. Damit Sie nicht unnötig an der Grenze aufgehalten werden!« erläuterte Brilling. »So. Datum, Unterschrift. Übrigens werden Sie tatsächlich gleich ein bißchen diplomatische Post befördern: Berlin, Wien, Paris, liegt alles am Weg. Der Konspiration halber, damit keiner Verdacht schöpft. Irgendwelche Einwände?« Brillings Augen blitzten schelmisch.

»Nein, nein«, stammelte Fandorin, der Mühe hatte, den sich überschlagenden Ereignissen mit den Gedanken zu folgen.

»Und dann reisen Sie von Paris aus inkognito weiter nach London. Wie hieß das Hotel gleich noch mal?«

ZEHNTES KAPITEL,

in welchem es um ein blaues Portefeuille geht

Am frühen Abend des 28. Juni (also dem 16. des in Rußland gültigen Kalenders) hielt vor dem Hotel »Winter Queen«, an der Gray Street gelegen, eine Mietkutsche. Der Kutscher in Zylinder und weißen Handschuhen sprang vom Bock, klappte ein Trittbrett herunter und öffnete, sich verbeugend, den schwarzlackierten Schlag mit der Aufschrift:

DUNSTER & DUNSTER SINCE 1848.

LONDON REGAL TOURS

Erst streckte sich ein saffianlederner, mit Silbernägeln beschlagener Straßenschuh aus der Tür, dann folgte mit einem behenden Sprung der junge Gentleman in seiner ganzen Pracht: mit üppigem Schnauzer, der zur zarten Physiognomie so gar nicht passen wollte, federgeschmücktem Tirolerhut und weiter Alpenpelerine. Der junge Mann schaute sich um, und da er nichts als eine stille, unauffällige kleine Straße zu sehen bekam, blieb sein aufgeregter Blick schnell an dem Hotelgebäude hängen: ein vierstöckiger, recht unansehnlicher Bau im georgianischen Stil, der sichtlich schon bessere Zeiten gekannt hatte.

Der junge Gentleman zögerte noch. Dann sprach er zu sich selbst auf russisch: »Ach, was soll’s.«

Nach dieser rätselhaften Formel lief er die Stufen hinauf und betrat das Vestibül.

Buchstäblich eine Sekunde später trat aus dem gegenüberliegenden Pub ein Mann im schwarzen Regenmantel und begann, die hohe Mütze mit dem glänzenden Schild tief in die Augen gezogen, vor der Hoteltür auf und ab zu spazieren.

Doch entging dieser bemerkenswerte Umstand der Aufmerksamkeit des Ankömmlings, da er bereits vor dem Tresen stand und das ausdruckslose Bildnis einer mittelalterlichen Dame mit prächtigem Jabot betrachtete - das mußte die »Winterkönigin« sein. Der dösende Portier begrüßte den Fremden mit Gleichmut; als er jedoch sah, daß der Boy, obwohl er nur den Reisesack hereingetragen hatte, einen ganzen Shilling erhielt, grüßte er noch einmal und sehr viel freundlicher, wobei er den Gast nun nicht mehr mit Sir, sondern mit Your Honour ansprach.