Выбрать главу

»Ach so, Biggel, ja«, die Gouvernante ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. »Das heißt, nein, Biggel hatte der Herr geine. Er hatte gute, gesunde Haut. Aber das Gesicht war nicht gut.«

»Wie meinen Sie das?«

»Es war böse. Der guggte, als wollte er nicht sich umbringen, sondern wen ganz anderes. Oh, das war gräßlich!« Emma Gottliebowna wurde von Erinnerungen überwältigt. »Und das im allerwärtesten Sonnenschein! Die Damen und Herren schbazieren, der Garten herrlich, in voller Blüte!«

Fandorin war bei dem etwas anzüglichen Wort »allerwertesten« flammend rot geworden und schielte aus den Augenwinkeln nach Lisanka hinüber, die aber schien an die leicht verschrobene Ausdrucksweise ihrer Duena gewöhnt und blickte so sonnig und zutraulich wie vorher.

»Aber hatte er einen Zwicker? Vielleicht nicht auf der Nase, aber irgendwie aus der Tasche hängen, so am seidenen Bändchen?« Die Gouvernante wurde nun mit Fragen überschüttet. »Und kam er Ihnen nicht irgendwie krumm vor? Ach, und noch etwas: Ich weiß, er trug einen Gehrock, aber trotzdem, vielleicht erinnerte Sie irgend etwas an ihm an einen Studenten? Monturhosen vielleicht? Haben Sie darauf achtgegeben?«

»Ich habe stäts auf alles achtgegäben!« versetzte die Deutsche mit Würde. »Die Hosen waren gariert, aus teurer Baumwolle. Ein Zwigger war nicht. Grumm auch nicht. Der Herr hatte gute Haltung.« Sie stutzte und fragte noch einmal nach. »Grumm, mit Zwigger und Student? Warum fragen Sie das?«

»Warum nicht?« fragte Erast Fandorin gespannt.

»Eigenartig. Da war ein Herr. Ein grummer Student mit Zwigger.«

»Wie? Wo?« ächzte Fandorin.

»So einen Herrn habe ich gesehen . wie sagt man: jenseits ... also hinter dem Zaun, auf der Straße. Er stand da und guggte zu uns. Ich dachte noch, der Herr Student, der hilft bestimmt uns gleich und vertreibt den schregglichen Menschen. Ja, und der ging sähr grumm. Das hab ich hinterher gesehen, als der Herr sich hatte schon totgeschossen. Wie der Student hat sich umgedreht und ist weggerannt, da sah ich, wie grumm der ging. Das gommt, wenn man die Ginder nicht gleich lehrt gerade sitzen. Gerade sitzen ist wichtig. Meine Zöglinge sitzen immer gerade. Sähen Sie das Fräulein Baronesse. Wie gerade Sie den Rücken hält. Das ist sähr schön!«

Worauf Baronesse Jelisaweta Alexandrowna errötete, und zwar so allerliebst, daß Fandorin umgehend den Faden verlor - obwohl der Hinweis des Fräulein Pfuhl selbstverständlich von außerordentlicher Brisanz war.

VIERTES KAPITEL,

welches von der unheilvollen Macht der Schönheit kündet

Am nächsten Tag, gegen elf Uhr morgens, steuerte Erast Fandorin, von seinem Vorgesetzten belobigt und gar mit drei Rubeln für extraordinäre Ausgaben versehen, auf das gelbe Universitätsgebäude an der Mochowaja zu. Seine Aufgabe war simpel, sie zu lösen bedurfte jedoch eines glücklichen Zufalls: Es galt, den krummen, nicht eben ansehnlichen, teils pickligen Studenten mit Zwicker am Seidenband ausfindig zu machen. Dabei konnte es natürlich sein, daß der verdächtige Herr überhaupt nicht an der Universität studierte, sondern zum Beispiel an der Technischen Hochschule, der Forstakademie oder gar an irgendeinem Markscheidekund- lichen Institut, doch hatte Xaveri Gruschin (mit einem Seitenblick, nicht frei von freudigem Staunen) seinem jungen Gehilfen darin zugestimmt, daß der »Grumme« am wahrscheinlichsten dort immatrikuliert war, wo auch der tote Ko- korin studiert hatte, nämlich an der Juristischen Fakultät der Universität.

Hurtig lief Fandorin, in Zivil gekleidet, die ausgetretenen gußeisernen Stufen hinauf durch das Hauptportal, vorbei an dem bärtigen Türhüter in grüner Livree. Er bezog eine günstige Position im Halbrund jener Fensternische, von der aus man das Foyer mitsamt der Garderobe, den Hof und sogar die beiden in die Seitenflügel führenden Gänge bestens im Blick hatte. Zum ersten Mal, seit der Vater tot und das Leben des Sohnes vom geradlinigen Weg abgekommen war, vermochte er die geheiligten gelben Universitätsmauern anzuschauen, ohne daß ein weher Gedanke daran aufkam, was hätte werden können und nicht hatte sein sollen. Denn er konnte nun nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, was spannender war und nützlicher für die Gesellschaft zumaclass="underline" die Paukerei eines Studenten oder das rauhe Leben eines Kriminalpolizisten, der in einem wichtigen und gefährlichen Fall ermittelte. (Nun ja: wenn schon nicht gefährlich, so doch äußerst verantwortungs- und geheimnisvoll.)

Etwa jeder vierte Student, der in den Blick des wachsamen Beobachters geriet, trug einen Zwicker, etliche gar am Seidenband. Die Physiognomie etwa jedes fünften war von Pickeln verunziert. Krumm gingen auch nicht wenige. Doch wollten sich die drei Anzeichen partout in keinem Subjekt vereinigen.

Nach einer reichlichen Stunde wurde Fandorin hungrig, holte sein Wurstbrot aus der Tasche und stärkte sich, ohne den Posten zu verlassen. Unterdessen war es ihm gelungen, das Herz des bärtigen Türhüters zu gewinnen, der sich von ihm Mitritsch nennen ließ und dem jungen Mann bereits einige höchst wertvolle Ratschläge hinsichtlich der Aufnahme an die »Niwirsität« gegeben hatte. Bislang war Fandorin dem geschwätzigen Alten als Hinterwäldler gekommen, mit dem sehnlichen Traum, die Knöpfe mit dem Universitätswappen am Rock zu tragen. Er überlegte schon, ob er seine Legende nicht ändern und Mitritsch ohne Umschweife nach dem pickeligen Krummen fragen sollte, als der Diener ein neues Mal eilfertig die Mütze vom Kopf zog und die Tür aufriß. Dieses Ritual vollzog Mitritsch immer, wenn ein Professor oder ein wohlhabender Student nahte, und bekam dafür hin und wieder eine Kopeke, manchmal auch einen Fünfer zugesteckt. Fandorin blickte auf und sah, daß ein Student auf sie

zukam, der eben an der Garderobe seinen feschen Regenmantel aus Samt (Schnallen in Form von Löwentatzen!) in Empfang genommen hatte. Auf der Nase des Gecken prangte ein Zwicker, auf der Stirn blühten die schönsten Pickel. Fan- dorin beugte sich vor, die Haltung des jungen Mannes zu begutachten, doch die Pelerine und der hochgeschlagene Kragen des verfluchten Regenmantels verhinderten eine Diagnose.

Der Türhüter verbeugte sich. »Angenehmen Abend, Nikolai Stepanitsch. Belieben wir eine Droschke zu nehmen?«

»Hat es denn nicht aufgehört zu regnen, Mitritsch?« fragte der Picklige mit dünner Stimme. »Dann laufe ich lieber, genug gesessen!« Und mit zwei Fingern der weiß behand schuhten Linken ließ er eine Münze in die vorgestreckte Hand fallen.

»Wer war das?« flüsterte Fandorin, während er dem Gecken angestrengt hinterhersah. Konnte es sein, daß er doch etwas krumm ging?

»Achtyrzew, Nikolai Stepanowitsch. Einer von den ganz Reichen, adliges Blut«, gab Mitritsch ehrfürchtig Auskunft. »Nie gibt er weniger als wie einen Fünfer.«

Fandorin überkam es siedend heiß. Achtyrzew! Etwa der von Kokorin bestellte Testamentsvollstrecker?

Schon verbeugte Mitritsch sich vor dem nächsten Dozenten, einem langhaarigen Magister der Physik. Als er sich wieder umdrehte, erwartete ihn eine Überraschung: Der junge, höfliche Provinzhase war wie vom Erdboden verschluckt.

Das schwarze Samtmantel war von weitem nicht zu verkennen, und Fandorin hatte den Verdächtigen schnell eingeholt, ihn anzusprechen konnte er sich jedoch nicht entschließen. Womit hätte er diesem Achtyrzew kommen sollen? Selbst wenn ihn Kukin, der Krämer, und Jungfer Pfuhl (hier seufzte Fandorin schwer, denn er dachte sogleich - und zum wievielten Male schon! - an Lisanka) bei einer Gegenüberstellung identifizierten - was hatte man davon? War es nicht besser, der Lehre des großen Fouche, jener unübertroffenen Koryphäe der detektivischen Künste, zu folgen und die Beschattung des Objekts aufzunehmen?

Gesagt, getan. Zumal das Objekt nicht schwer zu beschatten war. Achtyrzew ließ sich Zeit und bummelte in Richtung Twerskoi Boulevard blickte sich nicht um, streifte höchstens dann und wann eine der hübschen Modistinnen mit einem Blick. Ein paar Mal wagte sich Fandorin so nahe heran, daß er hören konnte, wie der Student fröhlich die Arie des Smith aus dem »Schönen Mädchen von Perth« vor sich hin pfiff. Augenscheinlich war der verhinderte Selbstmörder (wenn er es denn war) bei bester Laune. Vor »Korffs Tabakladen« blieb der Student stehen und betrachtete lange die Zigarrenschachteln in der Auslage, betrat den Laden jedoch nicht. Fandorin kam immer mehr zu der Überzeugung, daß sein »Objekt« sich auf eine anberaumte Stunde hin die Zeit vertrieb. Diese Überzeugung wurde bestärkt, als Achtyrzew die goldene Taschenuhr hervorzog, den Deckel aufklappen ließ und, seinen Schritt um ein weniges beschleunigend, weiterlief, wobei er nunmehr den forscheren Chor der Gassenjungen aus der neumodischen Oper »Carmen« zu intonieren begann.