»Natürlich, natürlich«, antwortete der Oberst sorglos. »Mein Lieber, jeder Ihrer Freunde ist willkommen. Er wird sich sicherlich als eine Bereicherung herausstellen.«
»Der wird sich sein Gesicht schwarz anmalen, wenn Sie das meinen«, rief Blount lachend. »Der wird euch allen was vormachen. Mir nur recht; ich bin nicht anspruchsvoll. Ich liebe die fröhliche alte Pantomime, in der sich ein Mann auf seinen Zylinder setzt.«
»Aber bitte nicht auf meinen«, sagte Sir Leopold Fischer würdevoll.
»Schon recht«, sagte Crook leichthin, »keinen Streit deswegen. Schließlich gibt es billigere Späße, als sich auf einen Zylinder setzen.«
Abneigung gegen den rotbeschlipsten Jüngling, sowohl wegen seiner raubsüchtigen Ansichten als auch wegen seiner offenkundigen Vertrautheit mit dem hübschen Patenkind, veranlaßte Fischer dazu, in seiner sarkastischsten und belehrendsten Art zu sagen: »Zweifellos haben Sie etwas entdeckt, was noch billiger ist, als auf einem Zylinder zu sitzen. Was ist das bitte?«
»Zum Beispiel einen Zylinder auf sich sitzen zu lassen«, sagte der Sozialist.
»Halt, halt, halt«, rief der Kanadier in seiner barbarischen Gutmütigkeit, »wir wollen einen fröhlichen Abend doch nicht verderben. Ich meine, wir sollten heute abend etwas für die Geselligkeit tun. Nicht Gesichter anschwärzen oder auf Hüten sitzen, wenn Ihr das nicht mögt – aber irgendwas in der Art. Warum führen wir nicht eine gute altenglische Pantomime auf, so mit Clown und Columbine und so. Ich habe eine gesehen, als ich England als Zwölfjähriger verließ, und seither funkelt sie wie ein Feuerwerk in meiner Erinnerung. Und als ich im vergangenen Jahr nach England zurückkomme, muß ich feststellen, daß es das nicht mehr gibt. Nur noch tränenreiche Märchenspiele. Ich wünsch mir einen rotglühenden Schürhaken und einen Polizisten, aus dem man Brennholz macht, und statt dessen bekomm ich Prinzessinnen, die im Mondschein moralisieren, Blaustrumpf sozusagen. Blaubart ist mehr nach meinen Geschmack, und den mag ich am liebsten, wenn er sich in einen Hanswurst verwandelt.«
»Ich bin sehr für die Verwandlung von Polizisten in Brennholz«, sagte John Crook. »Das ist eine weit bessere Definition von Sozialismus als die vorhin abgegebenen. Aber die Vorbereitungen wären viel zu aufwendig.«
»Nicht die Spur«, rief Blount, den es nun völlig hinriß. »Eine Hanswurstiade ist das einfachste, was wir überhaupt tun können, und zwar aus zwei Gründen. Erstens kann man auf Teufelkommraus improvisieren; und zweitens sind alle nötigen Requisiten Haushaltsgegenstände – Tische und Handtuchhalter und Wäschekörbe und solches Zeugs.«
»Stimmt schon«, gab Crook zu und nickte eifrig und ging auf und ab. »Tut mir nur leid, daß ich keine Polizeiuniform auftreiben kann! Aber ich hab in der letzten Zeit keinen Polizisten umgebracht.«
Blount runzelte für eine Weile nachdenklich die Stirn, dann schlug er sich auf die Schenkel. »Können wir doch!« rief er. »Ich habe hier Florians Adresse, und der kennt jeden Kostümverleih in London. Ich ruf ihn an, daß er ne Polizeiuniform mitbringt, wenn er kommt.« Und er eilte von dannen, dem Telephon zu.
»Ach ist das herrlich, Onkel«, rief Ruby und tanzte beinahe los. »Ich bin Columbine und du wirst Hanswurst.«
Der Millionär hielt sich steif in einer fast heidnischen Würde. »Ich fürchte, meine Liebe«, sagte er, »du wirst jemand anderen zum Hanswurst machen müssen.«
»Wenn du willst, werde ich der Hanswurst sein«, sagte Oberst Adams, der die Zigarre aus dem Mund nahm und zum ersten- und letztenmal sprach.
»Man sollte Ihnen ein Denkmal setzen«, rief der Kanadier, als er strahlend vom Telephon zurückkam. »Damit haben wir alles zusammen. Mr. Crook wird der Clown sein; er ist Journalist und kennt die ältesten Witze. Ich kann den Harlekin machen; der braucht nur lange Beine und herumzuspringen. Freund Florian hat gesagt, daß er ne Polizistenuniform mitbringt; er will sich unterwegs schon umziehen. Wir können hier in der Halle spielen, das Publikum sitzt drüben auf den breiten Treppenstufen, eine Reihe über der anderen. Die Eingangstür ist der Hintergrund, entweder offen oder geschlossen. Geschlossen ist das ein englisches Interieur. Offen ein Garten im Mondschein. Geht alles wie durch Zauberei.« Und er holte ein zufälliges Stück Billardkreide aus der Hosentasche und zog mit ihm halbenwegs zwischen Eingangstür und Treppenaufgang einen Strich, um die Reihe der Rampenlichter zu markieren.
Wie es gelang, auch nur ein solches Theater des Unfugs beizeiten in Szene zu setzen, bleibt ewig ein Rätsel. Aber sie machten sich mit jenem unbekümmerten Eifer ans Werk, der lebt, wenn Jugend im Haus ist; und Jugend war in jener Nacht in jenem Haus, auch wenn nicht alle die beiden Gesichter und Herzen erkannt haben mögen, aus denen sie flammte. Wie üblich gerieten die Einfälle gerade wegen der Zahmheit der bourgeoisen Konventionen, aus denen sie erschaffen werden mußten, immer toller und toller. Die Columbine sah in ihrem Reifrock bezaubernd aus, der sonderbar dem großen Lampenschirm aus dem Salon glich. Clown und Hanswurst machten sich weiß mit Mehl von der Köchin und rot mit Rouge von einem anderen dienstbaren Geist, der (wie alle wahren christlichen Wohltäter) namenlos blieb. Der Harlekin, bereits bekleidet mit Silberpapier aus Zigarrenkisten, wurde mit Mühe daran gehindert, den alten viktorianischen Kronleuchter zu zerschlagen, um sich mit funkelnden Kristallen zu bedecken. Er hätte das wohl tatsächlich getan, wenn Ruby nicht Theaterjuwelen ausgegraben hätte, die sie einst auf einem Kostümfest als Diamantenkönigin getragen hatte. Ihr Onkel, James Blount, geriet tatsächlich in seiner Aufregung fast außer Rand und Band; er benahm sich wie ein Schuljunge. Er stülpte Father Brown plötzlich einen Eselskopf aus Papier über, welcher ihn geduldig trug und selbst einen geheimnisvollen Weg fand, mit den Ohren zu wackeln. Er versuchte sogar, den papierenen Eselsschwanz Sir Leopold Fischer an die Frackschöße zu heften. Das aber wurde stirnrunzelnd zurückgewiesen. »Onkel ist wirklich zu verrückt«, rief Ruby Crook zu, dem sie in tiefer Ernsthaftigkeit einen Kranz aus Würsten um die Schultern geschlungen hatte. »Warum ist er nur so wild?«
»Er ist der Harlekin zu Ihrer Columbine«, sagte Crook. »Und ich bin nur der Clown, der die alten Witze reißt.«
»Ich wollte, Sie wären der Harlekin«, sagte sie und ließ den Kranz aus Würsten schwingen.
Father Brown wanderte, obwohl er jedes Detail kannte, das hinter den Kulissen entstand, und selbst Beifall errungen hatte durch seine Umgestaltung eines Kissens in ein Pantomimenbaby, wieder nach vorne und setzte sich unter die Zuschauer mit all der feierlichen Erwartung eines Kindes vor seinem ersten Theaterbesuch. Der Zuschauer waren wenige, Verwandte, ein paar Freunde aus dem Ort und die Dienstboten; Sir Leopold saß vornan so, daß seine breite und immer noch pelzbekragte Gestalt den Blick des kleinen Klerikers hinter ihm weitgehend verdunkelte; doch hat kein Kunstausschuß je entschieden, ob dem Kleriker dadurch viel entging. Die Pantomime war äußerst chaotisch, doch keineswegs zu verachten; es durchströmte sie eine wilde Improvisationslust, die vor allem von Crook, dem Clown ausging. Er war auch gewöhnlich ein gescheiter Mann, doch an diesem Abend befeuerte ihn eine wilde Allwissenheit, eine Narrheit weiser als die Welt, wie sie einen jungen Mann überkommt, der für einen Augenblick einen bestimmten Ausdruck auf einem bestimmten Gesicht gesehen hat. Er sollte der Clown sein und war in Wirklichkeit fast alles andere auch, der Autor (so weit es da einen Autor gab), der Souffleur, der Bühnenbildner, der Kulissenschieber, vor allem aber auch das Orchester. Jäh wirbelte er sich von Zeit zu Zeit inmitten der zügellosen Vorstellung in vollem Kostüm ans Piano und hämmerte irgendeinen ebenso absurden wie passenden Gassenhauer herunter.
Der Höhepunkt davon, wie von allem übrigen, war der Augenblick, in dem die beiden Flügel der Vordertür im Hintergrund der Bühne aufflogen und den lieblich vom Monde beschienenen Garten sichtbar machten, noch sichtbarer aber den berühmten professionellen Gast – den großen Florian, verkleidet als Polizisten. Der Clown am Klavier spielte den Chor der Schutzleute aus den Pirates of Penzance, doch ging der in betäubendem Applaus unter, denn jede Geste des großen Komikers war eine bewunderungswürdige, wenngleich zurückhaltende Darbietung des Auftretens und Benehmens eines wirklichen Polizisten. Der Harlekin sprang ihn an und hieb ihm über den Helm; der Pianist pianierte »Wo hast du denn den Hut gekauft?«; er sah sich um in wunderbar gespieltem Erstaunen, und dann hieb ihn der springende Harlekin erneut (während der Pianist ein paar Takte von »Und dann taten wir’s noch mal« anspielte). Dann warf sich der Harlekin dem Polizisten direkt in die Arme und stürzte unter donnerndem Applaus auf ihn drauf. Und dann gab der fremde Schauspieler jene berühmte Darstellung des Toten Mannes, davon der Ruhm noch heute durch Putney wabert. Es schien fast unmöglich, daß ein lebender Mensch sich so schlaff machen könne.