Der Mann namens Angus leerte seine Kaffeetasse und betrachtete sie mit sanften und geduldigen Augen. Ihr Mund verzog sich zu einem leichten Lachen, als sie fortfuhr: »Sie werden sicher an den Anschlagsäulen all diese Anzeigen für ›Smythes Stummer Dienst‹ gesehen haben? Oder Sie müßten der einzige Mensch sein, der sie nicht gesehen hat. Ich weiß natürlich nicht viel darüber, irgend so eine Uhrwerkerfindung, durch die alle Hausarbeit mittels Maschinen erledigt werden kann. Sie wissen schon, die Art von ›Drücken Sie auf den Knopf – Ihr Diener der Niemals Trinkt‹. ›Ziehen Sie am Hebel – 10 Hausmädchen, die Niemals Flirten‹. Sie müssen die Anzeigen auch gesehen haben. Nun ja, was immer das auch für Apparate sein mögen, sie bringen haufenweise Geld ein; und das alles für den kleinen Kobold, den ich da hinten in Ludbury gekannte habe. Ich kann mir nicht helfen, aber ich freue mich, daß der arme kleine Kerl auf die Füße gefallen ist; aber Tatsache ist auch, daß ich entsetzliche Angst davor habe, er könnte jede Sekunde auftauchen und mir mitteilen, daß er aus eigener Kraft seinen Weg im Leben gemacht hat – was er ja auch wirklich geschafft hat.«
»Und der andere?« wiederholte Angus in einer Art hartnäckiger Gelassenheit.
Laura Hope stand plötzlich auf. »Mein Freund«, sagte sie. »Ich glaube, Sie sind ein Hexer. Ja, Sie haben recht. Ich habe von dem anderen Mann keine einzige Zeile bekommen; und ich habe nicht die geringste Ahnung, was oder wo er ist. Aber er ist es, vor dem ich mich fürchte. Er ist es, der immer um mich herum ist. Er ist es, der mich halb verrückt gemacht hat. Ich habe tatsächlich das Gefühl, daß er mich verrückt gemacht hat; denn ich habe seine Gegenwart gespürt, wo er nicht sein konnte, und ich habe seine Stimme gehört, wo er nicht gesprochen haben kann.«
»Schön, meine Liebe«, sagte der junge Mann heiter, »und wenn er Satan persönlich wäre, jetzt, da Sie zu jemandem darüber gesprochen haben, ist er erledigt. Verrückt wird man allein, altes Mädchen. Aber wann haben Sie sich denn eingebildet, Sie hätten unseren schielenden Freund gespürt und gehört?«
»Ich habe James Welkin ebenso deutlich gehört, wie ich Sie reden höre«, sagte das Mädchen fest. »Niemand war da, denn ich stand gerade vor dem Geschäft an der Ecke und konnte beide Straßen zugleich beobachten. Ich hatte schon vergessen, wie er lachte, obwohl sein Lachen ebenso eigenartig war wie sein Schielen. Ich hatte fast ein Jahr lang nicht mehr an ihn gedacht. Aber es ist die heilige Wahrheit, daß wenige Sekunden danach der erste Brief seines Rivalen ankam.«
»Haben Sie eigentlich das Gespenst je zum Sprechen oder Quietschen oder sonstwas gebracht?« fragte Angus mit einigem Interesse.
Laura schauderte es plötzlich, doch dann sagte sie mit unerschütterter Stimme: »Ja. Gerade als ich den zweiten Brief von Isidore Smythe gelesen hatte, in dem er mir seinen Erfolg mitteilte, gerade da hörte ich Welkin sagen: ›Und er soll dich doch nicht haben.‹ Es war so deutlich, als ob er im Zimmer wäre. Es ist furchtbar; ich glaube, ich bin schon verrückt.«
»Wenn Sie wirklich verrückt wären«, sagte der junge Mann, »würden Sie sich einbilden, Sie seien normal. Im übrigen aber scheint mir da wirklich etwas Zweifelhaftes um diesen unsichtbaren Herrn zu sein. Zwei Köpfe sind besser als einer – ich erspare Ihnen Anspielungen auf andere Körperteile –, und wenn Sie mir jetzt als einem handfesten praktischen Mann erlauben würden, den Hochzeitskuchen wieder aus dem Schaufenster zu holen – «
Während er noch sprach, war da eine Art von stählernem Schrillen in der Straße draußen, und ein kleines Auto, das mit teuflischer Geschwindigkeit gefahren wurde, schoß vor die Tür des Ladens und stoppte. Und fast noch im gleichen Augenblick stand stampfend ein kleiner Mann mit einem glänzenden Zylinder im Vorraum.
Angus, der bisher eine heitere Gelassenheit aus Gründen der geistigen Hygiene bewahrt hatte, verriet nun die Anspannung seiner Seele, indem er jählings aus dem Hinterzimmer stürmte und dem Neuankömmling entgegentrat. Ein Blick auf ihn genügte völlig, um die wilden Vermutungen eines verliebten Mannes zu bestätigen. Diese äußerst flinke aber zwergische Gestalt, die den schwarzen Bart mit seiner Spitze anmaßend vorstreckte, die schlauen ruhelosen Augen, die niedlichen aber sehr nervösen Finger, das konnte kein anderer sein als der ihm gerade erst beschriebene Mann: Isidore Smythe, der aus Bananenschalen und Streichholzschachteln Puppen schuf; Isidore Smythe, der aus metallenen abstinenten Dienern und flirtlosen Hausmädchen Millionen schuf. Für einen Augenblick sahen sich die beiden Männer, die instinktiv einer des anderen Besitzermiene verstanden, mit jener sonderbaren kalten Großmütigkeit an, die das Wesen der Rivalität ist.
Mr. Smythe jedoch spielte in keiner Weise auf den tiefsten Grund ihrer Gegnerschaft an, sondern sagte einfach und explosiv: »Hat Miss Hope das Ding am Fenster gesehen?«
»Am Fenster?« wiederholte der verblüffte Angus.
»Keine Zeit, andere Dinge zu erklären«, sagte der kleine Millionär knapp. »Hier geht irgendein Unsinn vor, der untersucht werden muß.«
Er wies mit seinem polierten Spazierstock auf das Fenster, das kürzlich durch die Hochzeitsvorbereitungen von Mr. Angus ausgeräumt worden war; und dieser Herr sah erstaunt einen langen Streifen Papier über das Glas geklebt, der sich gewißlich nicht am Fenster befunden hatte, als er kurz zuvor hindurchgeschaut. Er folgte dem energischen Smythe hinaus auf die Straße und stellte fest, daß etwa anderthalb Meter lang Reste von Briefmarkenbögen sorgfältig über die Scheibe geklebt worden waren und daß darauf in krakeligen Buchstaben geschrieben war: »Wenn du Smythe heiratest, wird er sterben.«
»Laura«, sagte Angus und schob seinen großen roten Schopf in den Laden, »Sie sind nicht verrückt.«
»Das ist die Schrift von dem Kerl Welkin«, sagte Smythe mürrisch. »Ich hab ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, aber er hat mich ständig belästigt. In den letzten vierzehn Tagen hat er mir fünfmal Drohbriefe in die Wohnung geschickt, und ich kann nicht einmal herausfinden, wer sie da hinbringt, geschweige denn, ob er es selber tut. Der Portier des Hauses schwört, daß man keine verdächtige Gestalt gesehen habe, und jetzt klebt er hier eine Art Tapetensockelstreifen auf ein öffentliches Schaufenster, während die Leute im Laden – «
»Jaha«, sagte Angus bescheiden, »während die Leute im Laden ihren Tee genießen. Nun, Sir, ich versichere Ihnen, daß ich Ihre vernünftige Art schätze, die Angelegenheit so unmittelbar anzugehen. Über andere Dinge können wir später sprechen. Der Bursche kann noch nicht sehr weit sein, denn ich beschwöre, daß da noch kein Papier war, als ich zuletzt zum Fenster ging, vor 10 oder 15 Minuten. Auf der anderen Seite ist er inzwischen zu weit weg, als daß wir ihn jagen könnten, da wir nicht einmal die Richtung wissen. Wenn Sie meinen Rat annehmen wollen, Mr. Smythe, dann übergeben Sie diese Angelegenheit sofort einem energischen Untersucher, einem privaten eher als einem öffentlichen. Ich kenne da einen ungemein klugen Burschen, der sein Büro knapp 5 Minuten von hier hat, wenn wir mit Ihrem Wagen fahren. Er heißt Flambeau, und obwohl seine Jugend ein bißchen stürmisch war, ist er heute doch ein absolut ehrlicher Mann, und sein Gehirn ist Geld wert. Er wohnt in den Lucknow Mansions in Hampstead.«
»Das ist merkwürdig«, sagte der kleine Mann und wölbte seine schwarzen Augenbrauen. »Ich selbst wohne in den Himalaya Mansions, um die Ecke. Wollen Sie vielleicht mit mir kommen; ich kann dann in meine Wohnung gehen und diese komischen Welkin-Dokumente heraussuchen, während Sie hinüber laufen und Ihren Freund, den Privatdetektiv, holen.«