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»Hallo!« sagte er. »Schnupftabak!«

Er nahm eine der Kerzen, zündete sie sorgfältig an, kam zurück und steckte sie in den Hals der Whiskyflasche. Die unruhige Nachtluft, die durch das zerbrochene Fenster fuhr, ließ die lange Kerzenflamme wie ein Banner wehen. Und rings um die Burg konnte man die schwarzen Föhren Meilen über Meilen wie eine schwarze See um den Felsen rauschen hören.

»Ich will das Verzeichnis verlesen«, begann Craven ernst und hob eines der Papiere auf, »ein Verzeichnis von dem, was wir zusammenhanglos und unerklärlich in der Burg fanden. Sie müssen wissen, daß die Burg fast ausgeräumt und vernachlässigt ist; ein oder zwei Räume sind aber von jemandem in einem einfachen aber keineswegs ärmlichen Stil bewohnt worden; jemand, der nicht der Knecht Gow war. Hier ist die Liste:

Erstens. Ein sehr beachtlicher Hort wertvoller Steine, fast alles Diamanten, und alle lose, ohne jede Fassung. Selbstverständlich ist es nur natürlich, daß die Ogilvies Familienschmuck besaßen; nun sind dies genau die Schmucksteine, die fast immer in besondere Fassungen eingesetzt werden. Die Ogilvies aber scheinen sie lose wie Kupfermünzen in den Taschen getragen zu haben.

Zweitens. Haufen über Haufen loser Schnupftabak, nicht etwa in einer Büchse oder auch nur in einem Beutel, sondern in losen Haufen auf den Wandsimsen, auf der Anrichte, auf dem Piano, überall. Es hat den Anschein, als ob der alte Herr sich nicht die Mühe machen wollte, in einer Tasche zu suchen oder einen Deckel aufzuklappen.

Drittens. Hier und da im Haus sonderbare kleine Häufchen aus winzigen Metallteilen, manche in der Form von Stahlfedern und andere in der von mikroskopischen Rädchen. Als ob man irgendein mechanisches Spielzeug auseinandergenommen hätte.

Viertens. Die Wachskerzen, die man in Flaschenhälse stecken muß, weil nichts anderes da ist, sie hineinzustecken.

Nun bitte ich Sie zu beachten, wieviel sonderbarer all dieses ist als das, was wir erwartet haben. Auf das Haupträtsel waren wir vorbereitet; wir haben alle auf den ersten Blick gesehen, daß mit dem letzten Earl irgend etwas nicht in Ordnung war. Wir kamen hierher, um herauszufinden, ob er wirklich hier lebte, ob er wirklich hier starb, ob jene rothaarige Vogelscheuche, die ihn begrub, etwas damit zu tun hat, daß er starb. Stellen Sie sich von mir aus die übelste all dieser Möglichkeiten vor, die finsterste oder melodramatischste Lösung nach Belieben. Stellen Sie sich vor, der Diener tötete wirklich den Herrn, oder stellen Sie sich vor, der Herr ist nicht wirklich tot, oder stellen Sie sich den Herrn als Diener verkleidet vor, oder stellen Sie sich den Diener an der Stelle des Herrn begraben vor; erfinden Sie sich welche Tragödie auch immer im Stil von Wilkie Collins, aber dann haben Sie immer noch nicht eine Kerze ohne Kerzenhalter erklärt, oder warum ein älterer Herr aus gutem Hause gewohnheitsmäßig Schnupftabak auf dem Piano verstreuen sollte. Den Kern der Geschichte können wir uns vorstellen; es sind die Ränder, die rätselvoll sind. Selbst die wildeste Phantasie des menschlichen Geistes kann Schnupftabak und Diamanten und Wachs und loses Uhrwerk nicht miteinander verbinden.«

»Ich glaube, ich sehe die Verbindung«, sagte der Priester. »Dieser Glengyle haßte die Französische Revolution. Er war begeisterter Anhänger des ancien régime, und deshalb versuchte er, das Familienleben der letzten Bourbonen buchstäblich nachzuspielen. Er hatte Schnupftabak, denn das war der Luxus des 18. Jahrhunderts; Wachskerzen, denn sie waren die Beleuchtung des 18. Jahrhunderts; die mechanischen Eisenstückchen stellen die Uhrmacherei von Ludwig XVI. dar; die Diamanten sind für das Halsband Marie Antoinettes bestimmt.«

Die beiden anderen Männer starrten ihn mit aufgerissenen Augen an. »Welch eine vollkommen ungewöhnliche Idee!« rief Flambeau. »Glauben Sie wirklich, daß das die Wahrheit ist?«

»Ich bin absolut sicher, daß sie das nicht ist«, antwortete Father Brown, »nur sagten Sie, daß niemand Schnupftabak und Diamanten und Uhrwerk und Kerzen in eine Beziehung bringen könnte. Ich habe Ihnen eine solche Beziehung aus dem Ärmel geschüttelt. Die wirkliche Wahrheit liegt mit Sicherheit tiefer.«

Er schwieg einen Augenblick und lauschte dem Heulen des Windes um die Türme. Dann sagte er: »Der verblichene Earl of Glengyle war ein Dieb. Er lebte ein zweites und dunkleres Leben als ein zu allem entschlossener Einbrecher. Er hatte keine Kerzenhalter, weil er die Kerzen nur kurzgeschnitten in seinen Laternen verwendete. Den Schnupftabak verwendete er wie die wildesten französischen Verbrecher den Pfeffer: um ihn plötzlich in großen Mengen einem Häscher oder Verfolger ins Gesicht zu schleudern. Der letzte Beweis aber ist das eigenartige Zusammentreffen von Diamanten und kleinen Stahlrädern. Damit wird Ihnen doch wohl alles klar? Diamanten und kleine Stahlräder sind die beiden einzigen Instrumente, mit denen man eine Glasscheibe ausschneiden kann.«

Der Zweig einer geknickten Föhre peitschte im Sturm schwer gegen die Fensterscheibe hinter ihnen, wie eine Parodie auf einen Einbrecher, aber sie sahen sich nicht um. Ihre Augen hafteten an Father Brown.

»Diamanten und kleine Räder«, wiederholte Craven nachdenklich. »Ist das alles, was Sie denken läßt, das wäre die richtige Erklärung?«

»Ich glaube nicht, daß das die richtige Erklärung ist«, erwiderte der Priester gelassen; »aber Sie haben behauptet, niemand könne diese vier Dinge miteinander verbinden. Die wirkliche Geschichte ist natürlich viel langweiliger. Glengyle fand wertvolle Steine auf seinem Besitz, oder glaubte es wenigstens. Jemand hat ihn mit diesen losen Diamanten getäuscht und behauptet, man habe sie in den Burgkellern gefunden. Die kleinen Räder sind irgendein Diamantenschneidegerät. Er konnte die Sache nur sehr grob und in kleinem Maßstab durchführen, mit der Hilfe einiger Schäfer oder anderer rauher Burschen aus diesen Hügeln. Schnupftabak ist der einzige große Luxus dieser schottischen Schäfer; er ist der einzige Stoff, mit dem man sie bestechen kann. Sie hatten keine Kerzenhalter, weil sie keine brauchten; sie hielten die Kerzen in den eigenen Händen, wenn sie die Burghöhlen durchforschten.«

»Und das ist alles?« fragte Flambeau nach einer langen Pause. »Sind wir damit endlich an die nüchterne Wahrheit geraten?«

»O nein«, sagte Father Brown.

Als der Wind in den fernsten Föhren mit einem langen spöttischen Heulen erstarb, fuhr Father Brown mit völlig unbewegtem Gesicht fort:

»Ich habe das nur vorgebracht, weil Sie behaupteten, niemand könne glaubwürdig Schnupftabak mit Uhrwerken oder Kerzen mit Edelsteinen verbinden. Zehn falsche Philosophien passen aufs Universum; zehn falsche Theorien passen auf Burg Glengyle. Wir aber wollen die wirkliche Erklärung für Burg und All. Gibt es keine anderen Beweisstücke?«

Craven lachte, und Flambeau stand lächelnd auf und wanderte den langen Tisch entlang.

»Fünftens, sechstens, siebtens usw.«, sagte er, »sind bei weitem vielfältiger als erhellend. Eine sonderbare Sammlung nicht von Bleistiften, sondern von Bleiminen aus Bleistiften. Ein sinnloser Bambusstock mit einem ziemlich zersplitterten Ende. Der könnte das Instrument des Verbrechens sein. Nur gibt es kein Verbrechen. Die einzigen anderen Gegenstände sind einige alte Meßbücher und kleine katholische Bilder, die die Ogilvies wohl seit dem Mittelalter aufgehoben haben – ihr Familienstolz war eben stärker als ihr Puritanismus. Wir haben sie nur deshalb ins Museum aufgenommen, weil sie seltsam zerschnitten und entstellt sind.«

Der ungestüme Sturm draußen trieb schauerliche Wolkenwracks über Glengyle dahin und stürzte den langen Raum in Dunkelheit, als Father Brown die kleinen illuminierten Seiten aufnahm, um sie zu untersuchen. Er sprach, bevor der Zug der Dunkelheit vorüber war; aber es war die Stimme eines völlig neuen Mannes.