»Zweige«, sagte er ernst, »Zweige und ein völlig Fremder mit abgeschnittenem Kopf; sonst ist nichts auf dem Rasen.«
Es trat eine fast gruselige Stille ein, und dann rief der entnervte Galloway plötzlich scharf:
»Wer ist das? Wer ist das dort drüben an der Gartenmauer?«
Eine kleine Gestalt mit einem töricht großen Kopf kam durch den mondschimmernden Dunst unschlüssig auf sie zu; sah für einen Augenblick wie ein Kobold aus, entpuppte sich dann aber als der harmlose kleine Priester, den sie im Salon zurückgelassen hatten.
»Hören Sie«, sagte er milde, »es gibt keine Türen zu diesem Garten, wissen Sie.«
Valentins schwarze Augenbrauen hatten sich etwas ärgerlich zusammengezogen, wie sie das beim Anblick eines Priesterrockes grundsätzlich taten. Aber er war ein viel zu gerechter Mann, als daß er die Bedeutung dieser Bemerkung geleugnet hätte. »Sie haben recht«, sagte er. »Bevor wir herausfinden, wie er zu Tode kam, müssen wir herausfinden, wie er hierher kam. Hören Sie mir zu, Gentlemen. Wenn es ohne Gefährdung meiner Stellung und meiner Pflichten geschehen kann, wollen wir bestimmte vornehme Namen soweit wie möglich hier heraushalten. Da sind Damen, meine Herren, und da ist ein ausländischer Botschafter. Sobald wir es ein Verbrechen nennen müssen, muß es auch als ein Verbrechen behandelt werden. So lange aber kann ich nach eigenem Ermessen verfahren. Ich bin Chef der Polizei; ich bin eine so öffentliche Person, daß ich es mir leisten kann, privat zu sein. Beim Himmel, ich werde zunächst jeden meiner Gäste entlasten, ehe ich meine Leute kommen lasse, um nach jemand anderem zu suchen. Meine Herren, Sie werden mir Ihr Ehrenwort geben, daß keiner von Ihnen das Haus vor morgen Mittag verläßt; es gibt Schlafzimmer für alle. Simon, Sie wissen, wo Sie meinen Diener Iwan in der Eingangshalle finden; er ist ein vertrauenswürdiger Mann. Sagen Sie ihm, er soll einen anderen Diener zur Wache bestellen und sofort herkommen. Lord Galloway, Sie sind bestimmt der Geeignetste, um den Damen mitzuteilen, was geschehen ist, und eine Panik zu verhindern. Auch sie müssen bleiben. Father Brown und ich werden bei der Leiche bleiben.«
Wenn der Geist des Anführers solchermaßen aus Valentin sprach, gehorchte man ihm wie einem Signalhorn. Dr. Simon ging in die Waffenhalle und stöberte dort Iwan auf, des öffentlichen Detektivs privater Detektiv. Galloway ging in den Salon und erzählte seine schreckliche Nachricht so taktvoll, daß, als die Gesellschaft sich dort wieder versammelte, die Damen bereits erschrocken und bereits beruhigt waren. Inzwischen standen der gute Priester und der gute Atheist zu Haupt und Füßen des toten Mannes bewegungslos im Mondenlicht, wie symbolische Darstellungen ihrer beiden Philosophien vom Tode.
Iwan, der Vertrauensmann mit Narbe und Schnurrbart, kam wie eine Kanonenkugel aus dem Haus geschossen und über den Rasen zu Valentin gerannt wie ein Hund zu seinem Herrn. Sein fahles Gesicht leuchtete geradezu mit der Glut dieser häuslichen Detektivgeschichte, und mit fast widerwärtigem Eifer erbat er sich seines Herrn Erlaubnis, die Überreste zu untersuchen.
»Ja; sieh es dir an, wenn du willst, Iwan«, sagte Valentin, »aber mach nicht lang. Wir müssen hineingehen und die Sache drinnen gründlich durchsprechen.«
Iwan hob den Kopf hoch und ließ ihn dann fast fallen.
»Nein«, keuchte er, »das ist – nein, das ist nicht; das kann nicht sein. Kennen Sie diesen Mann, Sir?«
»Nein«, sagte Valentin gleichgültig; »wir gehen jetzt besser hinein.«
Gemeinsam trugen sie den Leichnam auf ein Sofa im Arbeitszimmer und begaben sich dann alle in den Salon.
Der Detektiv setzte sich ruhig und sogar zögernd an einen Schreibtisch; doch sein Blick war der stählerne Blick eines Richters im Schwurgericht. Er warf ein paar schnelle Notizen auf ein Blatt Papier vor ihm und fragte dann kurz: »Sind alle hier?«
»Mr. Brayne nicht«, sagte die Herzogin von Mont St. Michel und blickte sich um.
»Nein«, sagte Lord Galloway mit rauher harscher Stimme. »Und soviel ich sehen kann, auch nicht Mr. Neil O’Brien. Ich habe diesen Herrn gesehen, wie er durch den Garten wanderte, als der Leichnam noch warm war.«
»Iwan«, sagte der Detektiv, »geh und hole Major O’Brien und Mr. Brayne. Mr. Brayne raucht, wie ich weiß, eine Zigarre im Speisesaal; Major O’Brien geht vermutlich im Wintergarten auf und ab. Da bin ich aber nicht sicher.«
Der getreue Diener schoß aus dem Raum, und ehe noch jemand sich rühren oder etwas sagen konnte, fuhr Valentin in der gleichen soldatischen Raschheit mit seiner Erklärung fort.
»Jeder hier weiß, daß man im Garten einen toten Mann gefunden hat, den Kopf glatt vom Körper getrennt. Dr. Simon, Sie haben ihn untersucht. Glauben Sie, daß es großer Kraft bedarf, um einem Mann die Gurgel auf solche Weise durchzuschneiden? Oder vielleicht auch nur eines sehr scharfen Messers?«
»Ich würde sagen, daß man das mit keinem Messer tun könnte«, sagte der bleiche Doktor.
»Haben Sie irgendeine Vorstellung«, fuhr Valentin fort, »mit was für einem Werkzeug das möglich wäre?«
»Im Rahmen moderner Möglichkeiten habe ich wirklich keine«, sagte der Doktor und zog seine zerquälten Brauen hoch. »Es ist nicht einfach, einen Hals auch nur ungeschickt durchzuhacken, und dieser war sauber durchgeschnitten. Es könnte mit einer Streitaxt oder einem alten Henkersbeil oder einem alten Bidhänder getan werden.«
»Aber beim Himmel«, rief die Herzogin fast hysterisch; »es gibt hier doch gar keine Bidhänder und Streitäxte.«
Valentin beschäftigte sich immer noch mit dem Papier vor ihm. »Sagen Sie mir«, sagte er und schrieb rasch weiter, »könnte es mit einem langen französischen Kavalleriesäbel getan worden sein?«
Ein leises Klopfen kam von der Tür, das aus irgendeinem unvernünftigen Grund jedermanns Blut erstarren ließ wie das Klopfen in Macbeth. In dieses erfrorene Schweigen hinein brachte Dr. Simon es fertig zu sagen: »Ein Säbel – ja, ich vermute, das würde gehen.«
»Danke« sagte Valentin. »Komm rein, Iwan.«
Der vertrauenswürdige Iwan öffnete die Tür und brachte Major Neil O’Brien herein, den er schließlich gefunden hatte, wie er wieder im Garten auf und nieder schritt.
Der irische Offizier stand verwirrt und trotzig auf der Türschwelle. »Was wollen Sie von mir?« rief er.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Valentin in freundlichem, ruhigem Ton. »Sie sind ja ohne Ihren Säbel? Wo ist er denn?«
»Ich habe ihn auf dem Tisch in der Bibliothek liegenlassen«, sagte O’Brien, dessen irischer Akzent in seiner verwirrten Stimmung deutlicher wurde. »Er war mir lästig, er fing an…«
»Iwan«, sagte Valentin, »bitte geh in die Bibliothek und hole den Säbel des Majors her.« Dann, nachdem der Diener verschwunden war: »Lord Galloway sagte, er habe gesehen, wie Sie den Garten verließen, unmittelbar bevor der Leichnam gefunden wurde. Was haben Sie im Garten getan?«
Der Major warf sich unbekümmert auf einen Stuhl. »Oh«, rief er in reinem Irisch, »den Mond bewundern. Mit der Natur reden, mein Junge.«
Ein schweres Schweigen sank hernieder und hielt an, und an seinem Ende kam wieder jenes banale und schreckliche Klopfen. Iwan erschien aufs neue und trug eine leere Stahlscheide. »Das ist alles, was ich finden kann«, sagte er.
»Leg es auf den Tisch«, sagte Valentin ohne aufzublicken.
Ein unmenschliches Schweigen war im Raum, wie jener Ozean unmenschlichen Schweigens um die Bank des verurteilten Mörders. Die schwachen Ausrufe der Herzogin waren seit langem erstorben. Lord Galloways aufgeblähter Haß war befriedigt und sogar ernüchtert. Die Stimme, die erklang, erklang völlig unerwartet.