Pelham-Martin sagte plötzlich:»Sie haben sich also, insgesamt gesehen, geirrt, Bolitho. Sie kennen Lequillers Absichten immer noch nicht.»
Bolitho sah ihn leidenschaftslos an.»Wir können ihn zum Handeln zwingen, wenn wir den Platz des Rendezvous rechtzeitig erreichen, Sir. Wir kennen seine Absicht, aber nicht das endgültige Reiseziel. Ich halte ersteres für wichtiger. Wenn wir ihn erwischen, bevor er Verbindung mit dem Land aufgenommen hat, werden wir seine Chancen völlig vernichten.»
Der Kommodore schloß die Augen.»So schnell sind wir nicht. Aber selbst angenommen, wir hätten die Möglichkeit, das Rendezvous zu erreichen, so mag Lequiller längst weitergesegelt sein, ohne das Eintreffen der beschädigten Schiffe abzuwarten. Ich sehe keinen Sinn darin, hierüber weiter zu diskutieren.»
«Ich halte es für eine Chance, die wir ergreifen sollten, Sir.»
«Ich möchte nichts mehr darüber hören, Bolitho!«PelhamMartins Augen weiteten sich, als Bootsmannsmaatenpfeifen durch die Decks tönten und Füße über ihren Köpfen trampelten.
«Was bedeutet das?»
Bolitho fühlte sich seltsam leicht und frei von Erregung.»Ich habe >Alle Mann achteraus< befohlen, Sir. In Anbetracht dessen, was ich erfahren habe, und weil Eile not tut, muß ich meine Befugnis als dienstältester Kommandant ausnutzen.»
Pelham-Martin starrte ihn ungläubig an.»Müssen Sie — was?»
«Sie sind verwundet, Sir, und wie ich schon festgestellt habe, müßte Ihre Wunde unverzüglich behandelt werden. «Er beobachtete sein Gegenüber ruhig.»Unter den gegenwärtigen Umständen sehe ich indessen keine andere Möglichkeit, als Sie so lange von Ihrer Verantwortung zu entbinden, bis Sie wieder imstande sind, das Kommando des Geschwaders zu übernehmen.»
«Wissen Sie, was Sie da eben gesagt haben?«Pelham-Martins Atem ging immer schneller.»Wenn Sie diesen Schritt tun, setzen Sie sich der Verhaftung und einem Strafverfahren aus. «Seine Augen zogen sich eng zusammen.»Und ich werde auch dafür sorgen, daß Sie die gerechte Strafe trifft, die Sie schon seit langem verdient haben.»
Bolitho wartete schweigend. Aber Pelham-Martin schien sich mit dem kurzen Ausbruch bereits erschöpft zu haben. Er lag völlig still unter dem Laken, nur seine Atemzüge kamen stoßweise.
Bolitho machte auf den Hacken kehrt und verließ die Kammer. Die anderen Kommandanten warteten vor den Heckfenstern auf ihn. Ihre Gesichter waren gegen das Licht nicht zu erkennen.
Es war Herrick, der das Schweigen brach.»Geschafft?»
«Ich habe den Kommodore von meiner Absicht unterrichtet. «Bolitho nahm seinen Hut und ging hinüber zum Schott.»Ich kann Ihnen aber nicht verhehlen, daß er dagegen war. «Er sah, daß Fitzmaurice sich abwandte und die Schultern hängen ließ. Dann langte er nach oben, nahm den Säbel aus seiner Halterung und ging damit zur Tür. Dort hielt er an und schaute zu ihnen zurück.
«Als Sie heute morgen meine Vorschläge annahmen, waren Ihnen die Schwierigkeiten, die vor uns liegen, noch nicht voll bewußt. Ich habe die Absicht, in zwei Stunden zu segeln. Ich werde es keinem von Ihnen übelnehmen, der sich dafür entscheidet, hier vor Anker liegenzubleiben. «Dann verließ er die Kajüte und trat hinaus ins Sonnenlicht.
Draußen berührte Inch seinen Hut zu einer Ehrenbezeigung und meldete mit düsterer Miene:»Besatzung ist angetreten, Sir.»
Bolitho nickte und ging langsam zur Querreling hinüber. Unzählige Male hatte er diesen kurzen Weg zurückgelegt, um den Seeleuten beim Geschützexerzieren zuzusehen oder um das Anschlagen und Festmachen der Segel an den Rahen zu überwachen; um an einer Bestrafung vor versammelter Mannschaft teilzunehmen oder auch um einmal mit seinen Gedanken allein zu sein.
Er sah seine Offiziere an der anderen Seite aufgereiht, sah die angetretenen Seesoldaten, die kleinen Trommelbuben, Hauptmann Dawson und Hicks daneben.
Er nahm seinen Hut ab, klemmte ihn unter den Arm und musterte die Besatzung. Die Laufbrücken und das Hauptdeck waren voll von Leuten, die zu ihm aufschauten, während andere in den Wanten hingen oder auf Lukendeckeln standen, um ihn sehen zu können.
In dem Schweigen, als sein Blick über die wartenden Männer wanderte, stachen einzelne ihm bekannte Gesichter nur für Sekunden aus der Masse hervor. Leute, die gepreßt worden und eingeschüchtert an Bord gekommen waren und nun Schulter an Schulter mit den erfahrenen Leuten standen, ebenso gebräunt und zuversichtlich wie sie. Da war der ergraute Bergmann aus den Zinnminen von Cornwall, der mit fast vierzig Kumpels durch halb England marschiert war, um sich freiwillig zum Dienst auf der Hyperion zu melden. Nicht weil er Bolitho kannte, sondern allein im Vertrauen auf seinen Namen, der vielen von ihnen so bekannt war wie der des Hafens Falmouth selber.
Er sah seinen Bruder, der neben Tomlin stand, das graue Haar leicht vom Wind bewegt, und fragte sich, was Hugh in diesem Augenblick wohl empfinden mochte. Ob er an seine Zukunft dachte, wenn das Schiff eines Tages nach England zurückkehren sollte und die ständig über ihm schwebende Drohung des Galgens Wirklichkeit wurde? Vielleicht beobachtete er Bolitho auch nur mitleidig oder gleichgültig? Ihn, den jüngeren Bruder, mit dem er ein ganzes Leben im Wettstreit gestanden hatte?
Gossett räusperte sich umständlich, und Bolitho merkte, daß er über eine Minute schweigend dagestanden hatte.
Er sagte:»Als wir herkamen, um den Feind zu suchen und zu vernichten, war vieles ungewiß, und was gewiß war, reichte aus, um jeden zu entmutigen. Aber wir haben keinen Tag nutzlos vertan. Jetzt kennen Sie mich alle, und ich kenne viele von Ihnen. «Er machte eine Pause, weil er Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen fühlte.»Wir verlassen diese Insel noch heute und begeben uns wieder auf die Jagd. «Er sah, wie einige Leute Blicke wechselten.»Diesmal nicht in Richtung Westen, sondern zurück nach Osten, nach Spanien! Wir wollen Lequiller auf hoher See fassen und so schlagen, wie es nur englische Seeleute verstehen. «Irgend jemand rief Hurra, verstummte aber, als Bolitho mit rauher Stimme fortfuhr:»Wir haben sechs Wochen gebraucht, um von der Biskaya hierher zu gelangen. Sechs Wochen darum, weil wir auf diesem Weg suchend hin- und hergekreuzt sind. Aber auf unserem Rückweg nach Spanien werden wir nur dreißig Tage brauchen. «Er hörte einige Leute erstaunt Luft holen.»Dreißig Tage, und wenn wir uns die Masten absegeln müssen, um das zu schaffen!»
Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und fühlte den Schweiß an den Gelenken.
«Der Kommodore ist noch zu krank, um uns zu führen. Darum übernehme ich, kraft der Befugnis, die mir als dienstältestem Kommandanten zusteht, das Kommando. «Er achtete nicht auf die
Woge der Erregung, die wie ein Windstoß über das Hauptdeck lief.»Fangen Sie an, Tomlin!»
Als der Bootsmann die Flaggleine losmachte und die Seesoldaten strammstanden, hörte er Schritte hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er Herrick und die anderen Kommandanten, die sich in einer Reihe aufstellten und ihre Hüte abnahmen, als Tomlin den Doppelstander des Kommodore langsam niederholte.
Es war nicht möglich zu entscheiden, welcher Kommandant den Anstoß zu dieser Solidaritätsdemonstration gegeben hatte. Aber sie standen da, und zwar vor der ganzen Besatzung der Hyperion, wie auch jener der nächstliegenden Schiffe. Durch diesen Akt hatten sie sich offen zu Bolitho bekannt und sich selber jeder Möglichkeit zu einer Rechtfertigung beraubt, sollten sie später einmal dafür zur Verantwortung gezogen werden.
Tomlin kam nach achtern, den zusammengerollten Stander unter dem muskulösen Arm. Er reichte ihn Carlyon, der ihn mit gleicher Förmlichkeit in Empfang nahm.
Bolitho stützte sich auf die Reling und beendete seine Ansprache:»Wenn wir Lequiller stellen, wird es einen schweren Kampf geben, das wissen Sie. Ich brauche Sie nicht erst zu bitten, Ihr Bestes zu geben, denn es ist klar, daß ich mich darauf verlassen muß. «Er richtete sich auf und schloß:»Sie dürfen nicht zaudern. England wartet darauf, Sie zu belohnen…»