Sie hörten Geschützfeuer und sahen, wie aus der obersten Batterie der Tornade orangefarbene Zungen schlugen. Aber die Spartan war schon aus der Gefahrenzone und auch an der Hyperion vorbei. Ihre Flagge wehte steif von der Gaffel des Besans aus, als sie we i-tere Segel setzte und dem jenseitigen Ende der französischen Linie zustrebte. Einige Kanonenkugeln schlugen noch hinter ihr ein und warfen hohe Wassersäulen auf, aber sie bot ein schwieriges Ziel, und ihr plötzlicher Vorstoß war augenscheinlich unerwartet gekommen.
Flaggen stiegen an der Rah der Tornade empor, und kurz darauf begannen die beiden letzten Zweidecker, sich von der Linie abzusetzen. Ihre Marssegel killten, als sie langsam und schwerfällig wendeten, um sich der anstürmenden Fregatte entgegenzustellen.
Bolitho mußte kurz lächeln. Das Schatzschiff war Lequiller also wichtiger als alles andere. Ohne dieses Schiff mit seiner Ladung an Männern und Reichtümern war ein Sieg ohne jeden Nutzen für ihn und sein Land.
Auch einige der anderen Schiffe feuerten nun, und die Abschüsse mischten sich miteinander und machten es den Geschützführern unmöglich, ihre eigenen Aufschläge zu beobachten und die beiden gischtübersprühten Briten flügellahm zu schießen, bevor sie an ihnen vorbei waren.
Bolitho hielt den Atem an, als die Korvette plötzlich heftig schaukelte und ihr niedriger Rumpf völlig von hochaufsteigendem Wasser eingehüllt wurde. Aber sie segelte weiter, obwohl ihre Groß- und Großmarssegel vielfach durchlöchert waren. Ein einziger Volltreffer hätte ihre dünnen Planken zu Brennholz zerschlagen können.
Ihr Kommandant brauchte daher auch keine Aufforderung, mehr Segel zu setzen. Er wußte, daß sein Heil in der Geschwindigkeit lag.
Bolitho wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem führenden französischen Schiff zu. Sie lagen jetzt fast Bug gegen Bug, der Dreidecker weniger als eine halbe Kabellänge entfernt und etwas an Steuerbord.
Inch murmelte:»Wir gewinnen die Luvposition, scheint mir.»
«Und der Wind ist immer noch frisch, Mr. Inch. «Bolitho blickte hoch, als eine Kanone vom stattlichen Vorschiff der Tornade auf sie feuerte und die Kugel das Besanmarssegel direkt über ihnen durchschlug.»Der Pulverqualm unserer Breitseiten wird ein noch besserer Schutz sein als unsere größere Beweglichkeit.»
Er drückte die Handfläche auf die kühle Klinge.»Batteriedeck — Achtung!«Er sah die Männer an den Kanonen niederkauern, sah ihre Züge sich straffen, als sie durch die Stückpforten schauten. Ihre Hände griffen nach Ansetzern und Vorholtaljen, als wollten sie sie nie wieder loslassen.
Er hörte, wie sein Befehl zum unteren Batteriedeck weitergegeben wurde, und versuchte, nicht daran zu denken, daß dort bald die Hölle los sein würde und sein Neffe mitten darin.
Die Rahen des Dreideckers drehten sich ganz langsam: das Schiff fiel etwas ab. Lequillers Kommandant beabsichtigte offenbar, parallel an der englischen Linie zu passieren und beim Beschuß keine einzige Kugel zu vergeuden.
Bolitho beobachtete den näherkommenden Giganten, dessen drei Geschützreihen, die unterste aus mächtigen Zweiunddreißig-pfündern bestehend, matt schimmerten.
Langsam hob er die Linke und spürte, wie Gossett hinter ihm gespannt auf das Zeichen wartete. Er zwang sich selber zu warten, bis die Rahen der Tornade wieder zur Ruhe gekommen waren, und brüllte dann:»Hart Steuerbord!«Er hörte die Speichen des Steuerrades knarren und sah, wie der Bugspriet sich langsam zu drehen begann, bis er direkt auf die Galionsfigur des Feindes zeigte.»Stütz'!«Er schlug auf die Reling, aber seine Stimme war beherrscht, als er befahclass="underline" »Und nun, Mr. Gossett, bringen Sie sie zurück auf den alten Kurs!«Die Steueranlage begann wieder zu quietschen, und auf dem Hauptdeck eilten Matrosen an die Brassen, während die Rahen oben wegen des Hin und Hers knarrend protestierten. Bolitho eilte an die Netze und schaute zum französischen Flaggschiff hinüber. Es drehte ab. Sein Kommandant war offenbar durch das plötzliche Manöver, das einen jähen Zusammenstoß heraufzubeschwören schien, irritiert. Bolitho brüllte:»Breitseite!»
Stepkyne senkte den Degen, und seine Stimme überschlug sich fast, als er:»Feuer!«rief.
Alle Kanonen schossen und wurden mit großer Gewalt nach innen geschleudert. Der Lärm der Detonationen schien wie ein Geschoß in Bolithos Gehirn einzuschlagen. Er beobachtete, wie der dichte Qualm davonwogte, und hörte seine Breitseite drüben einschlagen.
Plötzlich stieg der Qualm, wie von einem anderen Luftzug emporgeweht, nach oben und leuchtete dabei rot und orangefarben auf: Die Kanoniere der Tornade hatten sich besonnen und schossen zurück.
Bolitho taumelte und mußte sich an der Reling festhalten, um nicht zu fallen, als eine Kugel durch das Schanzkleid schlug und voll einen Neunpfünder auf der anderen Seite traf. Er hörte Stöhnen und Geschrei, doch schon schlug die nächste Salve des Franzosen ein und schüttelte die Hyperion von Bug bis Heck kräftig durch.
Über dem wallendem Qualm sah er in den Masten des Franzosen die Musketen unsichtbarer Scharfschützen aufblitzen. Er zählte die Sekunden, bis die zweite Breitseite der Hyperion das Deck unter seinen Füßen erschütterte, als seien sie aufgelaufen.
Er brüllte:»Lebhaft, Mr. Roth!«Seine übrigen Worte gingen in dem Lärm unter, den die eigenen Neunpfünder auf dem Achterdeck machten, als sie mit ihrem ohrenbetäubenden Gebell in das allgemeine Getöse einfielen und beim Abschuß binnenbords rollten, bis sie von ihren Brocktauen abgebremst wurden.
Musketenkugeln schlugen ins Deck, und Bolitho sah einen Seesoldaten wie betrunken hin- und herschwanken, bis er — die Hände auf den Leib gepreßt — gegen die Querreling taumelte und kopfüber in das Schutznetz darunter fiel.
Aber die Stengen der Tornade peilten schon achterlicher als dwars,[10] und als die untere Batterie der Hyperion ihre nächste Salve feuerte, sah er, daß die Kugeln in das hohe Achterschiff des Drei-deckers einschlugen und Holzsplitter und gebrochene Wanten in verrückten Figuren hochschleuderten.
Und da kam schon der nächste, ein Zweidecker, mit einem römischen Krieger als Galionsfigur. Sein Buggeschütz feuerte blind in den Pulverqualm hinein, während er sich bemühte, seinen Platz hinter dem Flaggschiff einzuhalten.
Bolitho formte ein Sprachrohr mit den Händen.»Geschützweise feuern, Mr. Stepkyne!«Er sah, wie der Leutnant von Stück zu Stück rannte und den Geschützführern den Befehl in die Ohren schrie.
Achteraus war verstärkter Kanonendonner zu hören, was Bolitho verriet, daß nun die Hermes mit dem Flaggschiff ins Gefecht gekommen war. Als er aber über die Netze nach achtern schaute, sah er nur Mastspitzen, alles andere darunter war in dichten Rauch gehüllt.
«Feuern!»
Geschütz um Geschütz der oberen Batterie feuerte auf das zweite Schiff der französischen Linie. Fluchende und einander anspornende Männer machten sich nach jedem Schuß daran, die Rohre auszuwischen, die nächste Ladung einzurammen und dann die Kanonen an ihren Taljen wieder in Feuerstellung zu zerren. Ihre nackten Oberkörper waren vom Pulverqualm geschwärzt und schweißüberströmt.
Bolitho fühlte, wie das Schiff unter ihm bebte, und zuckte zusammen, als weitere Kugeln in die Bordwand einschlugen, wobei sie gefährliche Holzsplitter losrissen; oder sie fegten durch die offenen Stückpforten in die dahinterstehenden Geschützbedienungen. Er sah, wie eine ganze Kanone umkippte und einen zuckenden und schreienden Mann unter sich begrub. Aber seine Schreie gingen in dem Donnergetöse der nächsten Breitseite unter, und Bolitho vergaß ihn, als er im Umdrehen sah, wie der Fockmast des Zweideckers in den Pulverqualm stürzte.
Er packte Inch am Arm, daß dieser zusammenzuckte, als hätte ihn eine Musketenkugel getroffen.»Die Karronaden!«Er brauchte nichts hinzuzusetzen, denn Inch winkte schon mit seinem Sprachrohr den auf dem Vorschiff kauernden Leuten zu. Die SteuerbordKarronade röhrte heiser auf, und ihr Pulverqualm trieb aufs Hauptdeck hinunter; aber dann sah Bolitho, wie das mit Kartätschenkugeln gefüllte Geschoß genau vor der Hütte des Franzosen detonierte. Als der Wind das Blickfeld freigab, waren Steuerrad und Rudergänger verschwunden. Das ganze Achterdeck sah aus wie unter einem Erdrutsch begraben.