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Bolitho taumelte gegen die Reling, der Schweiß rann ihm in die Augen, so daß er nichts mehr sehen konnte. Er war am Ende, es mußte das Ende sein, denn über dem Klirren aufeinandertreffenden Eisens und den schrecklichen Schreien glaubte er, Triumphrufe der Franzosen zu hören.

Allday schrie ihm ins Gesicht:»Kapitän Herrick, Sir!»

Bolitho sah ihn an. Allday hatte ihn noch nie, soweit er sich erinnerte, mir >Sir< angeredet.

Er schleppte sich an den immer noch kämpfenden und ineinander verbissenen Gestalten vorbei und blickte über sein Schiff hinweg auf die angebraßten Rahen und leicht getönten Segel eines anderen Schiffes, das gerade bei der Hyperion längsseit ging. Als dann Enterhaken in das zersplitterte Schanzkleid griffen, sah er Seeleute und Soldaten über die Hyperion wie über eine Brücke hinwegrennen, freudig begrüßt von den Verwundeten und den wenigen Leuten, die an den Kanonen ihres entmasteten Schiffs zurückgeblieben waren.

Kanonen wurden nicht mehr abgefeuert, und als weitere Männer sich ihren Weg durch Trümmer, Enternetze und Verteidiger bahnten, sah Bolitho die französische Admiralsflagge niedersinken und hörte die heiseren Rufe von Herricks Offizieren, mit denen sie die Franzosen aufforderten, sich zu ergeben und die Waffen niederzulegen.

Herrick selber kam nach achtern, den Degen in der Hand. Bolitho sah ihn stumm an. Das Kämpfen hatte aufgehört, und als der Wind die Segel ein wenig zur Seite wehte, sah er die Spartan nahe vorbeisegeln. Ihre Männer brachten ihm ein Hoch aus, trotz Tod und Zerstörung ringsum.

Herrick ergriff seine Hand.»Zwei weitere Schiffe haben sich ergeben. Und auch die San Leandro ist unser!»

Bolitho nickte.»Und der Rest?»

«Zwei sind nach Norden geflüchtet. «Er drückte ihm begeistert die Hand.»Mein Gott, was für ein Sieg!»

Bolitho befreite seine Hand und wandte sich zur Hütte. Er sah Pascoe neben Hugh knien; mit Herrick an seiner Seite bahnte er sich einen Weg durch die erschöpften und dennoch ausgelassen jubelnden Matrosen zu ihm. Bolitho kniete nieder, aber es war schon vorüber. Hughs Gesicht schien jünger, die tiefen Falten waren daraus verschwunden. Er drückte seinem Bruder die Augen zu und sagte:»Ein tapferer Mann. «Pascoe sah ihn an, und seine Augen schimmerten.»Er hat mir das Leben gerettet, Sir.»

«Das hat er. «Bolitho stand langsam auf und fühlte dabei, wie Schmerz und Erschöpfung ihn zu überwältigen drohten.»Ich hoffe, Sie werden sich immer seiner erinnern. «Er machte eine Pause.»So wie ich.»

Pascoe sah in forschend an, und ein paar Tränen rannen ihm dabei über die schmutzbedeckten Backen. Aber er sprach mit fester Stimme:»Ich werde ihn nie vergessen. Niemals!»

Allday meldete:»Man hat den französischen Admiral gefangen, Käpt'n.»

Bolitho drehte sich um; Jammer und Verzweiflung über die furchtbaren Verluste durchrannen ihn wie ein Feuerstrom. Erst die Jagd mit all ihren Enttäuschungen, und nun die vielen Toten. Aber Lequiller hatte überlebt!

Er musterte den kleinen Mann, der zwischen Leutnant Hicks und Tomlin stand. Er hielt sich krumm und trug einen Bart, ein dünnes Männchen, dessen beschmutzte Uniform ihm viel zu groß schien.

Bolitho mußte wegschauen, da es ihm unmöglich war, den Ausdruck ungläubigen Staunens auf Lequillers Gesicht zu ertragen. Er fühlte sich plötzlich beschämt. Im Kriege war es besser, wenn der Feind kein Gesicht hatte.

«Bringen Sie ihn unter Bewachung auf die Impulsive. «Er wandte sich zum Niedergang. Seine Leute jubelten ihm zu, Hände, manche davon blutbedeckt, streckten sich aus, um seine Schulter zu berühren, als er wortlos an ihnen vorbeiging.

Auf dem Achterdeck der Hyperion fand er Inch, der — einen Arm in der Schlinge und den zerschlitzten Rock wie ein Cape umgehängt — auf ihn wartete. Inchs Anblick trug mehr dazu bei, seine aufgewühlten Gefühle zu beruhigen, als er für möglich gehalten hätte.

Leise sagte er:»Ich hatte Ihnen doch wohl befohlen, nach unten zu gehen?»

Inch zeigte seine Pferdezähne in einem mühsamen Grinsen.»Ich dachte, es würde Sie interessieren, Sir: der Kommodore war während der ganzen Schlacht ohne Besinnung. Aber jetzt ist er wieder hellwach und verlangt Brandy!»

Bolitho ergriff Inchs heile Hand, aber dessen Gesicht verschwamm vor seinen Augen.»Und er soll ihn haben, Mr. Inch!»

Er übersah Gossetts breites Grinsen und die ausgelassen herumspringenden Kanoniere. Das Schiff war ohne Masten und lag tief im Wasser. Er fühlte sein Leid fast wie eigenes.

Dann stülpte er seinen Hut über die rebellische Haarlocke und sagte mit fester Stimme:»Wir sind einen langen Weg zusammen gesegelt, Mr. Inch.»

Er schnallte seinen Säbel ab und gab ihn Allday.

«Wenn wir der Hyperion ein Behelfsrigg gegeben haben, können wir unsere Prisen nach Plymouth zurückbringen. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.»

Er fühlte Rührung in sich aufsteigen, fuhr aber im gleichen brüsken Ton fort.»Worauf warten wir also noch?»

Inch sah ihn müde an. Dann antwortete er:»Ich werde mich gleich darum kümmern, Sir!»

Epilog

Die Fenster des Golden Lion Inn waren nicht mehr gegen Regen und eisige Winde verklebt, sondern standen weit offen, um eine sanfte Brise — mehr war es nicht — einzulassen. Auf dem Plymouth-Sund gab es keine weißen Schaumköpfe mehr, und die helle Mittagssonne spiegelte sich in Millionen auf dem blauen Wasser tanzenden Strahlen und überschüttete auch die Schaulustigen, die auf der Straße und der Pier flanierten, mit angenehmer Wärme.

Aber das Fernrohr auf seinem Dreifuß war noch da, und der Raum genauso eingerichtet, wie Bolitho ihn in Erinnerung hatte. Und doch gab es Unterschiede, war er sich der Stille hinter seinem Rücken bewußt, einer abweisenden Leere, die nur darauf zu warten schien, daß er wieder ging. Gerade in dem Augenblick hörte er den Wirt an der verschlossenen Tür vorbeischlurfen. Er wunderte sich bestimmt über Bolithos seltsame Bitte und wartete voller Ungeduld, daß er auszog, damit neue Gäste das Zimmer beziehen konnten, wie er es einst getan hatte.

Die meisten Leute am belebten Ufer waren nur aus einem Grunde gekommen: sie wollten die vor Anker liegenden Schiffe sehen und mit Stolz und Schaudern ihr vom Kampf gezeichnetes Äußeres betrachten, als ob sie dadurch an ihrem Sieg teilhaben könnten. In diesen Ungewissen Zeiten war jeder Erfolg willkommen, aber die Kriegsbeute zu sehen und den Geruch von Kampf und Tod einzuatmen, war für manche Leute befriedigender als trockene Bericht in der >Gazette< oder die von reitenden Boten aufgeschnappten Neuigkeiten.

Bolitho schwenkte das Teleskop und beobachtete das geschäftige Kommen und Gehen der kleinen Boote, die ihre zahlenden Fahrgäste um den sich turmhoch erhebenden Rumpf der Tornade, Lequil-lers Flaggschiff, ruderten. In wenigen Monaten würde der Dreidek-ker wieder in See gehen, diesmal unter der Flagge seines alten Feindes: mit einem anderen Kommandanten und einer anderen Besatzung, und vielleicht würde seine Herkunft auch unter einem anderen Namen verborgen sein.

Bolitho war dankbar, daß nicht auch die Hyperion als groteskes Überbleibsel der Schlacht und Schauobjekt für alle Leute dort unten lag. Fast sofort, nachdem sie am gestrigen Morgen in den Ply-mouth-Sund eingelaufen waren, hatte man sie ins Dock verholt, und bis zu diesem Augenblick hatten ihre Pumpen einen tapferen Kampf gegen das Eindringen der rachsüchtigen See geführt. Eines war sicher: die alte Hyperion würde nie wieder in den Kampf ziehen. Nun, da unverwundet gebliebene Reste ihrer Besatzung ausbezahlt und auf die übrige Flotte verteilt worden waren, lag sie leer und leblos in Erwartung ihres endgültigen Schicksals. Im besten Fall konnte sie als Ausbildungsschiff für den Nachwuchs dienen. Im schlimmsten… Bolitho versuchte, nicht daran zu denken, daß sie ihre Tage auch als schwimmendes Gefängnis in irgendeiner Flußmündung beenden konnte. Er hatte sie erst vor ein paar Stunden verlassen. Was er gesehen hatte, hatte ihn traurig gestimmt, denn er wußte, daß er niemals lebend davongekommen wäre, wenn es nicht dieses stillschweigende Einvernehmen zwischen ihm und dem Schiff gegeben hätte.