«Ist es nicht sonderbar«, sagte er zu sich selbst,»daß Eltern, während sie sich mit Genuß aller Art überfüllen, indem sie bloß nach Willkür ein Vermögen, das ihnen der Zufall gegeben hat, benutzen, ihre Kinder gerade zu der Zeit von jedem billigen Genusse ausschließen, da die Jugend am empfänglichsten dafür ist! Und mit welchem Rechte tun sie es? Und wie sind sie zu diesem Rechte gelangt? Soll der Zufall allein entscheiden, und kann das ein Recht werden, wo der Zufall wirkt? Lebte der Großvater noch, der seine Enkel wie seine Kinder hielt, es würde mir viel besser ergehen; er würde es mir nicht am Notwendigen fehlen lassen; denn ist uns das nicht notwendig, was wir in Verhältnissen brauchen, zu denen wir erzogen und geboren sind? Der Großvater würde mich nicht darben lassen, so wenig er des Vaters Verschwendung zugeben würde. Hätte er länger gelebt, hätte er klar eingesehen, daß sein Enkel auch wert ist zu genießen, so hätte er vielleicht in dem Testament mein früheres Glück entschieden. Sogar habe ich gehört, daß der Großvater eben vom Tode übereilt worden, da er seinen letzten Willen aufzusetzen gedachte, und so hat vielleicht bloß der Zufall mir meinen frühern Anteil an einem Vermögen entzogen, den ich, wenn mein Vater so zu wirtschaften fortfährt, wohl gar auf immer verlieren kann.»
Mit diesen und anderen Sophistereien über Besitz und Recht, über die Frage, ob man ein Gesetz oder eine Einrichtung, zu denen man seine Stimme nicht gegeben, zu befolgen brauche, und inwiefern es dem Menschen erlaubt sei, im stillen von den bürgerlichen Gesetzen abzuweichen, beschäftigte er sich oft in seinen einsamen, verdrießlichsten Stunden, wenn er irgend aus Mangel des baren Geldes eine Lustpartie oder eine andere angenehme Gesellschaft ausschlagen mußte. Denn schon hatte er kleine Sachen von Wert, die er besaß, vertrödelt, und sein gewöhnliches Taschengeld wollte keinesweges hinreichen.
Sein Gemüt verschloß sich, und man kann sagen, daß er in diesen Augenblicken seine Mutter nicht achtete, die ihm nicht helfen konnte, und seinen Vater haßte, der ihm nach seiner Meinung überall im Wege stand.
Zu eben der Zeit machte er eine Entdeckung, die seinen Unwillen noch mehr erregte. Er bemerkte, daß sein Vater nicht allein kein guter, sondern auch ein unordentlicher Haushälter war. Denn er nahm oft aus seinem Schreibtische in der Geschwindigkeit Geld, ohne es aufzuzeichnen, und fing nachher manchmal wieder an zu zählen und zu rechnen und schien verdrießlich, daß die Summen mit der Kasse nicht übereinstimmen wollten. Der Sohn machte diese Bemerkung mehrmals, und um so empfindlicher ward es ihm, wenn er zu eben der Zeit, da der Vater nur geradezu in das Geld hineingriff, einen entschiedenen Mangel spürte.
Zu dieser Gemütsstimmung traf ein sonderbarer Zufall, der ihm eine reizende Gelegenheit gab, dasjenige zu tun, wozu er nur einen dunkeln und unentschiedenen Trieb gefühlt hatte.
Sein Vater gab ihm den Auftrag, einen Kasten alter Briefe durchzusehen und zu ordnen. Eines Sonntags, da er allein war, trug er ihn durch das Zimmer, wo der Schreibtisch stand, der des Vaters Kasse enthielt. Der Kasten war schwer; er hatte ihn unrecht gefaßt und wollte ihn einen Augenblick absetzen oder vielmehr nur anlehnen. Unvermögend, ihn zu halten, stieß er gewaltsam an die Ecke des Schreibtisches, und der Deckel desselben flog auf. Er sah nun alle die Rollen vor sich liegen, zu denen er manchmal nur hineingeschielt hatte, setzte seinen Kasten nieder und nahm, ohne zu denken und zu überlegen, eine Rolle von der Seite weg, wo der Vater gewöhnlich sein Geld zu willkürlichen Ausgaben herzunehmen schien. Er drückte den Schreibtisch wieder zu und versuchte den Seitenstoß: der Deckel flog jedesmal auf, und es war so gut, als wenn er den Schlüssel zum Pulte gehabt hätte.
Mit Heftigkeit suchte er nunmehr jede Vergnügung wieder, die er bisher hatte entbehren müssen. Er war fleißiger um seine Schöne; alles, was er tat und vornahm, war leidenschaftlicher; seine Lebhaftigkeit und Anmut hatten sich in ein heftiges, ja beinahe wildes Wesen verwandelt, das ihm zwar nicht übel ließ, doch niemanden wohltätig war.
Was der Feuerfunke auf ein geladnes Gewehr, das ist die Gelegenheit zur Neigung, und jede Neigung, die wir gegen unser Gewissen befriedigen, zwingt uns, ein Übermaß von physischer Stärke anzuwenden; wir handeln wieder als wilde Menschen, und es wird schwer, äußerlich diese Anstrengung zu verbergen.
Je mehr ihm seine innere Empfindung widersprach, desto mehr häufte Ferdinand künstliche Argumente aufeinander, und desto mutiger und freier schien er zu handeln, je mehr er sich selbst von einer Seite gebunden fühlte.
Zu derselbigen Zeit waren allerlei Kostbarkeiten ohne Wert Mode geworden. Ottilie liebte sich zu schmücken; er suchte einen Weg, sie ihr zu verschaffen, ohne daß Ottilie selbst eigentlich wußte, woher die Geschenke kamen. Die Vermutung ward auf einen alten Oheim geworfen, und Ferdinand war doppelt vergnügt, indem ihm seine Schöne ihre Zufriedenheit über die Geschenke und ihren Verdacht auf den Oheim zugleich zu erkennen gab.
Aber um sich und ihr dieses Vergnügen zu machen, mußte er noch einigemal den Schreibtisch seines Vaters eröffnen, und er tat es mit desto weniger Sorge, als der Vater zu verschiedenen Zeiten Geld hineingelegt und herausgenommen hatte, ohne es aufzuschreiben.