Выбрать главу

Wenn er dann wie ein Schatten durch die Küchentür schlüpfte, wo ihn Ians Lächeln oder der Kuss seiner Schwester begrüßte, spürte er, wie die Verwandlung begann. Die Schüssel mit heißem Wasser und das frisch geschärfte Rasiermesser standen für ihn auf dem Tisch bereit, dazu etwas, was sich als Rasierseife eignete. Hin und wieder war es echte Seife, wenn sein Vetter Jared Post aus Frankreich geschickt hatte; öfter jedoch nur notdürftig gesiedete Kernseife, deren Lauge ihm in den Augen brannte.

Mit dem ersten Hauch von Küchenduft – so kräftig und würzig nach den vom Wind verdünnten Gerüchen von See und Moor und Wald – konnte er spüren, wie die Veränderung begann, doch erst, wenn er das Ritual der Rasur abgeschlossen hatte, fühlte er sich wieder ganz wie ein Mensch.

Sie wussten inzwischen, dass sie nicht erwarten konnten, dass er etwas sagte, ehe er sich rasiert hatte; nach einem Monat Einsamkeit gingen ihm Worte nur schwer über die Lippen. Nicht, dass er nicht gewusst hätte, was er sagen sollte; es war eher so, dass sich die Worte in seiner Kehle stauten und alle versuchten, sich in der kurzen Zeit, die er hatte, hinauszukämpfen. Er brauchte diese wenigen Minuten der sorgfältigen Toilette, um auszuwählen, was er zuerst sagen würde und zu wem.

Es gab Neuigkeiten, die er hören oder nach denen er fragen wollte – über englische Patrouillen in der Gegend, über Politik, über Festnahmen und Prozesse in London und Edinburgh. Darauf konnte er warten. Besser, wenn er sich mit Ian über das Anwesen unterhielt, mit Jenny über die Kinder. Wenn es ihnen ungefährlich erschien, holten sie die Kinder herunter, um ihren Onkel zu begrüßen und ihn verschlafen zu umarmen und feucht zu küssen, ehe sie wieder ins Bett stolperten.

»Er wird bald ein Mann sein«, war sein erstes Gesprächsthema gewesen, als er im September kam, und er hatte dabei kopfnickend auf Jennys ältestes Kind gewiesen, seinen Namensvetter. Der zehnjährige Junge saß mit einer gewissen Zurückhaltung am Tisch, denn er war sich seiner momentanen Position als Herr im Haus immens bewusst.

»Aye, als hätte ich nicht genug davon, um die ich mir Sorgen machen muss«, erwiderte seine Schwester sarkastisch, doch sie berührte im Vorübergehen die Schulter ihres Sohnes mit einem Stolz, der ihre Worte Lügen strafte.

»Hast du denn von Ian gehört?« Sein Schwager war vor drei Wochen – zum vierten Mal – verhaftet und nach Inverness gebracht worden, weil man ihn verdächtigte, mit den Jakobiten zu sympathisieren.

Jenny schüttelte den Kopf und trug eine abgedeckte Form herbei, die sie vor ihn hinstellte. Der kräftige warme Duft der Rebhuhnpastete stieg aus der durchstochenen Kruste auf und ließ ihm das Wasser so heftig im Mund zusammenlaufen, dass er schlucken musste, ehe er sprechen konnte.

»Kein Grund zur Aufregung«, sagte Jenny und löffelte ihm Pastete auf den Teller. Ihre Stimme war ruhig, doch die kleine senkrechte Falte zwischen ihren Augenbrauen vertiefte sich. »Ich habe Fergus hinterhergeschickt, um ihnen die Übertragungsurkunde und Ians Entlassungsbrief aus dem Regiment zu zeigen. Sie schicken ihn wieder heim, sobald sie begreifen, dass er nicht der Herr von Lallybroch ist und sie nichts davon haben, ihn zu schikanieren.« Mit einem Blick auf ihren Sohn griff sie nach dem Alekrug. »Sie können ja gern versuchen zu beweisen, dass der Kleine ein Verräter ist.«

Ihre Stimme klang zwar grimmig, jedoch mit einem Unterton der Genugtuung bei dem Gedanken daran, den englischen Gerichtshof zu verwirren. Die regenfleckige Übertragungsurkunde, die der Beweis dafür war, dass der ältere James die Besitzrechte Lallybrochs an den jüngeren übertragen hatte, war schon öfter vor Gericht in Erscheinung getreten und hatte jedes Mal den Versuch der Krone vereitelt, das Anwesen als Eigentum eines jakobitischen Verräters zu konfiszieren.

Er konnte spüren, wie es wieder von ihm abfiel, wenn er ging – dieses dünne Furnier der Menschlichkeit –, und mit jedem Schritt fort vom Haus ein wenig mehr davon verschwand. Manchmal hielt er die Illusion von Wärme und Familie den ganzen Weg bis zu der Höhle aufrecht, die sein Versteck war; meistens jedoch verschwand sie beinahe auf der Stelle, fortgerissen vom kalten Wind, der nach Brandgeruch stank.

Die Engländer hatten unterhalb des hochgelegenen Feldes drei Katen niedergebrannt. Hatten Hugh Kirby und Geoff Murray von ihren Kaminfeuern fortgezerrt und sie auf der eigenen Schwelle erschossen, ohne ihnen eine Frage zu stellen oder sie mit einem Wort anzuklagen. Der junge Joe Fraser war entwischt, gewarnt von seiner Frau, die die Engländer kommen gesehen hatte, und hatte drei Wochen bei Jamie in der Höhle gelebt, bis die Soldaten wieder fort waren – und Ian mit ihnen.

Im Oktober waren es die älteren Jungen gewesen, mit denen er gesprochen hatte; Fergus, der Franzosenjunge, den er aus einem Pariser Bordell mitgenommen hatte, und Rabbie MacNab, der Sohn der Küchenmagd, Fergus’ bester Freund.

Langsam hatte er sich das Rasiermesser über Wange und Kinn gezogen und die eingeseifte Klinge dann am Rand der Schüssel abgewischt. Aus dem Augenwinkel erhaschte er einen Hauch von neiderfüllter Faszination in Rabbie MacNabs Gesicht. Als er sich ein wenig drehte, sah er, dass ihn die Jungen – Rabbie, Fergus und Jamie junior – alle drei so gebannt beobachteten, dass ihnen die Münder offen standen.

»Habt ihr noch nie einen Mann gesehen, der sich rasiert?«, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.

Rabbie und Fergus sahen einander an, überließen es aber Jamie, der zumindest auf dem Papier der Gutsherr war, zu antworten.

»Oh, nun ja … aye, Onkel Jamie«, sagte dieser und errötete. »Aber … ich m-meine«, er stotterte ein wenig und errötete noch tiefer, »mein Pa ist doch nicht da, und selbst wenn er zu Hause ist, sehen wir ja nicht immer, wenn er sich rasiert, und, nun ja, du hast einfach so viele Haare im Gesicht, Onkel Jamie, nach einem ganzen Monat, und wir sind einfach so froh, dich wiederzusehen, und …«

Ganz plötzlich wurde Jamie klar, dass er den Jungen wie eine höchst romantische Gestalt vorkommen musste. Er lebte allein in einer Höhle, kam in der Dunkelheit zum Jagen hervor, begab sich bei Nacht und Nebel hinunter zum Haus, schmutzig und zerzaust und voll wilder roter Barthaare – ja, in ihrem Alter kam es ihnen wahrscheinlich wie ein glanzvolles Abenteuer vor, vogelfrei zu sein und sich in der Heide zu verbergen, in einer engen, feuchten Höhle. Mit fünfzehn, sechzehn und zehn hatten sie keine Ahnung von Schuldgefühlen oder bitterer Einsamkeit, vom Gewicht der Verantwortung, das er nicht erleichtern konnte, zur Untätigkeit verdammt.

Angst mochten sie vielleicht verstehen. Angst vor der Gefangennahme, Angst vor dem Tod. Doch nicht die Angst vor dem Alleinsein, vor seiner eigenen Natur, vor dem Irrsinn. Nicht die fortwährende, chronische Angst vor dem, was seine Gegenwart ihnen antun konnte – wenn sie überhaupt über dieses Risiko nachdachten, hatten sie nicht mehr als ein Schulterzucken dafür übrig, weil sie davon ausgingen, unsterblich zu sein, wie es das gute Recht der Jugend war.

»Aye, nun ja«, hatte er gesagt und sich beiläufig wieder dem Spiegel zugewandt, als der kleine Jamie stotternd innehielt. »Männer werden geboren, um Leid und Bartstoppeln zu ertragen. Eine von Adams Plagen.«

»Adam?« Fergus sah unverhohlen verwundert aus, während die anderen versuchten, sich den Anschein zu geben, als wüssten sie, wovon Jamie sprach. Als Franzose erwartete man von Fergus nicht, dass er alles wusste.

»Oh, aye.« Jamie zog die Oberlippe über die Zähne und schabte vorsichtig unter seiner Nase entlang. »Am Anfang, als Gott die Menschen erschuf, war Adams Kinn genauso unbehaart wie Evas. Und ihre Körper beide so glatt wie ein neugeborenes Kind«, fügte er hinzu, als er den Blick des kleinen Jamie zu Rabbies Schritt huschen sah. Rabbie war zwar noch bartlos, doch der schwache dunkle Flaum auf seiner Oberlippe kündete auch von frischem Wachstum an anderer Stelle.

»Aber als der Engel mit dem Flammenschwert sie aus Eden vertrieben hat, hatten sie die Pforte des Gartens kaum passiert, als auf Adams Kinn das Haar zu sprießen und zu jucken begann, und seitdem ist der Mann dazu verflucht, sich zu rasieren.« Mit einem letzten Schnörkel vollendete er sein eigenes Kinn und verbeugte sich theatralisch vor seinem Publikum.