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Er nahm seine unterbrochene Inventur der körperlichen Blessuren wieder auf und wurde von unmäßiger Bestürzung gepackt, als er feststellte, dass ihm das linke Bein zu fehlen schien. Jedes Gefühl endete an der Hüfte, in deren Gelenk es stechend kribbelte. Vermutlich würde er es ja zurückbekommen, wenn der Zeitpunkt da war, entweder, wenn er endlich in den Himmel kam, oder doch zumindest beim Jüngsten Gericht. Und sein Schwager Ian kam schließlich mit einem Holzbein auch bestens zurecht.

Dennoch, es verletzte seine Eitelkeit. Ah, das musste es sein, eine Bestrafung, die ihn von der Sünde der Eitelkeit heilte. Er biss im Geiste die Zähne zusammen, fest entschlossen, so tapfer und demütig wie möglich hinzunehmen, egal was auf ihn zukam. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, eine suchende Hand (oder was auch immer ihm als Hand diente) tastend abwärts zu strecken, nur um zu sehen, wo die Gliedmaße jetzt endete.

Die Hand stieß auf etwas Festes, und seine Finger verhaspelten sich in feuchtem, verknotetem Haar. Abrupt fuhr er zum Sitzen auf und sprengte mühsam die Schicht aus getrocknetem Blut, die ihm die Augenlider verklebte. Die Erinnerungen strömten zurück, und er stöhnte laut auf. Er hatte sich geirrt. Dies war die Hölle. James Fraser allerdings war unglücklicherweise doch nicht tot.

Die Leiche eines Mannes lag auf ihm. Ihr Gewicht drückte auf sein linkes Bein, was erklärte, warum er nichts spürte. Der Kopf presste sich schwer wie eine abgefeuerte Kanonenkugel mit dem Gesicht in seinen Bauch, das feuchte, verklebte Haar lag dunkel über das nasse Leinen seines Hemds gebreitet. In plötzlicher Panik zuckte er hoch; der Kopf rollte ihm seitwärts auf den Schoß, und ein halb geöffnetes Auge starrte blicklos durch die schützenden Haarsträhnen zu ihm auf.

Es war Jack Randall, dessen feiner Hauptmannsrock vor Nässe so dunkel war, dass er beinahe schwarz wirkte. Unbeholfen versuchte Jamie, die Leiche von sich zu schieben, stellte jedoch fest, dass er erstaunlich schwach war; seine gespreizten Finger legten sich zaghaft um Randalls Schulter, und der Ellbogen seines anderen Arms gab plötzlich nach, als er versuchte, sich abzustützen. Dann fand er sich erneut auf dem Rücken liegend wieder, und der nasskalte Himmel drehte sich blassgrau über ihm. Mit jedem keuchenden Atemzug bewegte sich Jack Randalls Kopf obszön auf seinem Bauch auf und ab.

Er presste die Hände flach auf den sumpfigen Boden – das Wasser stieg kalt zwischen seinen Fingern auf und durchtränkte ihm den Hemdrücken – und wand sich seitwärts. Ein Rest von Wärme war noch zwischen ihnen gefangen; als sich das reglose Gewicht langsam von ihm löste, traf der eiskalte Regen abrupt wie ein Fausthieb auf seine entblößte Haut, und er erschauerte heftig in der plötzlichen Kälte.

Während er sich auf dem Boden wand und mit dem zusammengeballten, schlammbespritzten Stoff seines Plaids kämpfte, hörte er Geräusche im Heulen des Aprilwinds; ferne Schreie und ein Stöhnen und Jammern wie die Rufe von Geistern im Wind. Und überall lärmende Krähen. Dutzende Krähen, so wie es klang.

Das war seltsam, dachte er dumpf. In einem solchen Sturm sollten eigentlich keine Vögel fliegen. Ein letzter Ruck befreite das Plaid unter ihm, und er breitete es umständlich über seinen Körper. Als er die Arme ausstreckte, um sich die Beine zuzudecken, sah er, dass sein Kilt und sein linkes Bein voller Blut waren. Der Anblick entsetzte ihn nicht; er schien ihm höchstens vage von Belang zu sein, die dunkelroten Blutspuren ein Kontrast zum gräulichen Grün der Moorpflanzen ringsum. Die Echos der Schlacht verhallten in seinen Ohren, und er gab das Feld von Culloden den Stimmen der Krähen anheim.

Stunden später weckten ihn Stimmen, die seinen Namen riefen.

»Fraser! Jamie Fraser! Bist du hier?«

Nein, dachte er benommen. Ich bin nicht hier. Wo auch immer er während seiner Bewusstlosigkeit gewesen war, es war dort besser gewesen. Er lag in einer kleinen Mulde, die zur Hälfte mit Wasser gefüllt war. Der Eisregen hatte aufgehört, der Wind jedoch nicht; er heulte über das Moor hinweg, durchdringend und kalt. Der Himmel war so dunkel geworden, dass er beinahe schwarz war; es musste also fast Abend sein.

»Ich habe gesehen, wie er da zu Boden gegangen ist, ich sage es dir. Direkt neben einem großen Ginsterbusch.« Die Stimme war ein Stück entfernt und wurde leiser, während sie mit jemandem stritt.

Es raschelte neben seinem Ohr, und als er den Kopf wandte, sah er die Krähe. Sie stand keinen halben Meter entfernt im Gras, ein Umriss aus windzerzausten schwarzen Federn, und betrachtete ihn mit einem schwarzen Knopfauge. Da sie zu dem Schluss kam, dass er keine Bedrohung darstellte, verdrehte sie gelassen den Hals und stieß Jack Randall den kräftigen, spitzen Schnabel ins Auge.

Jamie fuhr mit einem angewiderten Ausruf auf und schlug um sich, und die Krähe flatterte krächzend davon.

»Ay! Da drüben!«

Es gluckste auf dem sumpfigen Boden, dann war ein Gesicht vor ihm, und er spürte die willkommene Berührung einer Hand auf seiner Schulter.

»Er lebt! Komm her, MacDonald! Fass mit an; er kann nicht selber laufen.« Sie waren zu viert, und mit einiger Mühe richteten sie ihn zum Stehen auf, die Arme hilflos auf Ewan Cameron und Iain MacKinnon gestützt.

Er hätte ihnen gern gesagt, dass sie ihn lassen sollten, wo er war; mit dem Erwachen war ihm auch wieder eingefallen, warum er hier war, und er erinnerte sich daran, dass er vorgehabt hatte zu sterben. Doch ihre Gesellschaft war eine Verlockung, der er nicht widerstehen konnte. Während er schlief, war das Gefühl in sein taubes Bein zurückgekehrt, und er begriff, wie schwer die Verletzung war. Er würde auch so bald sterben; Gott sei Dank musste es nicht allein in der Dunkelheit sein.

»Wasser?« Der Rand eines Bechers presste sich an seine Unterlippe, und er raffte sich zum Trinken auf, vorsichtig, um nichts zu verschütten. Eine Hand legte sich kurz auf seine Stirn und sank kommentarlos beiseite.

Er brannte; er konnte die Flammen hinter seinen Augen spüren, wenn er sie schloss. Seine Lippen waren aufgeplatzt und wund vor Hitze, doch das war besser als der Schüttelfrost, der ihn in Abständen überkam. Solange er nur fieberte, konnte er wenigstens still liegen; das Schütteln weckte die schlafenden Dämonen in seinem Bein.

Murtagh. Ein furchtbares Gefühl beschlich ihn bei dem Gedanken an seinen Paten, doch er erinnerte sich an nichts, was dem Gefühl Gestalt verlieh. Murtagh war tot; er wusste, dass es so sein musste, doch er hatte keine Ahnung, warum oder woher er das wusste. Gut die Hälfte der Highlandarmee war tot, abgeschlachtet auf dem Moor – so viel hatte er den Gesprächen der Männer in der Kate entnommen, doch er selbst erinnerte sich nicht an die Schlacht.

Es war nicht sein erster Kampf in einer Armee, und er wusste, dass ein solcher Gedächtnisverlust bei Soldaten nichts Ungewöhnliches war; er hatte das schon öfter gesehen, auch wenn er es noch nie selbst erlebt hatte. Er wusste, dass die Erinnerung zurückkehren würde, und hoffte, dass er bis dahin tot sein würde. Er bewegte sich, als er das dachte, und glühender Schmerz durchfuhr sein Bein und ließ ihn aufstöhnen.

»Geht es, Jamie?« Ewan stützte sich neben ihm auf den Ellbogen auf, und sein sorgenvolles Gesicht tauchte verschwommen im Dämmerlicht auf. Sein Kopf trug einen blutigen Verband, und sein Kragen hatte rostbraune Flecken, weil ihn ein Streifschuss an der Kopfhaut getroffen hatte.

»Aye, ich komme schon zurecht.« Er streckte die Hand aus und berührte Ewan dankbar an der Schulter. Ewan tätschelte sie und legte sich wieder hin.

Die Krähen waren wieder da. Die nachtschwarzen Vögel waren mit der Dunkelheit schlafen gegangen, doch mit dem Morgengrauen kehrten sie zurück – Vögel des Krieges, die gekommen waren, um sich am Fleisch der Gefallenen satt zu fressen. Es könnten auch seine Augen sein, nach denen die grausamen Schnäbel pickten, dachte er. Er konnte die Form seiner Augäpfel unter seinen Lidern fühlen, rund und heiß, köstliches Gallert, das unruhig hin und her rollte, vergeblich das Vergessen suchte, während die aufgehende Sonne seine Lider in dunkles, blutiges Rot tauchte.