Die Einträge begannen mit der Hochzeit seiner Eltern. Brian Fraser und Ellen MacKenzie. Die Namen und das Datum waren in der schönen rundlichen Handschrift seiner Mutter eingetragen, darunter eine kurze Anmerkung in der entschlosseneren, schwärzeren Hand seines Vaters. Heirat aus Liebe, stand dort – eine kleine Spitze, betrachtete man den nächsten Eintrag, der Willies Geburt anzeigte, knapp zwei Monate nach dem Tag der Hochzeit.
Jamie lächelte wie immer beim Anblick der Worte und hob den Blick zu dem Gemälde, das ihn selbst im Alter von zwei Jahren neben Willie und Bran, dem riesigen Wolfshund, stehend zeigte. Alles, was von Willie geblieben war, der mit elf an den Pocken gestorben war. Die Leinwand des Gemäldes hatte einen Riss – vermutlich das Werk eines Bajonetts, dessen Besitzer seine Frustration daran ausgelassen hatte.
»Und wenn du nicht gestorben wärst«, sagte er leise zu dem Bild, »was dann?«
Was dann, in der Tat. Als er das Buch schloss, fiel sein Blick auf den letzten Eintrag – Caitlin Maisri Murray, geboren 3. Dezember 1749, gestorben 3. Dezember 1749. Aye, wenn. Wenn die Rotröcke am zweiten Dezember nicht gekommen wären, hätte Jenny das Kind trotzdem zu früh bekommen? Wenn sie genug zu essen gehabt hätten und sie nicht wie alle anderen nur aus Haut und Knochen und ihrem schwangeren Bauch bestanden hätte, hätte das geholfen?
»Man kann es nicht sagen, nicht wahr?«, sagte er zu dem Bild. Williams gemalte Hand lag auf seiner Schulter; er hatte sich immer sicher gefühlt, wenn Willie hinter ihm stand.
Wieder kam ein Schrei von oben, und voll plötzlicher Angst umklammerte er das Buch.
»Bete für uns, Bruder«, flüsterte er. Er bekreuzigte sich, legte die Bibel nieder und ging zur Scheune hinaus, um im Stall zu helfen.
Dort gab es nicht viel zu tun; Rabbie und Fergus waren bestens imstande, sich um die wenigen Tiere zu kümmern, die dem Hof geblieben waren, und der kleine Jamie war mit seinen zehn Jahren inzwischen groß genug, um ihnen eine echte Hilfe zu sein. Auf der Suche nach etwas zu tun sammelte Jamie einen Armvoll verstreutes Heu ein und brachte es dem Maultier der Hebamme. Wenn das Heu verbraucht war, würden sie die Kuh schlachten müssen; anders als die Ziegen, fand sie auf den winterlichen Hügeln nicht genug zu fressen, obwohl ihr die Kinder Gras und Kräuter pflückten. Mit etwas Glück würde sie der gepökelte Kadaver bis zum Frühjahr ernähren.
Als er in den Stall zurückkehrte, blickte Fergus von seiner Mistgabel auf.
»Das ist eine richtige Hebamme von gutem Ruf?«, wollte Fergus wissen und schob angriffslustig sein langes Kinn vor. »Milady sollte doch wohl nicht der Obhut einer Bauersfrau anvertraut werden!«
»Woher soll ich das wissen?«, sagte Jamie gereizt. »Glaubst du etwa, ich habe etwas damit zu tun, welche Hebamme gerufen wird?« Mrs. Martin, die alte Hebamme, die alle bisherigen Kinder der Murrays entbunden hatte, war – wie so viele andere – während der Hungersnot im Jahr nach Culloden gestorben. Mrs. Innes, die neue Hebamme, war viel jünger; er hoffte, dass sie genügend Erfahrung besaß, um zu wissen, was sie tat.
Rabbie schien ebenfalls eine Anmerkung zu haben. Er warf Fergus einen finsteren Blick zu. »Aye, und was meinst du mit ›Bauersfrau‹? Du bist selbst ein Bauer, oder ist dir das etwa noch nicht aufgefallen?«
Fergus sah Rabbie an, so herablassend es angesichts der Tatsache möglich war, dass er einen halben Kopf kleiner war als sein Freund.
»Ob ich ein Bauer bin oder nicht, tut nichts zur Sache«, sagte er hochtrabend. »Ich bin schließlich keine Hebamme, oder?«
»Nein, du bist ein Angeber!« Rabbie versetzte seinem Freund einen heftigen Stoß, und Fergus fiel mit einem überraschten Ausruf hin und landete rücklings auf dem Stallboden. Wie der Blitz war er wieder auf den Beinen. Er stürzte auf Rabbie zu, der lachend auf der Kante der Futterkrippe saß, doch Jamies Hand packte ihn am Kragen und riss ihn zurück.
»Schluss damit!«, sagte sein Brotherr. »Es kommt nicht in Frage, dass ihr das bisschen Heu ruiniert, das wir noch haben.« Er stellte Fergus wieder auf die Beine, und um ihn abzulenken, fragte er: »Und was weißt du überhaupt über Hebammen?«
»Eine Menge, Milord.« Fergus klopfte sich mit eleganten Bewegungen den Staub von den Kleidern. »Viele der Damen bei Madame Elise wurden zu Bett gebracht, während ich dort war …«
»Das kann ich mir vorstellen«, warf Jamie trocken ein. »Oder meinst du das Kindbett?«
»Das Kindbett, gewiss doch. Ich bin schließlich selbst dort zur Welt gekommen!«
»Tatsächlich.« Jamies Mund zuckte sacht. »Nun, und du hast damals wohl sorgfältige Beobachtungen angestellt, um heute sagen zu können, wie solche Dinge zu handhaben sind?«
Fergus ignorierte diese sarkastische Bemerkung.
»Nun, natürlich«, sagte er gelassen, »gewiss hat die Hebamme ein Messer unter das Bett gelegt, um den Schmerz entzweizuschneiden.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob sie das getan hat«, murmelte Rabbie. »Zumindest hört es sich nicht sehr danach an.« Die meisten Schreie waren zwar von der Scheune aus nicht zu hören, aber nicht alle.
»Und man sollte ein Ei mit Weihwasser segnen und es am Fuß des Bettes plazieren, so dass die Frau das Kind mit Leichtigkeit hervorbringt«, fuhr Fergus selbstvergessen fort. Er runzelte die Stirn.
»Ich habe der Frau persönlich ein Ei gegeben, aber sie schien nicht zu wissen, was sie damit tun sollte. Dabei habe ich es eigens seit einem Monat aufbewahrt«, klagte er, »da die Hühner ja kaum noch legen. Ich wollte sichergehen, dass wir eins haben, wenn es gebraucht wird. Nun ja. Nach der Geburt«, fuhr er fort, und die Zweifel verloren sich in der Leidenschaft seines Vortrags, »muss die Hebamme einen Tee aus der Plazenta kochen und ihn der Frau zu trinken geben, damit ihre Milch kräftig fließt.«
Rabbie stieß ein leises Würgegeräusch aus. »Du meinst, aus der Nachgeburt?«, sagte er ungläubig. »Gott!«
Auch Jamie wurde ein wenig mulmig angesichts dieser Demonstration modernen medizinischen Wissens.
»Aye, nun ja«, sagte er, um Beiläufigkeit bemüht, zu Rabbie, »sie essen Frösche, weißt du. Und Schnecken. Da ist eine Nachgeburt vielleicht gar nicht so seltsam.« Er fragte sich im Stillen, ob sie nicht bald schon selber Frösche und Schnecken essen würden, hielt es jedoch für besser, diese Überlegung für sich zu behalten.
Rabbie stieß Geräusche aus, als müsste er sich übergeben. »Himmel, wer möchte da ein Franzmann sein!«
Fergus, der dicht neben Rabbie stand, fuhr herum, und seine Faust kam angeschossen wie der Blitz. Für sein Alter war er zwar klein und schmal, doch er war kräftig und zielte todsicher nach den Schwachstellen eines anderen, eine Fähigkeit, die er sich als jugendlicher Taschendieb auf den Straßen von Paris angeeignet hatte. Der Hieb traf Rabbie mitten in den Bauch, und er krümmte sich unter Geräuschen vornüber, als sei jemand auf eine Schweineblase getreten.
»Bitte etwas Respekt, wenn du von denen sprichst, die dir überlegen sind«, sagte Fergus hochmütig. Rabbies Gesicht durchlief nacheinander mehrere Rottöne, und sein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch, während er nach Atem rang. Die Augen quollen ihm mit einem Ausdruck großer Überraschung aus dem Kopf, und er sah so komisch aus, dass es Jamie Mühe kostete, nicht zu lachen, trotz seiner Sorge um Jenny und seiner Verärgerung über den Zank zwischen den Jungen.
»Könnt ihr kleinen Tölpel denn die Pfoten nicht voneinander …«, begann er, als ihn ein Ausruf des kleinen Jamie unterbrach, der bis jetzt geschwiegen hatte und der Unterhaltung fasziniert gefolgt war.
»Was?« Jamie fuhr herum, und seine Hand fuhr automatisch an die Pistole, die er stets bei sich trug, wenn er die Höhle verließ – doch es war gar keine englische Patrouille auf dem Hof, was er halb befürchtet hatte.