»Du weißt verdammt gut, dass es nicht so war«, sagte er knapp. Er konnte spüren, wie seine Wangen vor Verärgerung rot anliefen.
»Warum denn nicht?«, fragte seine Schwester unverblümt.
»Warum nicht?« Mit leicht geöffnetem Mund starrte er sie an. »Hast du den Verstand verloren? Was glaubst du denn, dass ich ein Mann bin, der von Haus zu Haus schleicht und mit jeder Frau ins Bett geht, die mich nicht mit der Bratpfanne aus dem Haus jagt?«
»Als ob sie das tun würden. Nein, du bist ein guter Mann, Jamie.« Jenny lächelte etwas traurig. »Du würdest nie eine Frau ausnutzen. Du würdest erst heiraten, nicht wahr?«
»Nein!«, sagte er heftig. Das Baby zuckte zusammen und stieß ein schläfriges Geräusch aus, und er verlagerte es automatisch auf seine andere Schulter und tätschelte es, während er seine Schwester anfunkelte. »Ich habe nicht vor, noch einmal zu heiraten, also versuch bitte nicht, mich zu verkuppeln, Jenny Murray! Ich will nichts davon hören, verstehst du?«
»Oh, ich verstehe«, sagte sie unbeeindruckt. Sie schob sich höher in ihr Kissen, um ihm ins Auge zu blicken.
»Du hast also vor, bis ans Ende deiner Tage wie ein Mönch zu leben?«, fragte sie. »Ins Grab zu gehen, ohne dass dich ein Sohn beerdigen oder deinen Namen segnen kann?«
»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, verdammt!« Hämmernden Herzens drehte er ihr den Rücken zu und schritt zum Fenster, wo er stehen blieb und blicklos auf den Hof hinunterstarrte.
»Ich weiß, dass du um Claire trauerst«, erklang die Stimme seiner Schwester leise hinter ihm. »Glaubst du, ich könnte Ian vergessen, wenn er nicht zurückkommt? Aber es ist Zeit, dass du sie hinter dir lässt. Du glaubst doch nicht, dass Claire wollen würde, dass du dein Leben allein verbringst, ohne dass dich jemand tröstet oder dir Kinder schenkt?«
Lange Zeit antwortete er nicht, stand einfach nur da und spürte die sanfte Hitze des flaumigen Köpfchens, das sich an seinen Hals drückte. Er konnte sich schwach in der beschlagenen Scheibe sehen, ein hochgewachsener, schmutziger, hagerer Mann mit einem runden weißen Bündel, das nicht zu seinem grimmigen Gesicht passen wollte.
»Sie war schwanger«, sagte er schließlich leise an das Spiegelbild gerichtet. »Als sie – als ich sie verloren habe.« Wie sollte er es sonst ausdrücken. Es war unmöglich, seiner Schwester zu sagen, wo Claire war – wo er hoffte, dass sie war. Dass er an keine andere Frau denken konnte, während er doch hoffte, dass Claire noch lebte, auch wenn er wusste, dass sie für ihn auf ewig verloren war.
Aus dem Bett kam langes Schweigen. Dann sagte Jenny leise: »Ist das der Grund, warum du heute gekommen bist?«
Er seufzte und lehnte den Kopf an das kühle Glas, so dass er ihr seitwärts zugewandt war. Seine Schwester hatte sich zurückgelegt; ihr dunkles Haar lag lose auf dem Kissen, und ihre Augen waren sanft auf ihn gerichtet.
»Aye, vielleicht«, sagte er. »Ich konnte meiner Frau nicht helfen; ich dachte wohl, ich könnte dir helfen. Nicht, dass es so gewesen wäre«, fügte er bitter hinzu. »Ich bin für dich genauso nutzlos wie für sie.«
Jenny streckte die Hand nach ihm aus, und die Bestürzung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Jamie, mo chridhe«, sagte sie, doch dann hielt sie inne und riss plötzlich alarmiert die Augen auf, weil es unten im Haus splitternd krachte und Schreie zu hören waren.
»Heilige Maria!«, sagte sie und wurde noch blasser. »Es sind die Engländer!«
»Himmel.« Es war genauso sehr Gebet wie Ausruf der Überraschung. Er blickte rasch vom Bett zum Fenster, um mögliche Verstecke gegen Fluchtwege abzuwägen. Auf der Treppe erklangen bereits Stiefelschritte.
»Der Schrank, Jamie!«, flüsterte Jenny drängend und zeigte zur Wand. Ohne Zögern stieg er in den Kleiderschrank und zog die Tür hinter sich zu.
Im nächsten Moment flog die Zimmertür krachend auf und wurde von einer rotberockten Gestalt mit einem Dreispitz ausgefüllt, die ein gezogenes Schwert vor sich hertrug. Der Dragonerhauptmann blieb stehen und ließ den Blick durch das Zimmer huschen, bis er sich schließlich auf die schmächtige Gestalt in dem Bett heftete.
»Mrs. Murray?«, sagte er.
Jenny richtete sich mühsam auf.
»Das bin ich. Und was zum Teufel habt Ihr in meinem Haus zu suchen?«, wollte sie wissen. Ihr Gesicht war bleich und glänzte vor Schweiß, und ihre Arme zitterten, doch sie hielt das Kinn hoch erhoben und funkelte den Mann an. »Hinaus!«
Ohne sie zu beachten, trat der Mann in das Zimmer und schritt zum Fenster. Jamie konnte seine verschwommene Gestalt neben dem Schrank verschwinden sehen, dann tauchte er wieder auf und wandte sich mit dem Rücken zum Schrank an Jenny.
»Einer meiner Kundschafter hat berichtet, er hätte vorhin einen Schuss in der Nähe dieses Hauses gehört. Wo sind Eure Männer?«
»Ich habe keine.« Ihre zitternden Arme hielten sie nicht mehr aufrecht, und Jamie sah, wie sich seine Schwester in die Kissen zurücksinken ließ. »Meinen Mann habt Ihr ja schon mitgenommen – und mein ältester Sohn ist noch nicht älter als zehn.« Rabbie oder Fergus erwähnte sie nicht; Jungen wie sie waren alt genug, um als Männer behandelt – oder misshandelt – zu werden, sollte dem Hauptmann der Sinn danach stehen. Mit etwas Glück hatten sie beim Auftauchen der Engländer Fersengeld gegeben.
Der Hauptmann war ein Mann in den mittleren Jahren, der schon viel gesehen hatte und dem man nicht so schnell etwas vormachte.
»Es ist ein ernstes Vergehen, in den Highlands eine Waffe zu besitzen«, sagte er und wandte sich dem Soldaten zu, der ihm in das Zimmer gefolgt war. »Durchsucht das Haus, Jenkins.«
Er musste die Stimme erheben, um diesen Befehl zu erteilen, weil sich im Treppenhaus Lärm erhob. Als sich Jenkins abwandte, um das Zimmer zu verlassen, schob sich Mrs. Innes, die Hebamme, an dem Soldaten vorbei, der versuchte, sich ihr in den Weg zu stellen.
»Lasst die arme Frau in Ruhe!«, rief sie. Sie stemmte die Fäuste in die Seiten und baute sich vor dem Hauptmann auf. Die Stimme der Hebamme bebte, und ihr Haar löste sich aus ihrer Haube, doch sie ließ sich nicht beirren. »Hinaus mit Euch, Ihr Schufte. Lasst sie in Ruhe!«
»Ich tue Eurer Herrin nichts zuleide«, sagte der Hauptmann gereizt, denn offenbar hielt er Mrs. Innes für eine der Mägde. »Ich will nur …«
»Sie hat doch erst vor einer Stunde entbunden! Es ziemt sich nicht, dass Ihr auch nur Euren Blick auf sie richtet, geschweige denn …«
»Entbunden?« Die Stimme des Hauptmanns wurde schärfer, und er richtete den Blick mit plötzlichem Interesse von der Hebamme auf das Bett. »Ihr habt ein Kind bekommen, Mrs. Murray? Wo ist das Baby?«
Besagtes Baby bewegte sich in seinen Tüchern, weil ihm die zunehmende Umklammerung seines entsetzten Onkels unangenehm war.
Aus den Tiefen des Schranks konnte er das Gesicht seiner Schwester sehen, mit weißen Lippen und wie versteinert.
»Das Kind ist tot«, sagte sie.
Der Hebamme fiel vor Schreck der Mund auf, doch zum Glück hatte der Hauptmann seine ganze Aufmerksamkeit auf Jenny gerichtet.
»Oh?«, sagte er langsam. »War es …«
»Mama!«, rief es schmerzerfüllt an der Tür, wo sich der kleine Jamie den Händen eines Soldaten entriss und sich auf seine Mutter stürzte. »Mama, das Baby ist tot? Nein, nein!« Schluchzend warf er sich auf die Knie und vergrub den Kopf in der Bettwäsche.
Wie um die Worte seines Bruders Lügen zu strafen, wies Baby Ian darauf hin, dass es lebte, indem es seinen Onkel mit beträchtlicher Kraft in die Rippen trat und eine Reihe kleiner schnüffelnder Grunzlaute ausstieß, die glücklicherweise in der allgemeinen Unruhe untergingen.
Jenny versuchte, den kleinen Jamie zu trösten; Mrs. Innes versuchte vergeblich, den Jungen aufzurichten, der sich an den Ärmel seiner Mutter klammerte; der Hauptmann versuchte erfolglos, sich unter dem schmerzerfüllten Heulen des Jungen Gehör zu verschaffen, und zu allem Überfluss vibrierten gedämpfte Schritte und Rufe durch das Haus.