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Jamie vermutete, dass der Hauptmann wissen wollte, wo sich die Leiche des Säuglings befand. Er klammerte den fraglichen Säugling fester an sich und rüttelte ihn sacht, um jedem Hauch eines Weinens zuvorzukommen. Seine andere Hand fuhr an den Griff seines Dolches, doch es war eine zwecklose Bewegung; vermutlich würde es nicht einmal helfen, wenn er sich selbst die Kehle durchschnitt, falls der Schrank geöffnet wurde.

Das Baby stieß ein erzürntes Geräusch aus, welches darauf hindeutete, dass es nicht gerüttelt werden wollte. Für Jamie, der schon vor seinem inneren Auge sah, wie das Haus in Flammen aufging und die Bewohner abgeschlachtet wurden, klang das Geräusch so laut wie das schmerzerfüllte Heulen seines älteren Neffen.

»Ihr wart das!« Der kleine Jamie war aufgestanden. Sein Gesicht war tränennass und verquollen, und er hielt mit gesenktem Kopf wie ein kleiner Widder auf den Hauptmann zu. »Ihr habt meinen Bruder getötet, englisches Schwein!«

Der Hauptmann wurde von diesem plötzlichen Angriff so überrumpelt, dass er tatsächlich einen Schritt zurücktrat. Er blinzelte den Jungen an. »Nein, Junge, da irrst du dich. Ich wollte doch nur …«

»Mistkerl! Schwein! A mhic an diabhoil!« Der kleine Jamie stampfte jetzt vollkommen außer sich vor dem Hauptmann hin und her und brüllte sämtliche Unflätigkeiten, die er je gehört hatte, auf Gälisch oder Englisch.

»Enh«, sagte das Baby Ian dem älteren Jamie ins Ohr. »Enh, enh!« Das klang sehr nach dem Anlauf zu einem ausgewachsenen Schrei, und in seiner Panik ließ Jamie den Dolch los und schob seinen Daumen in die weiche, feuchte Öffnung, aus der die Geräusche kamen. Die zahnlosen Kiefer des Babys klammerten sich so heftig um seinen Daumen, dass er beinahe selbst aufgeschrien hätte.

»Hinaus! Hinaus! Fort mit Euch, sonst bringe ich Euch um!«, brüllte der kleine Jamie den Hauptmann wutverzerrt an. Der Rotrock blickte hilflos auf das Bett, als wollte er Jenny bitten, diesen unerbittlichen kleinen Widersacher zurückzurufen, doch sie lag mit geschlossenen Augen da wie tot.

»Ich werde unten auf meine Männer warten«, sagte der Hauptmann, so würdevoll er konnte, und zog sich zurück. Hastig schloss er die Tür hinter sich. Seines Feindes beraubt, ließ sich der kleine Jamie hilflos weinend zu Boden fallen.

Durch den Spalt in der Tür sah Jamie, wie Mrs. Innes den Blick auf Jenny richtete und den Mund zu einer Frage öffnete. Jenny schoss wie Lazarus aus den Laken. Sie verkniff das Gesicht und presste die Finger auf die Lippen, um für Stille zu sorgen. Das Baby kaute mit aller Kraft an Jamies Daumen und knurrte, weil es keine Nahrung herausbekam.

Jenny schwang sich auf die Bettkante und saß wartend da. Die Geräusche der Soldaten durchzogen das Haus. Jenny zitterte vor Schwäche, doch sie streckte eine Hand nach dem Schrank aus, in dem sich ihre Männer versteckt hielten.

Jamie holte tief Luft und machte sich bereit. Sie mussten es riskieren; seine Hand und sein Handgelenk waren speichelnass, und das frustrierte Fauchen des Babys wurde lauter.

In Schweiß gebadet, stolperte er aus dem Schrank und drückte Jenny das Kind in die Arme. Mit einem Ruck entblößte sie ihre Brust, presste das Köpfchen an die Brustwarze und beugte sich über das winzige Bündel, als wollte sie es beschützen.

Aufkeimendes Quäken ging in gedämpften, aber kräftigen Sauggeräuschen unter, und Jamie setzte sich urplötzlich auf den Boden, als sei ihm jemand mit dem Schwert durch die Kniekehlen gefahren.

Der kleine Jamie hatte sich aufgesetzt, als sich der Schrank öffnete, und saß jetzt mit gespreizten Beinen an der Tür, die Miene leer vor Schreck und Verwirrung, während er von seiner Mutter zu seinem Onkel und zurückblickte. Mrs. Innes kniete sich neben ihn und flüsterte ihm eindringlich ins Ohr, doch sein kleines, tränenüberströmtes Gesicht legte keinerlei Anzeichen an den Tag, dass er begriff.

Als schließlich draußen Rufe und klirrendes Zaumzeug vom Aufbruch der Soldaten kündeten, lag der kleine Ian satt und schnarchend in den Armen seiner Mutter. Jamie stand außer Sichtweite am Fenster und sah ihnen nach.

Im Zimmer war es still bis auf das Glucksen des Whiskys, der Mrs. Innes durch die Kehle rann. Der kleine Jamie saß dicht neben seiner Mutter und hatte ihr die Wange an die Schulter gedrückt. Sie hatte nicht ein einziges Mal aufgeblickt, seit sie das Baby an sich genommen hatte, und saß auch jetzt noch so da, den Kopf über das Kind auf ihrem Schoß gebeugt, das Gesicht hinter ihrem schwarzen Haar verborgen.

Jamie trat vor und berührte sie an der Schulter. Ihre Wärme durchfuhr ihn wie ein Schock, als sei die kalte Furcht sein natürlicher Zustand und die Berührung eines anderen Menschen fremd und unnatürlich.

»Ich gehe jetzt ins Priesterloch«, sagte er leise, »und in die Höhle, wenn es dunkel ist.«

Jenny nickte, doch ohne zu ihm aufzublicken. Er sah die weißen Haare unter den schwarzen, die silbern rechts und links ihres Mittelscheitels aufschimmerten.

»Ich glaube … ich komme besser nicht mehr hierher«, sagte er schließlich. »Vorerst jedenfalls.«

Jenny sagte nichts, doch sie nickte erneut.

Kapitel 6

… nachdem wir durch Sein Blut gerecht geworden sind.

Einmal kam er am Ende doch noch zum Haus hinunter. Zwei Monate lang blieb er in der Höhle versteckt und wagte es kaum, sie in der Nacht zum Jagen zu verlassen, denn die englischen Soldaten waren nach wie vor im Distrikt und hatten sich in Comar einquartiert. Tagsüber durchkämmten sie die Gegend, plünderten das wenige, was es zu stehlen gab, und zerstörten, was sie nicht gebrauchen konnten. All das mit dem Segen der englischen Krone.

Ein Weg führte dicht am Fuß des Hügels vorbei, auf dem sich die verborgene Höhle befand. Es war nicht mehr als ein angedeuteter Pfad, der sein Dasein als Wildwechsel begonnen hatte und diesem Zweck auch heute noch weitgehend diente, obwohl sich nur ein sehr törichter Hirsch in Riechweite der Höhle vorwagen würde. Dennoch sah er manchmal, wenn der Wind richtig stand, ein kleines Rudel Rotwild auf dem Pfad, oder er fand am nächsten Tag frischen Kot im aufgewühlten Schlamm des Weges.

Der Weg war auch für die Menschen hilfreich, die auf dem Berg zu tun hatten – auch wenn es nur wenige waren. Im Moment wehte der Wind von der Höhle bergab, und er rechnete nicht damit, Wild zu sehen. Er lag im Inneren des Höhleneingangs auf dem Boden, wo gerade eben hinreichend Licht durch die Schutzwand aus Ginster und Ebereschen drang, dass er an schönen Tagen lesen konnte. Er hatte zwar nicht viele Bücher, doch es gelang Jared immer wieder, ein paar unter seine Geschenke aus Frankreich zu schmuggeln.

Dieser heftige Regen zwang mich zu einer neuen Betätigung, nämlich ein Loch wie ein Abflussrohr in meine neue Befestigung zu schneiden, um das Wasser hinauszulassen, das meine Höhle ansonsten überflutet hätte. Nachdem ich einige Zeit in der Höhle verharrt war und die Erde nicht weiter bebte, fühlte ich mich allmählich gefasster. Und um meine Lebensgeister zu beflügeln, die dessen sehr bedurften, begab ich mich zu meinem kleinen Vorrat und entnahm einen kleinen Schluck Rum, was ich allerdings immer nur sehr sparsam tat, da ich wusste, dass ich keinen mehr bekommen konnte, wenn er aufgebraucht war.

Es regnete die ganze Nacht weiter und einen großen Teil des nächsten Tages, so dass ich nicht ins Freie gehen konnte, doch da meine Gedanken nun ruhiger waren, begann ich zu überlegen …

Die Schatten wanderten über die Buchseite hinweg, als sich die Büsche über ihm regten. Da seine Instinkte an das Leben als Gejagter angepasst waren, registrierte er sofort, dass der Wind gewechselt hatte – und dass er Stimmengeräusche mit sich trug.

Er sprang auf, die Hand an seinem Dolch, den er niemals ablegte. Hastig hielt er inne, um das Buch sorgfältig auf einen Felsabsatz zu stellen, dann packte er den Granitvorsprung, der ihm als Handgriff diente, und richtete sich in der schmalen hohen Lücke auf, die den Eingang der Höhle bildete.