Das Aufblitzen von Rot und Metall auf dem Pfad unter ihm erfüllte ihn schlagartig mit Schreck und Verärgerung. Er hatte keine große Angst, dass auch nur irgendeiner der Soldaten den Weg verlassen würde – sie waren schon für den normalen Untergrund aus flachem Torfmoor und Heide kaum passend ausgerüstet, von einem mit Brombeeren überwucherten Berghang wie diesem ganz zu schweigen –, doch dass sie ihm so nah waren, bedeutete, dass er es vor Einbruch der Dunkelheit nicht riskieren konnte, die Höhle zu verlassen, und sei es nur, um Wasser zu holen oder sich zu erleichtern. Er warf einen raschen Blick auf seinen Wasserkrug, doch er wusste auch so, dass er beinahe leer war.
Ein Ausruf zog seine Aufmerksamkeit wieder auf den Pfad zurück, und fast wäre seine Hand von dem Felsen abgeglitten. Die Soldaten drängten sich um eine kleine Gestalt, die unter dem Gewicht eines kleinen Fässchens gebeugt war, das sie auf der Schulter trug. Fergus auf dem Weg nach oben mit einem Fass voll frisch gebrautem Ale. Verdammt und nochmals verdammt. Er hätte dieses Ale zu gerne gehabt; es war Monate her, dass er zuletzt welches bekommen hatte.
Der Wind hatte sich wieder gedreht, so dass er nur spärliche Wortfetzen auffing, doch die kleine Gestalt schien mit dem Soldaten zu diskutieren, der vor ihr stand, und gestikulierte heftig mit der freien Hand.
»Idiot!«, murmelte Jamie. »Gib es ihnen und dann ab mit dir, du kleiner Trottel!«
Ein Soldat griff mit beiden Händen nach dem Fass und verfehlte es, weil die kleine Gestalt behende zurücksprang. Jamie schlug sich enerviert vor die Stirn. Fergus konnte sich die Dreistigkeit nicht verkneifen, wenn er sich mit Autoritätspersonen konfrontiert sah – vor allem mit englischen Autoritätspersonen.
Die kleine Gestalt hüpfte jetzt weiter rückwärts und rief ihren Verfolgern etwas zu.
»Dummkopf!«, sagte Jamie aufgebracht. »Lass es fallen und lauf weg!«
Doch Fergus ließ es weder fallen, noch lief er weg. Da er anscheinend auf seine Schnelligkeit vertraute, drehte er den Soldaten den Rücken zu und hielt ihnen provozierend den wackelnden Hintern entgegen. Inzwischen doch so wütend, dass sie bereit waren, es mit der sumpfigen Vegetation aufzunehmen, verließen mehrere der Rotröcke den Weg, um ihm zu folgen.
Jamie sah, wie ihr Anführer den Arm hob und eine Warnung rief. Offenbar dämmerte ihm, dass Fergus ein Köder sein könnte, der versuchte, sie in einen Hinterhalt zu locken. Doch Fergus brüllte ebenfalls aus voller Kehle, und die Soldaten verstanden offenbar genügend Straßenfranzösisch, um zu verstehen, was er sagte. Zwar blieben ein paar der Männer auf den Ruf ihres Anführers hin stehen, doch vier der Soldaten stürzten sich auf den tänzelnden Jungen.
Es folgte ein Handgemenge, dann weiteres Gebrüll, als ihnen Fergus wendig wie ein Aal entwischte. In all dem Lärm und dem Heulen des Windes hätte Jamie das Zischen des Säbels nicht hören können, der aus der Scheide gezogen wurde, doch hinterher hatte er das Gefühl, er hätte es gehört, als seien das leise »Wisch« und der Klang des gezogenen Metalls die ersten Vorboten der Katastrophe gewesen. In seinen Ohren jedenfalls hörte er das Geräusch, wann immer er sich an die Szene erinnerte – und er sollte sich lange daran erinnern.
Vielleicht war es etwas an der Haltung der Soldaten, eine gereizte Stimmung, die er in der Höhle spürte. Vielleicht nur das Gefühl des Unheils, das ihm seit Culloden anhaftete, als sei alles rings um ihn mit einem Makel behaftet, nur weil er in der Nähe war. Ob er das Säbelgeräusch gehört hatte oder nicht, sein Körper war zum Sprung angespannt, ehe er die Klinge im silbernen Bogen durch die Luft schwingen sah.
Sie bewegte sich beinahe träge, so langsam, dass sein Hirn ihrem Bogen folgen, ihr Ziel erkennen und wortlos Nein! rufen konnte. Er hatte das sichere Gefühl, dass sie sich so langsam bewegte, dass er mitten in das Gewimmel der Männer hätte springen und das Handgelenk hätte packen können, welches das Schwert schwang, und ihm das todbringende Metallstück hätte entwinden können, um es harmlos zu Boden zu werfen.
Der bewusste Teil seines Gehirns sagte ihm, dass das Unsinn war, während er gleichzeitig seine Hände auf dem Granitvorsprung erstarren ließ und sich dort gegen den überwältigenden Impuls verankerte, sich aus der Erde aufzuschwingen und loszurennen.
Das kannst du nicht tun, sagte sein Gehirn zu ihm, ein leises Flüstern unter der Wut und dem Grauen, das ihn erfüllte. Er hat das für dich getan; du darfst es nicht zur Sinnlosigkeit verdammen. Du darfst es nicht, sagte es kalt wie der Tod unter dem brennenden Ansturm der Vergeblichkeit, der ihn ertränkte. Du kannst nichts tun.
Und er tat nichts, nichts als zuzusehen, wie die Klinge ihren langsamen Bogen vollendete, mit einem leisen, beinahe unbedeutenden tonk! aufprallte und das Fass des Anstoßes neben dem Bach den Hang hinunterpolterte, bis sich sein letztes Aufplatschen weit unten im munteren Gurgeln des braunen Wassers verlor.
Das Geschrei endete abrupt in erschrockener Stille. Er hörte es kaum, als es erneut begann; es klang so sehr wie das Dröhnen in seinen Ohren. Seine Knie gaben nach, und ihm wurde vage bewusst, dass er im Begriff war, ohnmächtig zu werden. Sein Gesichtsfeld verdunkelte sich zu rötlichem Schwarz, in dem Sterne und Lichtstreifen tanzten – doch selbst die heraufziehende Dunkelheit konnte diesen letzten Anblick nicht auslöschen, Fergus’ Hand, diese kleine, geschickte, schlaue Taschendiebeshand, die reglos im Schlamm des Weges lag, die Handfläche flehend zum Himmel gewandt.
Achtundvierzig endlose Stunden lang wartete er, ehe er Rabbie MacNab auf dem Weg unterhalb der Höhle pfeifen hörte.
»Wie geht es ihm?«, fragte er ohne Umschweife.
»Mrs. Jenny sagt, er wird es überleben«, antwortete Rabbie. Sein Jungengesicht war bleich und verhärmt; er hatte sich sichtlich noch nicht von dem Schreck erholt, den ihm der Unfall seines Freundes eingejagt hatte. »Sie sagt, er hat kein Fieber, und es gibt keine Anzeichen für Wundfäule in …«, er schluckte hörbar, »… in seinem Stumpf.«
»Dann haben ihn die Soldaten zum Haus gebracht?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern war schon auf dem Weg bergab.
»Aye, sie waren sehr bestürzt darüber. Ich glaube …«, Rabbie blieb stehen, um sein Hemd aus einer Dornenranke zu befreien, und musste sich dann beeilen, um seinen Brotherrn einzuholen, »… ich glaube, es hat ihnen leidgetan. Zumindest hat der Hauptmann das gesagt. Und er hat Mrs. Jenny einen goldenen Sovereign gegeben – für Fergus.«
»Oh, aye?«, sagte Jamie. »Sehr großzügig.« Und das war das Letzte, was er sagte, bis sie das Haus erreichten.
Fergus lag komfortabel im Kinderzimmer, in einem Bett am Fenster. Seine Augen waren geschlossen, als Jamie in das Zimmer trat, und seine langen Wimpern lagen sacht auf seinen Wangen. Ohne das übliche lebhafte Spiel der Grimassen und Posen sah sein Gesicht völlig anders aus. Die leicht gekrümmte Nase über dem breiten, ausdrucksvollen Mund verlieh ihm etwas Aristokratisches, und die Knochen, die unter der Haut gerade zu ihrer endgültigen Härte fanden, verhießen schon, dass sich der jungenhafte Charme seines Gesichts eines Tages in ausgewachsene Attraktivität verwandeln würde.
Jamie bewegte sich auf das Bett zu, und die dunklen Wimpern hoben sich sofort.
»Milord«, sagte Fergus, und ein schwaches Lächeln gab seinem Gesicht die vertrauten Konturen zurück. »Seid Ihr hier nicht in Gefahr?«
»Gott, Junge, es tut mir so leid.« Jamie sank neben dem Bett auf die Knie. Er konnte es kaum ertragen, den Blick auf den schmalen Unterarm zu richten, der auf der Bettdecke lag und dessen zerbrechliches, verbundenes Handgelenk im Nichts endete, doch er zwang sich, Fergus zur Begrüßung an der Schulter zu berühren und ihm sacht mit der Handfläche über das dichte dunkle Haar zu streichen.
»Tut es sehr weh?«, fragte er.
»Nein, Milord«, sagte Fergus. Dann verzog sich sein Gesicht plötzlich schmerzerfüllt und strafte ihn Lügen, und er grinste verlegen. »Nun ja, nicht sehr. Und Madame war spendabel mit dem Whisky.«