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»Ah.« Der Reverend begann, die Situation zu genießen, und nutzte die Gelegenheit, mich zu belehren. »Ich dachte, Mrs. Abernathy hätte sie Euch gegenüber vielleicht erwähnt; schließlich war sie so sehr an diesem Thema interessiert, dass sie mir diesbezüglich nach Edinburgh geschrieben hat.« Er blätterte den Stapel durch und zog ein Blatt heraus, das auf Gälisch verfasst zu sein schien.

»Dies ist der Originaltext der Prophezeiung«, sagte er und hielt mir Beweisstück A unter die Nase. »Sie stammt vom Brahan-Seher; Ihr habt gewiss von ihm gehört?« Es lag zwar wenig Hoffnung in seinem Ton, doch ich hatte tatsächlich vom Brahan-Seher gehört, einem Propheten aus dem sechzehnten Jahrhundert, der eine Art schottischer Nostradamus war.

»Das habe ich. Eine Prophezeiung, die die Frasers betrifft?«

»Die Frasers von Lovat, aye. Die Sprache ist zwar lyrisch, worauf ich auch Mistress Abernathy hingewiesen habe, aber die Bedeutung ist klar.« Ungeachtet des Argwohns, mit dem er mir begegnete, wuchs sein Eifer mit jedem Wort. »Die Prophezeiung besagt, dass Lovats Abstammungslinie ein neuer Herrscher Schottlands entspringen wird. Dies wird nach der Eklipse der ›Könige der weißen Rose‹ geschehen – natürlich eine klare Anspielung auf die papistischen Stuarts.« Er zeigte auf die weißen Rosen, die in den Teppich eingewebt waren. »Manches daran ist natürlich sehr kryptisch; die Zeit, in der dieser Herrscher in Erscheinung treten wird, und ob es ein König oder eine Königin sein wird – das lässt sich nur schwer interpretieren, da das Original ein wenig gelitten hat …«

Er fuhr fort, aber ich hörte nicht mehr zu. Falls ich noch irgendwelche Zweifel gehabt hatte, wohin Geilie unterwegs war, so schwanden diese rapide. Weil sie von den Herrschern Schottlands besessen war, hatte sie fast ein Jahrzehnt darauf hingearbeitet, die Stuarts wieder auf den Thron zu bringen. Dieser Versuch war in Culloden unwiederbringlich gescheitert, und danach hatte sie nur noch Verachtung für sämtliche noch lebenden Stuarts an den Tag gelegt. Kein Wunder, wenn sie zu wissen glaubte, was als Nächstes kam.

Doch wohin würde sie gehen? Zurück nach Schottland vielleicht, um sich in das Schicksal von Lovats Erben einzumischen? Nein, sie erwägte ja, erneut den Sprung durch die Zeit zu tun; so viel war mir nach unserer Unterhaltung klar. Sie machte sich bereit, indem sie ihre Ressourcen zusammentrug – den Schatz von der Insel der Silkies – und letzte Nachforschungen anstellte.

Ich starrte das Papier mit einer Art fasziniertem Grauen an. Die Ahnenfolge war natürlich nur bis in die Gegenwart notiert. Wusste Geillis, wer Lovats zukünftige Nachkommen sein würden?

Ich blickte auf, um Reverend Campbell eine Frage zu stellen, doch die Worte gefroren mir auf den Lippen. In der Tür der Veranda stand Mr. Willoughby.

Der kleine Chinese hatte offenbar schwere Zeiten hinter sich; sein Seidenpyjama war zerrissen und fleckig, und in seinem runden Gesicht zeigten sich allmählich die Schatten von Hunger und Erschöpfung. Seine Augen registrierten mich nur flüchtig; seine Aufmerksamkeit galt einzig dem Reverend.

»Sehr heilige Mann«, sagte er, und seine Stimme hatte einen Unterton, den ich noch nie bei ihm gehört hatte; ein böser, höhnischer Klang.

Der Reverend fuhr so schnell herum, dass er mit dem Ellbogen gegen eine Vase stieß; Wasser und gelbe Rosen ergossen sich über den Schreibtisch und durchtränkten die Papiere. Der Reverend stieß einen Wutschrei aus, riss die Papiere aus der Flut und schüttelte sie hektisch, um das Wasser zu entfernen, ehe die Tinte verlaufen konnte.

»Siehst du, was du angestellt hast, du hinterlistiger, gottloser Mörder?«

Mr. Willoughby lachte. Nicht sein übliches schrilles Kichern, sondern ein leises Glucksen. Es klang alles andere als lustig.

»Ich Mörder?« Er schüttelte langsam den Kopf hin und her, ohne den Reverend aus den Augen zu lassen. »Nicht ich, heilige Mann. Mörder seid Ihr.«

»Hinweg mit dir, Mann«, sagte Campbell kalt. »Du hast im Haus einer Dame nichts verloren.«

»Ich Euch kenne.« Die Stimme des Chinesen war leise und ungerührt, sein Blick ruhig. »Ich Euch sehe. Sehe in rotem Gemach mit der Frau, die lacht. Und mit stinkenden Huren in Schottland.« Ganz langsam hob er die Hand an seine Kehle und zog sie mit der Präzision einer Klinge quer daran vorbei. »Sehr oft gemordet, heiliger Mann, ich glaube.«

Reverend Campbell war bleich geworden, ob vor Schreck oder Rage, konnte ich nicht sagen. Ich war ebenfalls bleich – vor Angst. Ich feuchtete mir die trockenen Lippen an und zwang mich zu sprechen.

»Mr. Willoughby …«

»Nicht Willoughby«, verbesserte er mich beinahe gleichgültig, ohne mich anzusehen. »Ich bin Yi Tien Cho.«

Mein Verstand, der der Situation liebend gern entflohen wäre, fragte sich absurderweise, ob die korrekte Anrede wohl Mr. Yi oder Mr. Cho wäre.

»Verschwinde auf der Stelle!« Der Reverend war bleich vor Wut. Er trat auf den kleinen Chinesen zu, die groben Fäuste geballt. Mr. Willoughby bewegte sich nicht und schien den hünenhaften Prediger nicht zu beachten.

»Besser Ihr geht, Erste Frau«, sagte er leise. »Heiliger Mann liebt Frauen – nicht mit Schwanz. Mit Messer.«

Ich trug zwar kein Korsett, fühlte mich aber, als trüge ich eins. Ich bekam keine Luft, um Worte zu formen.

»Unsinn!«, sagte der Reverend scharf. »Ich wiederhole – verschwinde! Sonst werde ich …«

»Bitte bewegt Euch nicht, Reverend Campbell«, sagte ich. Mit zitternden Händen zog ich die Pistole, die mir Jamie gegeben hatte, und richtete sie auf ihn. Zu meiner großen Überraschung blieb er tatsächlich stehen und starrte mich an, als wäre mir gerade ein zweiter Kopf gewachsen.

Ich hatte noch nie eine Schusswaffe auf einen Menschen gerichtet; es war ein seltsam berauschendes Gefühl, obwohl der Lauf der Pistole stark wankte. Gleichzeitig jedoch hatte ich eigentlich keine Ahnung, was ich tun sollte.

»Mr. –« Ich gab auf und benutzte den ganzen Namen. »Yi Tien Cho. Habt Ihr den Reverend auf dem Ball des Gouverneurs mit Mrs. Alcott gesehen?«

»Ich gesehen, er bringt sie um«, sagte Yi Tien Cho ausdruckslos. »Besser schießen, Erste Frau.«

»Macht Euch doch nicht lächerlich. Mrs. Fraser, Ihr glaubt doch einem Wilden nicht, der selbst …« Der Reverend wandte sich mir zu und bemühte sich um eine überlegene Miene, was jedoch durch die Schweißperlen erschwert wurde, die sich an seinem zurückweichenden Haaransatz gebildet hatten.

»Doch, ich glaube, das tue ich«, sagte ich. »Ihr wart dort. Ich habe Euch gesehen. Und Ihr wart in Edinburgh, als dort die letzte Prostituierte umgebracht wurde. Nellie Cowden hat gesagt, Ihr hättet zwei Jahre in Edinburgh gelebt; genauso lange hat auch die Bestie dort gewütet.« Der Abzug war rutschig unter meinem Zeigefinger.

»Er hat genauso lange dort gelebt!« Das Gesicht des Reverends verlor jetzt seine Blässe und lief mit jeder Sekunde dunkler an. Er wies mit einem Ruck seines Kopfes auf den Chinesen.

»Ihr glaubt dem Wort des Mannes, der Euren Mann verraten hat?«

»Wer?«

»Er!« Die Ungeduld ließ die Stimme des Reverends heiser klingen. »Es war dieses hinterlistige Geschöpf, das Fraser an Sir Percival Turner verraten hat. Sir Percival hat es mir erzählt!«

Fast wäre mir die Pistole aus der Hand gefallen. Das ging mir alles viel zu schnell. Ich hoffte inbrünstig, dass Jamie und seine Männer Ian gefunden hatten und zum Fluss zurückgekehrt waren – gewiss würden sie zum Haus kommen, wenn ich nicht am Treffpunkt war.

Ich hob die Pistole ein wenig und hatte vor, dem Reverend zu sagen, er sollte sich in den Durchgang zur Küche begeben; ihn in eine der Vorratskammern zu sperren, war das Beste, was mir einfiel.

»Ihr solltet besser …«, begann ich, dann stürzte er sich auf mich.

Mein Finger drückte automatisch auf den Abzug. Es knallte laut, die Waffe versetzte meiner Hand einen Hieb, und mir stieg eine kleine Rauchwolke ins Gesicht, so dass mir die Augen tränten.

Ich hatte ihn nicht getroffen. Die Explosion hatte ihn zwar erschreckt, doch jetzt machte sich erst recht Genugtuung in seinem Gesicht breit. Ohne ein Wort griff er in seinen Rock und zog eine etwa zwanzig Zentimeter lange Hülle aus ziseliertem Metall heraus, aus deren Ende ein weißer Hirschhorngriff ragte.