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Mit der grauenvollen Klarheit, die mit jeder Art von Krise einhergeht, nahm ich alles wahr, von der Delle in der Klinge, die er jetzt aus der Hülle zog, bis hin zum Duft der Rose, die er unter seiner Schuhsohle zertrat, als er auf mich zukam.

Ich konnte nirgendwohin. Ich hielt mich zum Kampf bereit, obwohl ich wusste, dass Kämpfen zwecklos war. Die frische Narbe des Entermessers brannte auf meinem Arm und erinnerte mich grauenerregend daran, was mir bevorstand. In meinem Augenwinkel blitzte es blau, dann hörte ich einen matschigen Aufprall, als hätte jemand eine Melone aus großer Höhe fallen gelassen. Der Reverend drehte sich ganz langsam auf einem Schuh; seine Augen waren weit aufgerissen und völlig, völlig leer. In diesem einen Moment sah er aus wie Margaret. Dann fiel er zu Boden.

Er fiel wie ein Brett und streckte keine Hand aus, um sich zu retten. Eines der Satinholztischchen stürzte um, und es regnete Potpourri und glattpolierte Steine. Der Kopf des Reverends traf zu meinen Füßen auf den Boden, prallte einmal ab und lag still. Ich trat krampfhaft einen Schritt zurück, dann stand ich gefangen mit dem Rücken zur Wand.

Er hatte eine fürchterliche Delle in der Schläfe. Vor meinen Augen wechselte sein Gesicht die Farbe und verwandelte sich vom Rot der Wut in käsiges Weiß. Seine Brust hob sich, hielt inne, hob sich erneut. Seine Augen standen offen, genau wie sein Mund.

»Tsei-mi ist hier, Erste Frau?« Der Chinese steckte sich den Beutel mit den Steinkugeln wieder in den Ärmel.

»Ja, er ist hier – draußen.« Ich wies mit einer vagen Handbewegung auf die Veranda. »Was … er … habt Ihr wirklich …« Ich spürte, wie mich der Schock in Wellen überkam, und kämpfte sie nieder, indem ich die Augen schloss und einatmete, so tief ich konnte.

»Seid Ihr es gewesen?«, sagte ich, ohne die Augen zu öffnen. Falls er vorhatte, mir ebenfalls den Schädel zu zertrümmern, wollte ich nicht zusehen. »Hat er die Wahrheit gesagt? Wart Ihr es, der Sir Percival das Stelldichein in Arbroath verraten hat? Der ihm von Malcolm und der Druckerei erzählt hat?«

Es kam weder eine Antwort, noch bewegte er sich, und nach ein paar Sekunden öffnete ich die Augen. Er stand da und beobachtete Reverend Campbell.

Archibald Campbell lag totenstill da, aber er war noch nicht tot. Doch der dunkle Engel nahte; seine Haut hatte die schwache Grünfärbung angenommen, die man oft bei Sterbenden sah. Dennoch, seine Lungen bewegten sich noch und saugten mit einem keuchenden Pfeifen Luft ein.

»Dann war es gar kein Engländer«, sagte ich. Meine Hände waren feucht, und ich wischte sie mir am Rock ab. »Ein englischer Name. Willoughby.«

»Nicht Willoughby«, sagte er scharf. »Ich bin Yi Tien Cho!«

»Warum!«, sagte ich und schrie beinahe. »Seht mich an, verdammt! Warum?«

Und er sah mich an. Seine Augen waren schwarz und so rund wie Murmeln, doch sie hatten ihren Glanz verloren.

»In China«, sagte er, »es gibt … Geschichten. Prophezeiung. Dass eines Tages Geister kommen. Jeder Angst vor Geist.« Er nickte, einmal, zweimal, dann richtete er den Blick wieder auf die Gestalt am Boden.

»Ich verlasse China, rette mein Leben. Erwache viel später – ich sehe Geister. Überall Geister um mich herum«, sagte er leise.

»Großer Geist kommt – schreckliches weißes Gesicht, sehr schrecklich, Haar aus Feuer. Wird meine Seele essen, glaube ich.« Seine Augen waren auf den Reverend geheftet gewesen, jetzt hoben sie sich zu meinem Gesicht, abwesend und reglos wie ein stehendes Gewässer.

»Ich habe recht«, sagte er schlicht und nickte erneut. Er hatte sich zwar länger nicht mehr rasiert, doch die Kopfhaut unter dem schwarzen Pelz glänzte im Licht der Lampe.

»Er isst meine Seele, Tsei-mi. Ich nicht mehr da, Yi Tien Cho.«

»Er hat Euch das Leben gerettet«, sagte ich. Er nickte erneut.

»Ich weiß. Besser ich sterbe. Besser sterben als Willoughby sein. Willoughby! Ptah!« Er wandte den Kopf ab und spuckte aus. Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich vor Wut.

»Er spricht meine Worte, Tsei-mi! Er isst meine Seele!« Der Wutanfall schien genauso schnell zu verfliegen, wie er gekommen war. Er schwitzte, obwohl es nicht übermäßig warm im Zimmer war. Mit zitternder Hand fuhr er sich über das Gesicht und wischte die Feuchtigkeit ab.

»Da ist Mann, sehe in Wirtshaus. Fragt nach Mac-Doo. Ich betrunken«, sagte er leidenschaftslos. »Will Frau, keine Frau kommt mit mir – lachen, sagen gelber Wurm, zeigen mit Finger …« Er wies vage mit der Hand auf die Vorderseite seiner Hose und schüttelte den Kopf, so dass sein Zopf leise über die Seide raschelte.

»Ganz gleich, was gwao-fei tun, alles gleich für mich. Ich betrunken«, sagte er erneut. »Geistermann will Mac-Doo, fragt, weiß ich. Sage ja, ich kenne Mac-Doo.« Er zuckte mit den Schultern. »Nicht wichtig, was ich sage.«

Er starrte jetzt wieder auf den Prediger. Ich sah, wie sich die schmale schwarze Brust langsam hob, senkte … sich noch einmal hob, senkte … und sich nicht mehr regte. Im Zimmer war nichts zu hören, das Keuchen war verstummt.

»Stehe in Schuld«, sagte Yi Tien Cho. Er wies kopfnickend auf den leblosen Körper. »Ich bin entehrt, ich Fremder. Aber ich bezahle. Euer Leben für mein Leben, Erste Frau. Ihr sagt Tsei-mi.«

Er nickte noch einmal, dann wandte er sich zur Tür. Im Dunkel der Veranda raschelte Gefieder. Auf der Schwelle machte er noch einmal kehrt.

»Als ich erwache auf Dock, ich denke, Geister sind gekommen, sind überall ringsum«, sagte Yi Tien Cho leise. Seine Augen waren dunkel und ausdruckslos und von jeder Tiefe frei. »Aber ich geirrt. Ich bin es; ich bin der Geist.«

An der Glastür regte sich ein Luftzug, und er war fort. Das rasche, leise Geräusch filzbesohlter Schuhe entfernte sich über die Veranda, gefolgt vom Rascheln ausgebreiteter Flügel und einem leisen, klagenden Gwaaa!, das in den nächtlichen Geräuschen der Plantage verhallte.

Ich schaffte es bis zum Sofa, ehe mir die Knie versagten. Ich beugte mich vor, legte den Kopf auf die Knie und betete darum, nicht ohnmächtig zu werden. Das Blut hämmerte mir in den Ohren. Ich glaubte, einen keuchenden Atemzug zu hören, und riss in Panik den Kopf hoch, doch Reverend Campbell lag reglos da.

Ich konnte nicht mit ihm in einem Zimmer bleiben. Ich stand auf und schlug einen möglichst großen Bogen um den Toten, doch ich hatte die Verandatür noch nicht erreicht, als ich es mir anders überlegte. Die Ereignisse des Abends kollidierten in meinem Kopf wie die Glasstückchen in einem Kaleidoskop.

Ich konnte jetzt nicht innehalten, um nachzudenken und mir einen Reim auf alles zu machen. Doch mir fiel ein, was der Reverend gesagt hatte, als Yi Tien Cho gekommen war. Wenn es einen Hinweis darauf gab, wohin Geillis Abernathy gegangen war, würde er oben sein. Ich nahm mir eine Kerze vom Tisch, zündete sie an und begab mich durch das dunkle Haus zur Treppe. Ich widerstand dem Drang, mich umzusehen, und mir war furchtbar kalt.

Es herrschte Dunkelheit im Arbeitsraum, doch über dem hinteren Ende der hölzernen Platte schwebte ein schwacher, gespenstischer, violetter Schimmer. In der Luft lag ein seltsamer Brandgeruch, der mir in der Nase brannte und mich zum Niesen brachte. Der schwache metallische Nachgeschmack in meiner Kehle erinnerte mich an einen längst vergangenen Chemie-Vortrag.

Brennendes Quecksilber. Der Dampf, den es ausströmte, war nicht nur von gespenstischer Schönheit, er war außerdem hochgiftig. Ich riss ein Taschentuch hervor und schlug es mir vor Nase und Mund, während ich auf das violette Leuchten zuging.

Die Linien des Pentagramms hatten sich in das Holz der Platte eingebrannt. Falls sie Steine benutzt hatte, um das Muster zu markieren, hatte sie sie mitgenommen, doch sie hatte etwas anderes zurückgelassen.