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Das Foto war an den Rändern angesengt, doch die Mitte war unversehrt. Mein Herz tat einen erschrockenen Schlag. Ich griff nach dem Bild und klammerte mir Briannas Gesicht mit einer Mischung aus Wut und Panik an die Brust.

Was sollte diese … diese Entweihung? Es konnte nicht als Geste gegen mich oder Jamie gedacht sein, denn sie konnte ja nicht davon ausgehen, dass einer von uns es je zu Gesicht bekommen würde.

Es musste Magie sein … oder Geilies Version von Magie. Hektisch versuchte ich, mir unsere Unterhaltung in diesem Zimmer ins Gedächtnis zu rufen; was hatte sie gesagt? Sie war neugierig gewesen, wie ich durch die Steine gereist war – das war das wichtigste Thema gewesen. Und was hatte ich gesagt? Nur etwas Vages, dass ich mich auf eine Person konzentriert hatte … ja, das war es … Ich hatte gesagt, ich hätte meine Konzentration auf eine bestimmte Person gerichtet, die in der Zeit lebte, in die ich gezogen wurde.

Ich holte tief Luft und stellte fest, dass ich zitterte, sowohl als verspätete Reaktion auf die Szene im Salon als auch, weil mich eine grauenvolle Erkenntnis überkam. Möglich, dass Geilie einfach nur beschlossen hatte, meine Technik – wenn man es denn so nennen konnte – zusätzlich zu ihrer eigenen anzuwenden und Briannas Foto als Fixpunkt ihrer Reise zu benutzen. Oder – ich dachte an die ordentlichen, handgeschriebenen Papierstapel des Reverends, die sorgfältig angefertigten Stammbäume, und fühlte mich der Ohnmacht nahe.

»Eine der Prophezeiungen des Brahan-Sehers«, hatte er gesagt. »Sie betrifft die Frasers von Lovat. Sie werden Schottlands Herrscher hervorbringen.« Doch dank der Nachforschungen, die Roger Wakefield angestellt hatte, wusste ich – genau wie es Geilie dank ihres besessenen Interesses an der schottischen Geschichte vermutlich ebenfalls wusste –, dass Lovats direkte Abstammungslinie im neunzehnten Jahrhundert endete. Zumindest offiziell. Es gab tatsächlich einen Überlebenden dieser Linie, im Jahr 1968 – Brianna.

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass das leise Knurren, das ich hörte, in Wirklichkeit aus meiner eigenen Kehle drang, und einen weiteren Moment der bewussten Anstrengung, bis ich meine Zähne voneinander lösen konnte.

Ich steckte mir die verstümmelte Fotografie in die Rocktasche, fuhr herum und rannte zur Tür, als sei der Arbeitsraum von Dämonen erfüllt. Ich musste Jamie finden – auf der Stelle.

Sie waren nicht da. Das Boot dümpelte lautlos und leer unter dem großen Ameisenbaum vor sich hin, wo wir es zurückgelassen hatten, doch von Jamie und den anderen war nichts zu sehen.

Ein kleines Stück von mir entfernt lag rechts ein Zuckerrohrfeld zwischen mir und der Raffinerie. Der schwache Karamellgeruch verbrannten Zuckers hing über dem Feld. Dann drehte sich der Wind, und ich roch den reinen, feuchten Duft von Moos und nassen Steinen, der vermischt mit der Schärfe der Wasserpflanzen vom Fluss herüberwehte.

Die Uferböschung stieg an dieser Stelle steil zum Rand des Zuckerrohrfeldes an. Auf Händen und Füßen krabbelte ich die Steigung hinauf und rutschte immer wieder mit der Handfläche im weichen, klebrigen Schlamm ab, den ich angewidert abschüttelte, ehe ich mir die Hand am Rock abwischte. Allmählich wurde ich nervös. Wo zum Teufel steckte Jamie? Er hätte längst zurück sein müssen.

An der Eingangstür von Rose Hall brannten zwei Fackeln, die aus dieser Entfernung nur kleine flackernde Lichtpünktchen waren. Etwas näher schien ebenfalls Licht; es brannte links von der Raffinerie. Waren Jamie und seine Männer dort in Schwierigkeiten geraten? Ich konnte leises Singen aus dieser Richtung hören und sah ein kräftigeres Leuchten, das auf ein großes offenes Feuer schließen ließ. Es wirkte zwar friedlich, aber diese Nacht – oder der Ort – war voller Unbehagen.

Plötzlich nahm ich neben dem Aroma der Brunnenkresse und des verbrannten Zuckers einen weiteren Geruch wahr – ein kräftiger, faulig süßer Gestank, den ich sofort als Verwesungsgeruch erkannte. Vorsichtig ging ich einen Schritt weiter, und vor mir brach die Hölle los.

Es war, als hätte sich plötzlich ein Stück der Nacht gelöst und sei auf Höhe meiner Knie zum Leben erwacht. Dicht neben mir bewegte sich etwas Großes mit der Wucht einer Explosion und versetzte mir einen Hieb quer über die Unterschenkel, so dass ich zu Boden ging.

Mein unwillkürlicher Schrei erscholl gleichzeitig mit einem haarsträubenden Geräusch – einer Art lautem, grunzendem Zischen, das mir erneut bestätigte, dass ich mich in unmittelbarer Nähe eines großen Lebewesens befand, das nach Aas stank. Ich wusste zwar nicht, was es war, aber ich wollte auch nichts damit zu tun haben.

Ich landete ziemlich unsanft auf dem Hintern. Ich versuchte erst gar nicht zu sehen, was vorging, sondern drehte mich um und machte mich auf allen vieren durch den grasigen Schlamm davon. Das grunzende Zischen erklang erneut, nur lauter, und rutschende Krabbelgeräusche folgten mir. Irgendetwas berührte meinen Fuß, und ich rappelte mich zum Rennen hoch.

In meiner Panik begriff ich erst, dass ich plötzlich etwas sehen konnte, als der Mann direkt vor mir aufragte. Ich prallte mit ihm zusammen, und seine Fackel fiel zu Boden und zischte im feuchten Laub.

Hände packten meine Schultern, und hinter mir erschollen Rufe. Ich stand mit dem Gesicht an eine unbehaarte Brust gepresst, die kräftig nach Moschus roch. Keuchend fand ich das Gleichgewicht wieder, und als ich zurückfuhr, sah ich mich dem Gesicht eines hochgewachsenen schwarzen Sklaven gegenüber, der ebenso perplex wie bestürzt auf mich hinunterstarrte.

»Missus, was machen hier?«, sagte er. Doch ehe ich antworten konnte, wurde sein Augenmerk von mir auf das Geschehen in meinem Rücken gelenkt. Er ließ meine Schultern los, und ich drehte mich um.

Das Tier war von sechs Männern umzingelt. Zwei von ihnen hielten Fackeln hoch, um den anderen vier zu leuchten. Diese waren nur mit Lendenschurzen bekleidet und hielten angespitzte lange Stangen in den Händen.

Meine Beine brannten und zitterten noch von dem Hieb, der sie getroffen hatte; als ich jetzt sah, was mich getroffen hatte, hätten sie um ein Haar erneut nachgegeben. Das Tier war fast vier Meter lang, und sein gepanzerter Körper hatte den Umfang eines Rum-Fasses. Der mächtige Schwanz schlug plötzlich zur Seite aus; der Mann, der ihm am nächsten stand, sprang mit einem erschrockenen Ausruf beiseite, und der Echsenkopf drehte sich mit geöffneten Kiefern und stieß noch einmal sein Zischen aus.

Dann schnappten die Kiefer deutlich hörbar zu, und ich sah den typischen Reißzahn, der sich aus dem Unterkiefer zu einer Miene der vorgetäuschten Höflichkeit erhob.

Die Männer mit den Stangen stachen auf das Krokodil ein, offenbar, um es zu reizen. Dabei schienen sie recht erfolgreich zu sein. Das Krokodil stemmte seine fetten Gliedmaßen gespreizt in den Boden und griff mit voller Wucht an. Es war erstaunlich schnell; der Mann, der vor ihm stand, sprang mit einem Aufschrei zurück, rutschte im Schlamm aus und fiel zu Boden.

Der Schwarze, mit dem ich vorhin zusammengestoßen war, schwang sich in die Luft und landete auf dem Rücken des Krokodils, lauthals ermuntert von den Fackelträgern. Einer der Männer mit den Stangen traute sich mehr als seine Kameraden; er sprang vor und hieb dem Tier seine Waffe über den breiten Schuppenkopf, um es abzulenken, während der gestürzte Sklave rückwärtskroch und mit den Fersen Furchen in den schwarzen Schlamm zog.

Der Mann auf dem Rücken des Krokodils tastete – allem Anschein nach in selbstmörderischer Absicht – nach der Schnauze. Es gelang ihm, dem Tier einen Arm um den Hals zu legen und mit dem anderen die Nasenspitze zu fassen. Er hielt ihm die Schnauze zu und brüllte seinen Kameraden etwas zu.

Plötzlich trat eine Gestalt, die ich bis jetzt nicht bemerkt hatte, aus dem Schatten des Zuckerrohrs. Sie ging vor dem ringenden Paar auf die Knie und legte der Echse zielstrebig eine Seilschlinge um die Kiefer. Die Rufe schwollen zu Triumphgeschrei an, das jedoch auf ein scharfes Wort der knienden Gestalt abrupt verstummte.