»Missus heute Nacht nicht hier«, sagte er schließlich, als fragte er sich, ob es richtig war, mir dieses Wissen anzuvertrauen.
»Ja, ich weiß«, sagte ich und hielt mich zum Aufstehen bereit. »Könnt Ihr – oder einer der Männer – mich zu dem großen Baum am Fluss zurückbringen? Mein Mann wird schon nach mir suchen«, fügte ich betont hinzu.
»Hat sie sicher den Jungen mit«, fuhr Ishmael fort, ohne mich zu beachten.
Mir war leichter ums Herz geworden, als er mir bestätigt hatte, dass Geilie fort war; diese Worte versetzten mir einen Dämpfer.
»Sie hat Ian mitgenommen? Warum?«
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch aus den Augen im Inneren der Krokodilmaske glitzerte mir etwas entgegen, das zum Teil Belustigung war – aber nur zum Teil.
»Missus mag Jungen«, sagte er, und sein hämischer Ton ließ keinen Zweifel daran, wie er das meinte.
»Tatsächlich«, sagte ich ausdruckslos. »Wisst Ihr, wann sie zurückkommt?«
Die lange, mit Zähnen gespickte Schnauze hob sich plötzlich, doch ehe er antworten konnte, spürte ich, dass jemand hinter mir stand, und fuhr auf dem Strohlager herum.
»Ich kenne Euch«, sagte die Gestalt, die mit einer kleinen Falte auf der breiten, glatten Stirn auf mich hinunterblickte. »Nicht wahr?«
»Wir sind uns bereits begegnet«, sagte ich und versuchte, meine Verblüffung hinunterzuschlucken. »Wie – wie geht es Euch, Miss Campbell?«
Offensichtlich besser als bei unserer letzten Begegnung, obwohl ihr adrettes Wollkleid einem losen Kleid aus grober weißer Baumwolle gewichen war, das an der Taille mit einem breiten, ungesäumten, indigoblau gefleckten Streifen desselben Materials gegürtet war. Doch ihr Gesicht und ihre Gestalt waren schlanker geworden, und sie hatte das käsige, schlaffe Aussehen zu vieler Monate ohne frische Luft verloren.
»Es geht mir gut, danke, Ma’am«, sagte sie höflich. Ihre hellblauen Augen blickten unverändert unscharf in die Ferne, und trotz der neuen Sonnenfarbe ihrer Haut war es klar, dass Miss Margaret Campbell nach wie vor nicht völlig von dieser Welt war.
Dieser Eindruck wurde durch die Tatsache bestätigt, dass ihr Ishmaels unkonventionelle Aufmachung gar nicht aufgefallen zu sein schien – oder sie Ishmael gar nicht bemerkt zu haben schien. Ihr Blick blieb unverwandt auf mir haften, und etwas wie Neugier flackerte über ihre stupsnasigen Züge hinweg.
»Es ist sehr höflich von Euch, mich zu besuchen, Ma’am«, sagte sie. »Dürfte ich Euch eine Stärkung anbieten? Eine Tasse Tee vielleicht? Wir haben keinen Rotwein, weil mein Bruder der Überzeugung ist, dass Alkohol das Fleisch in Versuchung führt.«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte ich und fand, dass ich im Moment eine anständige Portion Versuchung gut gebrauchen konnte.
Ishmael hatte sich erhoben und verbeugte sich jetzt so tief vor Miss Campbell, dass der Krokodilkopf gefährlich ins Rutschen geriet.
»Bereit, bébé?«, fragte er leise. »Das Feuer wartet.«
»Feuer«, sagte sie. »Ja, natürlich.« Und wandte sich mir zu.
»Möchtet Ihr mich nicht begleiten, Mrs. Malcolm?«, fragte sie großzügig. »Der Tee wird gleich serviert. Ich schaue so gern in ein schönes Feuer«, vertraute sie mir an und nahm meinen Arm, als ich mich erhob. »Geht es Euch nicht auch manchmal so, dass Ihr das Gefühl habt, in den Flammen Dinge zu sehen?«
»Hin und wieder«, sagte ich mit einem Blick auf Ishmael, der jetzt in der Tür stand. Seine Unentschlossenheit war nicht zu übersehen, doch da sich Miss Campbell unerschütterlich auf ihn zubewegte und mich dabei hinter sich herzog, zuckte er kaum merklich mit den Schultern und trat beiseite.
In der Mitte der Lichtung vor den Hütten brannte ein kleines Freudenfeuer. Das Krokodil war bereits abgehäutet; die rohe Haut war vor einer der Hütten in einen Rahmen gespannt und warf einen kopflosen Schatten auf die Holzwand. Rings um das Feuer waren angespitzte Stöcke in den Boden gerammt, an denen brutzelnde Fleischstücke steckten und einen appetitlichen Duft verbreiteten, bei dem sich mir dennoch der Magen umdrehte.
Vielleicht drei Dutzend Menschen, Männer, Frauen und Kinder, hatten sich am Feuer gesammelt und unterhielten sich lachend. Ein Mann saß über eine schäbige Gitarre gebeugt und sang leise vor sich hin.
Ein anderer Mann erblickte uns, als wir uns näherten, und sagte etwas, das wie »Hau!« klang. Gerede und Gelächter verstummten, und respektvolles Schweigen senkte sich über die Menge.
Ishmael schritt langsam auf die Gestalten am Feuer zu, und der Krokodilkopf grinste entzückt. Der Feuerschein brach sich auf Gesichtern und Körpern, die an polierten Gagat und geschmolzenes Karamell erinnerten, alle mit tiefschwarzen Augen, die unser Näherkommen beobachteten.
Am Feuer stand eine kleine Bank auf einer Art Plattform aus aufeinandergestapelten Planken. Dies war offensichtlich der Ehrenplatz, denn Miss Campbell steuerte direkt darauf zu und wies mich mit einer höflichen Geste an, mich neben sie zu setzen.
Ich konnte die Blicke spüren, die auf mir ruhten, die Mienen, deren Ausdruck von Feindseligkeit bis hin zu wachsamer Neugier reichte, doch der Großteil der Aufmerksamkeit galt Miss Campbell. Während ich mich verstohlen im Kreis der Gesichter umsah, fiel mir ihre Fremdheit auf. Dies waren die Gesichter Afrikas; sie waren ungewohnt und ganz anders als Joes Gesicht, das nur noch schwach von seinen Vorfahren geprägt war, verwässert durch jahrhundertelange Vermischung mit Europäerblut. Auch wenn er schwarz war, war Joe Abernathy mir um einiges ähnlicher als diesen Menschen – die bis in die letzte Faser anders waren.
Der Sänger hatte seine Gitarre beiseitegelegt und eine kleine Trommel hervorgeholt, die er sich zwischen die Knie stellte. Sie war mit dem Fell eines gescheckten Tiers bespannt, einer Ziege vielleicht. Er begann sie leise mit den Handflächen zu schlagen, ein halb stockender Rhythmus wie der Schlag eines Herzens.
Ich warf einen Blick auf Miss Campbell, die seelenruhig neben mir saß, die Hände sorgfältig auf dem Schoß gefaltet. Sie hatte die Augen geradewegs in die Flammen gerichtet und trug ein kleines verträumtes Lächeln auf den Lippen.
Die wogende Menge der Sklaven teilte sich, und zwei kleine Mädchen, die einen großen Korb zwischen sich trugen, kamen hervor. Der Griff des Korbs war mit weißen Rosen umschlungen, und der Deckel zuckte auf und ab, weil sich im Inneren etwas bewegte.
Die Mädchen stellten Ishmael den Korb vor die Füße und warfen ehrfürchtige Blicke auf seinen grotesken Kopfputz. Er legte ihnen die Hände auf die Köpfe, murmelte ein paar Worte, dann entließ er sie, und seine erhobenen Handflächen blitzten unerwartet rötlich gelb auf wie Schmetterlinge, die aus dem verknoteten Haar der Mädchen aufstiegen.
Bis jetzt hatten sich die Zuschauer ruhig und respektvoll verhalten. Daran änderte sich auch jetzt nichts, doch sie drängten sich näher heran und reckten die Hälse, um zu sehen, was als Nächstes geschehen würde. Der leise Schlag der Trommel wurde schneller. Eine der Frauen hatte eine Steingutflasche in der Hand; sie trat einen Schritt vor, reichte sie Ishmael und verschmolz wieder mit der Menge.
Ishmael schüttete etwas Alkohol aus der Flasche auf den Boden, indem er sich vorsichtig im Kreis um den Korb herum bewegte. Der Korb, der zwischenzeitlich zur Ruhe gekommen war, wackelte hin und her, aufgestört vielleicht durch die Bewegung, vielleicht durch den durchdringenden Geruch des Alkohols.
Ein Mann trat mit einem Stock vor, der in Lumpen gewickelt war. Diesen hielt er in das Feuer, bis die Lumpen leuchtend rot in Flammen aufgingen. Auf Ishmaels Wort hin hielt er diese Fackel auf den alkoholgetränkten Boden. Ein kollektives »Ah!« stieg auf, als sich ein Flammenring erhob, blau brannte und sofort wieder erlosch, so schnell, wie er gekommen war. Aus dem Korb erscholl ein lautes »Kikerikiii!«.
Miss Campbell regte sich an meiner Seite und betrachtete den Korb voll Argwohn.