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Als sei das Krähen ein Signal gewesen – vielleicht war es das auch –, begann eine Flöte zu spielen, und das Summen der Menge schwoll an.

Ishmael kam auf unsere improvisierte Plattform zu und hatte ein rotes Kopftuch in der Hand. Dies band er Margaret um das Handgelenk und legte ihr die Hand dann wieder sanft in den Schoß.

»Oh, da ist ja mein Taschentuch!«, rief sie aus. Sie hob ganz ungeniert die Hand und wischte sich die Nase ab.

Außer mir schien niemand davon Notiz zu nehmen. Alle Augen waren auf Ishmael gerichtet, der vor der Menge stand und Worte sprach, deren Sprache ich nicht erkannte. Der Hahn in dem Korb krähte erneut, und die weißen Rosen des Griffs zitterten heftig bei seinen Bewegungen.

»Ich wünschte, er würde das lassen«, nörgelte Margaret Campbell. »Wenn er es noch einmal macht, sind es dreimal, und das bringt Unglück, nicht wahr?«

»Ist das so?« Ishmael schüttete jetzt den Rest des Alkohols im Kreis um die Plattform. Ich hoffte, sie würde sich nicht vor der Flamme erschrecken.

»Oh ja, Archie sagt das auch. ›Ehe der Hahn dreimal kräht, wirst du mich verraten.‹ Archie sagt, alle Frauen sind Verräterinnen. Meint Ihr, er hat recht?«

»Das kommt ganz auf den Standpunkt an«, murmelte ich, während ich das Geschehen beobachtete. Miss Campbell schien keinerlei Notiz von den sich wiegenden, summenden Sklaven, der Musik, dem zuckenden Korb oder von Ishmael zu nehmen, der jetzt kleine Gegenstände einsammelte, die man ihm aus der Menge reichte.

»Ich habe Hunger«, sagte sie. »Ich hoffe wirklich, der Tee ist bald fertig.«

Ishmael hörte sie. Zu meinem Erstaunen griff er in einen der Beutel an seiner Hüfte und öffnete ein kleines Bündel, das eine mitgenommene Porzellantasse enthielt, an deren Rand das Blattgold noch zu sehen war. Diese stellte er ihr feierlich auf den Schoß.

»Oh, fein«, sagte Margaret glücklich. »Vielleicht gibt es ja Plätzchen.«

Diesen Eindruck hatte ich nicht. Ishmael hatte die Gegenstände, die man ihm gereicht hatte, am Rand der Plattform aufgereiht. Ein paar kleine Knochen, in die Muster eingeritzt waren, ein Jasminzweig und zwei oder drei krude kleine Holzfiguren, die in Stoffstückchen gewickelt waren und deren Haare mit Lehm angeklebt waren.

Wieder sprach Ishmael, die Fackel berührte den Boden, und ein blauer Flammenhauch schoss rings um die Plattform auf. Als dieser erlosch und den Geruch versengter Erde und verbrannten Brandys in der kühlen Nachtluft zurückließ, öffnete er den Korb und holte den Hahn hervor.

Es war ein großer, gesunder Vogel, dessen schwarzes Gefieder im Fackelschein glänzte. Er wehrte sich heftig und kreischte durchdringend, doch er war fest zusammengebunden, seine Füße in Stoff gewickelt, damit er nicht kratzen konnte. Ishmael verbeugte sich tief, sagte etwas und reichte Margaret den Vogel.

»Oh, danke«, sagte sie huldvoll.

Der Hahn reckte den Hals; seine Kehllappen schwollen vor Aufregung leuchtend rot an, und er krähte durchdringend. Margaret schüttelte ihn.

»Böser Vogel!«, sagte sie schroff, hob ihn an ihren Mund und biss ihm ins Genick.

Ich hörte das leise Knacken der Knochen und das kleine Grunzen der Anstrengung, als sie den Kopf hochwarf und dem arglosen Hahn den Kopf abbiss.

Sie klammerte sich den gurgelnden, zappelnden, zusammengebundenen Kadaver fest an die Brust und summte: »Aber, aber, ist ja gut, Schätzchen«, während ihr das Blut auf das Kleid und in die Teetasse spritzte.

Im ersten Moment hatte die Menge einen Aufschrei ausgestoßen, doch jetzt sah sie schweigend zu. Auch die Flöte war verstummt, doch die Trommel schlug weiter und klang jetzt deutlich lauter als zuvor.

Margaret warf den ausgebluteten Kadaver achtlos beiseite, und ein Junge kam aus der Menge gehuscht und nahm ihn an sich. Sie strich geistesabwesend über das Blut auf ihrem Rock und griff mit ihrer in Rot getauchten Hand nach der Teetasse.

»Zuerst die Gäste«, sagte sie höflich. »Möchtet Ihr ein Stück Zucker, Mrs. Malcolm, oder zwei?«

Zum Glück bewahrte mich Ishmael vor einer Antwort. Er drückte mir einen primitiven Hornbecher in die Hand und signalisierte mir, daraus zu trinken. Angesichts der Alternative hob ich ihn ohne Zögern an meinen Mund.

Es war frisch destillierter Rum, scharf und roh genug, um mir die Schleimhaut wegzuätzen, und ich hustete keuchend. Das Aroma einer Pflanze stieg mir über den Gaumen in die Nase; irgendetwas war mit dem Rum vermischt oder darin getränkt worden. Es war ein wenig herb, aber nicht unangenehm.

Weitere, ähnliche Becher machten jetzt in der Menge die Runde. Mit einer scharfen Geste bedeutete mir Ishmael, mehr zu trinken. Ich hob den Becher gehorsam an die Lippen, ließ mir die brennende Flüssigkeit aber nur gegen den Mund spülen, ohne sie zu trinken. Was auch immer hier geschah, ich glaubte, dass ich meinen Verstand besser beisammenhielt.

An meiner Seite nippte Miss Campbell mit zierlichen Schlückchen an ihrer Teetasse. Die Erwartung der Leute stieg jetzt weiter; sie wiegten sich auf der Stelle, und eine Frau hatte zu singen begonnen, leise und heiser, eine stimmliche Synkope zum Schlag der Trommel.

Ishmaels Kopfputz warf seinen Schatten über mein Gesicht, und ich hob den Kopf. Auch er wankte jetzt langsam hin und her. Sein kragenloses weißes Hemd war an den Schultern mit schwarzen Blutflecken besprüht und so verschwitzt, dass es ihm an der Brust klebte. Ich dachte plötzlich, dass der rohe Krokodilkopf mindestens fünfzehn Kilo wiegen musste, eine beträchtliche Last, und seine Hals- und Schultermuskeln strotzten vor Anstrengung.

Er hob die Hände und begann ebenfalls zu singen. Ich spürte, wie mir ein Schauder über den Rücken lief und sich das Ende meiner Wirbelsäule einzog, dort, wo mein Schwanz gewesen wäre. Mit der Maske hätte die Stimme Joe gehören können, tief und honigsüß mit der Macht, den Zuhörer zu fesseln. Wenn ich die Augen schloss, war es Joe, in dessen Brille sich das Licht spiegelte, das sich auf seinem Goldzahn fing, wenn er lächelte.

Dann öffnete ich die Augen wieder, halb schockiert, stattdessen das unheilvolle Grinsen des Krokodils zu sehen, das golden-grüne Feuer in den kalten, grausamen Augen. Mein Mund war trocken, und ich hörte leises Summen, das die kräftig-süßen Worte untermalte.

Er war sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher, kein Zweifel; die Nacht am Feuer war voller Augen, schwarz, groß und glänzend, und leises Stöhnen und Rufen füllte die Pausen in seinem Gesang.

Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf; packte die rauhe Kante der Holzbank und klammerte mich an ihre Wirklichkeit. Ich war nicht betrunken, das wusste ich; was auch immer für eine Pflanze mit dem Rum vermischt gewesen war, ihre Wirkung war machtvoll. Ich konnte sie wie eine Schlange durch meine Adern kriechen spüren und hielt die Augen fest geschlossen, um gegen ihr Vorwärtskommen anzukämpfen.

Doch meine Ohren konnte ich nicht blockieren, genauso wenig wie das Auf und Ab dieser Stimme.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war. Ich kam mit einem Ruck zu mir, weil mir plötzlich bewusst wurde, dass die Trommel und der Gesang verstummt waren.

Rings um das Feuer herrschte absolute Stille. Ich konnte das leise Rauschen der Flammen hören und das Rascheln des Zuckerrohrs im Nachtwind; das eilige Krabbeln einer Ratte im Palmdach der Hütte hinter mir.

Ich hatte die Droge zwar noch im Blut, doch ihre Wirkung ließ jetzt nach; ich konnte spüren, wie meine Gedanken wieder klarer wurden. Anders die Menge; ihre Blicke waren starr, eine Wand voller Spiegel, und ich dachte plötzlich an die Voodoo-Legenden meiner Zeit – von Zombies und den Houngans, die sie erschufen. Was hatte Geilie gesagt? Jede Legende steht mindestens mit einem Bein fest auf dem Boden der Wahrheit.

Ishmael sprach. Er hatte den Krokodilkopf abgesetzt und ihn zu unseren Füßen auf den Boden gelegt, wo seine Augen im Schatten erloschen.

»Ils sont arrivées«, sagte Ishmael leise. Sie sind da. Er hob sein feuchtes, von Erschöpfung gezeichnetes Gesicht und wandte sich der Menge zu.