»Brianna«, flüsterte ich, und das Gesicht richtete sich auf mich.
»Mama«, sagte die Stimme meiner Tochter aus der Kehle des Orakels.
»Brianna«, sagte Jamie, und sie wandte abrupt den Kopf, um ihn anzusehen.
»Papa«, sagte sie mit großer Gewissheit. »Ich wusste, dass du es bist. Ich habe von dir geträumt.«
Jamies Gesicht war schreckensbleich. Ich sah, wie seine Lippen lautlos das Wort »Jesus« formten und er instinktiv die Hand hob, um sich zu bekreuzigen.
»Lass Mama nicht allein gehen«, sagte die Stimme im selben Ton der Gewissheit. »Geh mit ihr. Ich passe auf euch auf.«
Es war nichts zu hören außer dem Knistern des Feuers. Ishmael stand da wie gelähmt und starrte die Frau an meiner Seite an. Dann sprach sie noch einmal mit Briannas leiser, heiserer Stimme.
»Ich liebe dich, Papa. Dich auch, Mama.« Sie beugte sich zu mir herüber, und ich roch das frische Blut. Dann berührten ihre Lippen die meinen, und ich schrie.
Mir war gar nicht bewusst, dass ich aufgesprungen war oder die Lichtung überquert hatte. Alles, was ich wusste, war, dass ich mich zitternd an Jamie klammerte und das Gesicht an seinem Rock vergraben hatte.
Sein Herz hämmerte unter meiner Wange, und ich hatte den Eindruck, dass er ebenfalls zitterte. Ich spürte, wie mir seine Hand ein Kreuzzeichen auf den Rücken zeichnete und sich sein Arm um meine Schultern schloss.
»Es ist alles gut«, sagte er, und ich konnte spüren, wie sich seine Rippen dehnten und dann verharrten, während er versuchte, die Kontrolle über seine Stimme zu finden. »Sie ist fort.«
Ich wollte nicht hinsehen, zwang mich aber, den Kopf zum Feuer zu drehen.
Es war eine friedliche Szene. Margaret Campbell saß still auf ihrer Bank und summte vor sich hin, während sie mit einer langen schwarzen Schwanzfeder auf ihrem Knie spielte. Ishmael stand hinter ihr und glättete ihr mit einer Hand das Haar, eine Geste, die sehr zärtlich wirkte. Er murmelte ihr in einer leisen, flüssigen Zunge etwas zu – eine Frage –, und sie lächelte milde.
»Oh, ich bin überhaupt nicht müde!«, versicherte sie ihm und verdrehte den Kopf, um liebevoll in das narbige Gesicht aufzublicken, das über ihr in der Dunkelheit schwebte. »Es war so ein schönes Fest, nicht wahr?«
»Ja, bébé«, sagte er sanft. »Aber jetzt ruhst du dich aus, ja?« Er wandte sich ab und schnalzte laut mit der Zunge. Plötzlich tauchten zwei Turbanträgerinnen aus der Nacht auf; sie mussten in Hörweite gewartet haben. Ishmael sagte etwas zu ihnen, und sie gingen unverzüglich auf Margaret zu, hoben sie zum Stehen hoch und führten sie zwischen sich davon, während sie auf Afrikanisch und Französisch leise Liebkosungen murmelten.
Ishmael blieb zurück und beobachtete uns über das Feuer hinweg. Er stand so reglos da wie Geilies Statuen, aus der Nacht geschnitzt.
»Ich bin nicht allein hier«, sagte Jamie. Er zeigte beiläufig über seine Schulter hinweg auf das Zuckerrohrfeld in seinem Rücken, als warteten dort bewaffnete Regimenter.
»Oh, allein oder nicht, Mann«, sagte Ishmael mit einem kleinen Lächeln. »Keine Rolle. Loa spricht mit Euch, keine Gefahr von mir.« Er ließ den Blick abschätzend zwischen uns hin- und herschweifen.
»Hah«, sagte er nicht ohne Neugier. »Nie gehört Loa spricht mit Buckra.« Dann tat er das Thema mit einem Kopfschütteln ab.
»Gehen jetzt«, sagte er leise, aber mit beträchtlicher Autorität.
»Noch nicht.« Jamie ließ den Arm von meiner Schulter sinken und richtete sich neben mir auf. »Ich bin hier, weil ich den Jungen suche, Ian; ich werde nicht ohne ihn gehen.«
Ishmaels Brauen hoben sich, so dass die drei senkrechten Narben zwischen ihnen zusammengeschoben wurden.
»Hah«, sagte er erneut. »Vergesst den Jungen, er ist fort.«
»Fort wohin?«, fragte Jamie scharf.
Der schmale Kopf legte sich zur Seite; Ishmael betrachtete ihn genau.
»Fort mit der Made, Mann«, sagte er. »Und wohin sie geht, Ihr geht nicht. Fort der Junge, Mann«, sagte er, diesmal endgültig. »Ihr geht auch, seid klug.« Er hielt inne und lauschte. Irgendwo in der Ferne sprach eine Trommel, ihr Puls kaum mehr als eine Turbulenz in der Nachtluft.
»Andere kommen bald«, stellte er fest. »Nur sicher vor mir, Mann, nicht vor ihnen.«
»Wer sind denn die anderen?«, fragte ich. Das Grauen der Begegnung mit dem Loa ließ jetzt nach, und ich konnte wieder sprechen, obwohl mich eisige Angst vor dem dunklen Zuckerrohrfeld in meinem Rücken überlief.
»Befreite Sklaven, nehme ich an«, sagte Jamie. Er sah Ishmael mit hochgezogener Augenbraue an. »Zumindest zukünftig?«
Der Priester nickte ein Mal förmlich mit dem Kopf.
»So ist es«, sagte er. »Ihr Bouassa gehört? Sein Loa segnet uns, wir gehen.« Er wies auf die Hütten und die dunklen Hügel dahinter. »Trommel ruft sie aus den Bergen, die stark genug zu gehen.«
Er wandte sich ab; das Gespräch war offenbar beendet.
»Halt«, sagte Jamie. »Sagt uns, wohin sie gegangen ist – Mrs. Abernathy mit dem Jungen.«
Ishmael wandte sich zurück, die Schultern in das Blut des Krokodils gehüllt.
»Abandawe«, sagte er.
»Und wo ist das?«, wollte Jamie ungeduldig wissen. Ich legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Ich weiß, wo das ist«, sagte ich, und Ishmael riss erstaunt die Augen auf. »Zumindest weiß ich, dass es auf Hispaniola ist. Lawrence hat es mir erzählt. Das war es, was Geilie von ihm wollte – sie wollte herausfinden, wo es ist.«
»Was ist es denn? Eine Stadt, ein Dorf? Wo?« Ich konnte spüren, wie sich Jamies Arm unter meiner Hand anspannte; er vibrierte geradezu vor Eile.
»Es ist eine Höhle«, sagte ich, und trotz des warmen Abends und der Nähe des Feuers war mir kalt. »Eine alte Höhle.«
»Abandawe magischer Ort«, meldete sich Ishmael zu Wort, und seine tiefe Stimme war leise, als fürchtete er sich, laut davon zu sprechen. Er warf mir einen harten, abschätzenden Blick zu. »Clotilda sagt, die Made bringt Euch in das Zimmer oben. Ihr wisst vielleicht, was sie dort macht?«
»Ein wenig.« Mein Mund fühlte sich trocken an. Ich erinnerte mich an Geilies weiche, dicke, weiße Hände, die Muster aus Edelsteinen legten, während sie fröhlich von Blut redete.
Als hätte er das Echo dieses Gedankens aufgefangen, trat Ishmael plötzlich einen Schritt auf mich zu.
»Ich frage, Frau – du blutest noch?«
Jamie zuckte unter meiner Hand zusammen, doch ich drückte seinen Arm, um ihn ruhig zu halten.
»Ja«, sagte ich. »Warum? Was hat das damit zu tun?«
Der Oniseegun fühlte sich sichtlich unbehaglich; er ließ den Blick von mir zu den Hütten schweifen. Hinter ihm regte sich die Dunkelheit; Menschen bewegten sich hin und her, und ihre Stimmen murmelten wie das Flüstern des Zuckerrohrs. Sie bereiteten sich auf den Aufbruch vor.
»Eine Frau blutet, tötet Magie, hat Frauenmacht, nicht Zaubermacht. Alte Frauen voll Magie, können hexen, rufen Loas, machen krank, machen gut.« Wieder sah er mich lange abschätzend an und schüttelte den Kopf.
»Du machst nicht Magie, was Made macht. Zauber tötet sie, ja, aber tötet dich auch.« Er zeigte hinter sich auf die leere Bank. »Du gehört, Bouassa spricht? Er sagt, die Made stirbt, drei Tage. Sie hat Jungen, er stirbt. Folgt ihnen, Mann, sterbt auch.«
Er starrte Jamie an und hob die Hände vor sich hin, an den Handgelenken gekreuzt, als wären sie gefesselt. »Ich sage es, amiki«, sagte er. Er ließ die Hände fallen und riss sie auseinander, um die unsichtbare Fessel zu lösen. Abrupt wandte er sich ab und verschwand in der Dunkelheit, wo die raschelnden Schritte jetzt lauter wurden und hin und wieder schwere Gegenstände polterten.
»Heiliger Michael, steh uns bei«, murmelte Jamie. Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar, das im flackernden Licht in flammenden Strähnen zu Berge stand. Das Feuer erlosch jetzt schnell, da sich niemand mehr darum kümmerte.