Vier der Männer hatten sich um das einzige Fenster der Kate gesammelt und besprachen sich leise.
»Davonlaufen?«, sagte einer und wies kopfnickend ins Freie. »Himmel, Mann, die meisten von uns können kaum humpeln – und mindestens sechs können gar nicht laufen.«
»Wenn ihr laufen könnt, lauft«, sagte ein Mann auf dem Boden. Er wies mit einer Grimasse auf sein Bein, das in die Fetzen eines Quilts gewickelt war. »Lasst euch von uns nicht aufhalten.«
Duncan MacDonald wandte sich mit einem grimmigen Lächeln vom Fenster ab und schüttelte den Kopf. Die rauhen Züge seines Gesichts leuchteten im Licht des Fensters, so dass sich die Spuren der Erschöpfung noch tiefer eingruben.
»Nein, wir bleiben«, sagte er. »Es wimmelt ohnehin überall von Engländern. Niemand käme jetzt lebend von Drumossie fort.«
»Selbst die, die gestern vom Feld geflohen sind, werden nicht weit kommen«, fügte MacKinnon leise hinzu. »Habt ihr in der Nacht nicht die englischen Soldaten im Eilmarsch gehört? Glaubt ihr, sie werden Schwierigkeiten haben, unseren zerlumpten Haufen aufzuspüren?«
Es kam keine Erwiderung; sie kannten die Antwort nur zu gut. Viele der Highlander hatten schon vor der Schlacht kaum auf dem Feld stehen können, geschwächt, wie sie waren vor Kälte, Erschöpfung und Hunger.
Jamie drehte das Gesicht zur Wand und betete, dass seine Männer früh genug aufgebrochen waren. Lallybroch lag abgeschieden; wenn es ihnen gelang, weit genug von Culloden fortzukommen, war es unwahrscheinlich, dass man sie erwischte. Und doch hatte Claire ihm erzählt, dass Cumberlands Männer die gesamten Highlands verwüsten und in ihrem Rachedurst auch unzugängliche Orte heimsuchen würden.
Diesmal löste der Gedanke an sie nur eine Welle furchtbarer Sehnsucht aus. Gott, wenn sie doch hier wäre, ihre Hände auf ihn legte, seine Wunden pflegte und seinen Kopf in ihrem Schoß wiegte. Doch sie war fort – zweihundert Jahre weit fort –, und dem Herrn sei Dank, dass sie es war! Tränen glitten ihm langsam unter den geschlossenen Lidern hervor, und er wälzte sich unter Schmerzen auf die Seite, um sie vor den anderen zu verbergen.
Herr, lass sie gerettet sein, betete er. Sie und das Kind.
Gegen Nachmittag kam plötzlich Brandgeruch auf und wehte durch das unverglaste Fenster. Er war durchdringender als der Geruch des Schwarzpulverrauchs und von einem grauenhaften Aroma durchzogen, das an gebratenes Fleisch erinnerte.
»Sie verbrennen die Leichen«, sagte MacDonald. Er hatte seinen Sitzplatz am Fenster kaum verlassen, seit sie in der Kate waren, und erinnerte selbst an einen Totenschädel. Er hatte sich das kohlschwarze, schmutzverklebte Haar aus dem Gesicht gestrichen, in dem jeder Knochen zu sehen war.
Hier und da scholl ein kurzer, dumpfer Knall über das Moor. Schüsse. Gnadenschüsse von der Hand jener englischen Offiziere, die noch Mitgefühl demonstrierten, ehe sie das nächste in Tartan gehüllte Wrack zu seinen glücklicheren Kameraden auf den Scheiterhaufen legten. Als Jamie aufblickte, saß Duncan MacDonald immer noch am Fenster, doch seine Augen waren geschlossen.
Ewan Cameron, der neben ihm hockte, bekreuzigte sich. »Hoffentlich erweisen sie uns diese Gnade auch«, flüsterte er.
So geschah es. Es war kurz nach Mittag am zweiten Tag, als endlich Stiefelschritte auf die Kate zukamen und die Tür mit den Lederscharnieren lautlos aufschwang.
»Himmel«, erklang ein leiser Ausruf beim Anblick im Inneren der Kate. Der Luftzug der Tür bewegte die übelriechende Luft über den schmutzigen, verwahrlosten, blutüberströmten Körpern, die auf dem festgestampften Lehmboden lagen oder kauerten.
Sie hatten die Möglichkeit bewaffneten Widerstandes gar nicht erst angesprochen; sie waren mutlos, und es war sinnlos. Die Jakobiten saßen einfach da und warteten das Belieben ihres Besuchers ab.
Es war ein Major, frisch und neu herausgeputzt mit faltenloser Uniform und blankgewichsten Stiefeln. Nach einem Moment des Zögerns, in dem er den Blick über die Insassen schweifen ließ, trat er ein, dicht gefolgt von seinem Leutnant.
»Ich bin Lord Melton«, sagte er und sah sich um, als suchte er den Anführer dieser Männer, an den er seine Worte richten konnte.
Duncan MacDonald sah sich seinerseits um, dann erhob er sich langsam und neigte den Kopf. »Duncan MacDonald aus Glen Richie«, sagte er. »Und andere«, er ließ die Hand durch die Kate schweifen, »aus der ehemaligen Truppe Seiner Majestät, König James’.«
»Das hatte ich vermutet«, sagte der Engländer trocken. Er war noch jung, Anfang dreißig, jedoch mit der selbstbewussten Haltung eines erfahrenen Soldaten. Bedächtig ließ er den Blick von Mann zu Mann schweifen, dann griff er in seinen Rock und brachte ein zusammengefaltetes Papier zum Vorschein.
»Ich habe hier eine Order Seiner Durchlaucht, des Herzogs von Cumberland«, sagte er. »Welche die unverzügliche Exekution eines jeden Mannes autorisiert, der der Beteiligung an der verräterischen Rebellion der jüngsten Vergangenheit überführt wird.« Noch einmal ließ er den Blick durch das Innere der Kate schweifen. »Gibt es hier jemanden, der für sich beansprucht, des Verrats unschuldig zu sein?«
Ein Hauch von Gelächter regte sich unter den Schotten. Unschuld, wo ihnen doch der Rauch der Schlacht noch die Gesichter schwärzte, hier am Rand des Schlachtfelds?
»Nein, Mylord«, sagte MacDonald mit der Spur eines Lächelns auf den Lippen. »Verräter, alle, wie wir hier sind. Wird man uns also hängen?«
Meltons Gesicht verzog sich flüchtig zu einer angewiderten Grimasse, dann nahm es seine teilnahmslose Miene wieder an. Er war ein schlanker Mann mit zartem Knochenbau, dessen Haltung dennoch unmissverständlich Autorität ausdrückte.
»Ihr werdet erschossen«, sagte er. »Ihr habt eine Stunde, um Euch vorzubereiten.« Er zögerte und warf einen flüchtigen Blick auf seinen Leutnant, als hätte er Angst, vor dem rangniederen Offizier allzu großzügig zu klingen, fuhr aber fort: »Falls jemand von Euch Schreibmaterial wünscht – um vielleicht einen Brief zu verfassen –, wird Euch der Schreiber meiner Kompanie behilflich sein.« Er nickte MacDonald zu, machte auf dem Absatz kehrt und ging.
Es war eine trostlose Stunde. Einige Männer nutzten das Angebot von Papier und Stift und schrieben hartnäckig vor sich hin, indem sie das Papier gegen die Schräge des hölzernen Kamins hielten, weil es keine andere Schreibunterlage gab. Andere beteten leise oder saßen einfach wartend da.
MacDonald hatte um Gnade für Giles McMartin und Frederick Murray gebeten und angeführt, dass die Jungen gerade erst siebzehn waren und man sie nicht im selben Maße zur Verantwortung ziehen könne wie die älteren Männer. Diese Bitte wurde abgelehnt, und die Jungen saßen mit weißen Gesichtern zusammen an der Wand und hielten sich an den Händen.
Für sie empfand Jamie durchdringenden Schmerz – wie auch für die anderen, treue Freunde und tapfere Soldaten. Für sich selbst empfand er nichts als Erleichterung. Nichts mehr, worum er sich sorgen musste, nichts mehr zu tun. Was er konnte, hatte er getan, für seine Männer, seine Frau, sein ungeborenes Kind. Sollte sein Elend doch nun ein Ende haben; dankbar für den Frieden würde er gehen.
Mehr der Form halber, als weil es ihn wirklich danach drängte, schloss er die Augen und begann das Reuegebet, auf Französisch, so wie er es immer sprach. Mon Dieu, je regrette … Und doch bereute er nicht; es war viel zu spät für jede Art von Reue.
Würde er Claire sofort finden, wenn er starb, fragte er sich? Oder vielleicht – was er eher erwartete – eine Weile zur Trennung verdammt sein? So oder so, er würde sie wiedersehen; an diese Überzeugung klammerte er sich fester als an jede Lehre der Kirche. Gott hatte sie ihm geschenkt; er würde sie ihm zurückgeben.