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Der Fluss war schwarz wie Onyx, doch die breite Wasserfläche schimmerte sanft. Wir hatten sie kommen gehört und hatten Zeit gehabt, uns zu verstecken, ehe uns das Schiff einholte; das ganze Flusstal war vom Schlagen der Trommeln und dem wilden Jubel vieler Stimmen erfüllt, als die Bruja an uns vorüberfuhr, von der Strömung flussabwärts getragen. Die Leichen der Piraten lagen vermutlich irgendwo flussaufwärts, wo sie friedlich unter den Zedern und Frangipani verwesten.

Die entflohenen Sklaven vom Yallahs River waren nicht in die Berge Jamaicas gegangen, sondern hinaus aufs Meer, vermutlich, um sich Bouassas Anhängern auf Hispaniola anzuschließen. Die Bewohner von Kingston hatten von den Sklaven nichts zu befürchten – aber es war um einiges besser, wenn die Königliche Marine ihr Augenmerk auf Kingston richtete als auf Hispaniola, unser Ziel.

Jamie erhob sich, um sich zu verabschieden, doch Grey hielt ihn auf.

»Warte. Brauchst du denn keinen sicheren Aufenthaltsort für deine – für Mrs. Fraser?« Er sah mich nicht an, sondern richtete den Blick unverwandt auf Jamie. »Es wäre mir eine Ehre, wenn du sie meinem Schutz anvertrauen würdest. Sie könnte bis zu deiner Rückkehr hier in der Residenz bleiben. Niemand würde sie behelligen – oder überhaupt erfahren, dass sie hier ist.«

Jamie zögerte, doch es war nicht möglich, es diplomatisch auszudrücken.

»Sie muss mit mir gehen, John«, sagte er. »Wir haben keine Wahl; sie muss mit.«

Greys Blick huschte zu mir hinüber, dann wieder fort, doch ich hatte die Eifersucht in seinen Augen schon gesehen. Er tat mir leid, doch es gab nichts, was ich sagen konnte; es war nicht möglich, ihn in die Wahrheit einzuweihen.

»Ja«, sagte er und schluckte hörbar. »Natürlich. Ja.«

Jamie hielt ihm die Hand entgegen. Er zögerte einen Moment, dann ergriff er sie.

»Viel Glück, Jamie«, sagte er, und seine Stimme klang ein wenig heiser. »Gott steh euch bei.«

Fergus war schwieriger zur Vernunft zu bringen. Er bestand hartnäckig darauf, uns zu begleiten; seine Argumente kannten kein Ende, und sein Widerstand nahm noch zu, als er begriff, dass uns die schottischen Schmuggler begleiten würden.

»Sie fahren mit, aber mich wollt Ihr nicht dabeihaben?« Sein Gesicht brannte vor Entrüstung.

»So ist es«, sagte Jamie entschlossen. »Die Schmuggler sind alle Witwer oder Junggesellen, aber du bist ein verheirateter Mann.« Er warf einen vielsagenden Blick auf Marsali, die danebenstand und die Diskussion nervös verfolgte. »Ich habe gedacht, sie wäre noch zu jung, um zu heiraten, und ich habe mich geirrt, aber ich weiß, dass sie noch zu jung ist, um Witwe zu werden. Du bleibst hier.« Das war sein letztes Wort, und er wandte sich ab.

Es war vollständig dunkel, als wir mit Greys Pinasse in See stießen und zwei Hafenarbeiter gefesselt und geknebelt im Bootshaus zurückließen. Es war ein zehn Meter langer Einmaster, größer als das Fischerboot, mit dem wir den Yallahs River hinaufgefahren waren, aber kaum so groß, dass es die Bezeichnung »Schiff« verdient hätte.

Dennoch schien es hinreichend seetüchtig zu sein, und bald hatten wir den Hafen von Kingston hinter uns gelassen und segelten in leichter Schieflage mit dem Abendwind Richtung Hispaniola.

Die Schmuggler übernahmen es, das Boot zu steuern, so dass Jamie, Lawrence und ich auf einer der langen Bänke an der Reling sitzen konnten. Wir plauderten über dies und jenes, doch nach einer Weile verstummten wir und hingen unseren eigenen Gedanken nach.

Jamie gähnte wiederholt und ließ sich schließlich von mir überreden, sich mit dem Kopf in meinem Schoß auf die Bank zu legen. Ich selbst war viel zu aufgekratzt, um an Schlaf auch nur zu denken.

Lawrence war ebenfalls schlaflos und blickte in den Himmel hinauf, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

»Die Luft ist heute Nacht sehr feucht«, sagte er und wies kopfnickend auf die Silbersichel des Mondes. »Seht Ihr den Dunstschleier rings um den Mond? Es könnte sein, dass es vor dem Morgengrauen regnet; um diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich.«

Eine langweilige Unterhaltung über das Wetter schien mir genau das Richtige zu sein, um meine gespannten Nerven zu beruhigen. Ich streichelte Jamies Haar, dicht und weich unter meiner Hand.

»Ist das so?«, sagte ich. »Ihr und Jamie scheint beide das Wetter am Himmel ablesen zu können. Ich kenne nur diesen alten Spruch: ›Roter Himmel vor der Nacht, und der Seemann lacht; roter Himmel in der Früh, Seemann ist gewarnt wie nie.‹ Ich habe gar nicht darauf geachtet, was für eine Farbe der Himmel heute Abend hatte; Ihr vielleicht?«

Lawrence lachte entspannt. »Ein sehr heller Purpur-Ton«, sagte er. »Ich kann nicht sagen, ob der Himmel morgen früh rot sein wird, aber es ist überraschend, wie oft solche Vorzeichen verlässlich sind. Aber natürlich liegt ihnen ein wissenschaftliches Prinzip zugrunde – die Lichtbrechung durch die Luftfeuchtigkeit, genau wie ich es gerade in Bezug auf den Mond angemerkt habe.«

Ich hob das Kinn und genoss den Windhauch, der mir das schwere Haar aus dem Nacken hob.

»Aber was ist mit seltsamen Phänomenen? Übernatürlichen Dingen?«, fragte ich ihn. »Was ist mit Dingen, auf die sich die Regeln der Wissenschaft allem Anschein nach nicht anwenden lassen?« Ich bin Wissenschaftler, hörte ich ihn in meiner Erinnerung sagen, und sein schwacher Akzent schien seine Sachlichkeit nur zu unterstreichen. Ich glaube nicht an Geister.

»Was für Phänomene zum Beispiel?«

»Nun ja …« Ich überlegte einen Moment, dann verlegte ich mich auf die Beispiele, die Geilie angeführt hatte. »Menschen mit blutenden Stigmata zum Beispiel? Astralreisen? Visionen, übernatürliche Manifestationen … seltsame Dinge, die sich nicht rational erklären lassen.«

Mit einem kleinen Grunzlaut setzte sich Lawrence auf der Bank bequemer zurecht.

»Nun, ich sage, die Rolle der Wissenschaft ist einzig die Beobachtung«, sagte er. »Gründe zu suchen, wo sie zu finden sind, aber zu begreifen, dass es auf der Welt viele Dinge gibt, für die kein Grund zu finden ist; nicht, weil er nicht existiert, sondern weil wir zu wenig wissen, um ihn zu finden. Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, auf Erklärung zu beharren – sondern zu beobachten, in der Hoffnung, dass sich die Erklärung manifestieren wird.«

»Das mag ja Wissenschaft sein, aber menschlich ist es nicht«, wandte ich ein. »Menschen gieren nach Erklärungen.«

»So ist es.« Er begann, sich für das Gespräch zu interessieren; er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände über seinem kleinen Bauch – die typische Haltung eines Dozenten. »Das ist der Grund, warum Wissenschaftler Hypothesen konstruieren – mögliche Gründe für das Beobachtete. Aber man darf eine Hypothese nie mit einer Erklärung verwechseln – mit einem Beweis. Ich habe schon viele Dinge gesehen, die man als merkwürdig beschreiben kann. Fischfälle zum Beispiel, wo massenweise Fische – alle von derselben Art und von der gleichen Größe – plötzlich über dem Festland aus dem wolkenlosen Himmel fallen. Man würde meinen, dass es dafür keinen rationalen Grund gibt, und doch – ist es daher angebracht, das Phänomen mit übernatürlicher Einmischung zu erklären? Ist es – oberflächlich betrachtet – wahrscheinlicher, dass sich eine himmlische Intelligenz einen Spaß daraus macht, uns aus heiterem Himmel mit Fischschwärmen zu bewerfen, oder dass ein meteorologisches Phänomen am Werk ist, das wir nur nicht sehen können – eine Wasserhose, ein Tornado, etwas in der Art? Und doch«, sein Ton wurde nachdenklicher, »warum – und wie – sollte ein natürliches Phänomen wie eine Wasserhose sämtlichen Fischen die Köpfe – und nur die Köpfe – entfernen?«

»Habt Ihr so etwas selbst schon gesehen?«, fragte ich neugierig, und er lachte.