Um die Mittagszeit des zweiten Tages erreichten wir unser Ziel. Vor uns erhob sich ein steiler Felsenhügel aus grauem Kalkstein, der mit stacheligen Aloepflanzen und büscheligem Gras bewachsen war. Und auf dem Kamm des Hügels konnte ich sie sehen. Megalithe, aufrechte Steine, die sich in einem groben Kreis über den Gipfel zogen.
»Ihr habt nichts davon gesagt, dass es hier einen Steinkreis gibt«, sagte ich. Ich fühlte mich benommen, und das nicht nur von der schwülen Hitze.
»Geht es Euch nicht gut, Mrs. Fraser?« Lawrence sah mich erschrocken an, und sein freundliches Gesicht errötete unter der Sonnenbräune.
»Doch«, sagte ich, aber mein Gesicht muss mich wie immer verraten haben, denn im nächsten Moment war Jamie da. Er nahm meinen Arm und legte mir die Hand an die Taille, um mich zu stützen.
»Um Himmels willen, sei vorsichtig, Sassenach!«, murmelte er. »Halt dich von diesen Steinen fern!«
»Wir müssen wissen, ob Geilie da ist und Ian«, sagte ich. »Komm mit.« Ich zwang meine widerstrebenden Füße, sich zu bewegen, und er kam mit mir und murmelte dabei auf Gälisch vor sich hin – ich glaubte, dass es ein Gebet war.
»Sie sind vor langer Zeit errichtet worden«, sagte Lawrence, als wir dicht neben den Steinen auf den Gipfel traten. »Nicht von den Sklaven – von den Ureinwohnern der Inseln.«
Der Kreis war leer, und er sah harmlos aus. Nicht mehr als ein etwas krummer Kreis aus großen, senkrecht aufgerichteten Steinen, reglos unter der Sonne. Jamies Blick war nervös auf mein Gesicht geheftet.
»Kannst du sie hören, Claire?«, sagte er. Lawrence wirkte zwar verblüfft, sagte aber nichts, während ich mich vorsichtig auf den nächstbesten Stein zubewegte.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Es ist ja nicht der richtige Tag – kein Sonnenfest und kein Feuerfest, meine ich. Möglich, dass er jetzt nicht offensteht; ich weiß es nicht.«
Ich klammerte mich an Jamies Hand, bewegte mich zögernd voran und lauschte. Leises Summen schien in der Luft zu liegen, doch es war möglich, dass es nicht mehr war als die üblichen Geräusche der Dschungelinsekten. Ganz sanft hielt ich die Handfläche an den nächsten Stein.
Mir war dumpf bewusst, dass Jamie meinen Namen rief. Irgendwo kämpfte mein Hirn um meinen Körper, unternahm die bewusste Anstrengung, mein Zwerchfell zu heben und zu senken, die Kammern meines Herzens zusammenzupressen und zu öffnen. Meine Ohren waren von pulsierendem Summen erfüllt, einer Vibration, die zu tief war, um hörbar zu sein, und im Mark meiner Knochen dröhnte. Und an einem kleinen, stillen Ort im Zentrum des Chaos war Geillis Duncan, und ihre grünen Augen lächelten mich an.
»Claire!«
Ich lag auf dem Boden; Jamie und Lawrence standen über mich gebeugt, und ihre Gesichter zeichneten sich dunkel und angsterfüllt vor dem Himmel ab. Meine Wangen waren feucht, und Wasser rann mir über den Hals. Ich blinzelte und bewegte vorsichtig meine Gliedmaßen, um sicherzugehen, dass ich sie noch besaß.
Jamie ließ das Taschentuch sinken, mit dem er mir das Gesicht befeuchtet hatte, und richtete mich zum Sitzen auf.
»Geht es dir gut, Sassenach?«
»Ja«, sagte ich immer noch schwach verwirrt. »Jamie – sie ist hier!«
»Wer? Mrs. Abernathy?« Sterns dichte Augenbrauen fuhren in die Höhe, und er blickte sich hastig um, als rechnete er damit, dass sie auf der Stelle erscheinen könnte.
»Ich habe sie gehört … gesehen … was auch immer.« Allmählich gewann ich meine Geistesgegenwart zurück. »Sie ist hier. Nicht hier im Kreis; in der Nähe.«
»Kannst du sagen, wo?« Jamies Hand ruhte auf seinem Dolch, und er sah sich mit hastigen Blicken um.
Ich schüttelte den Kopf und schloss die Augen, um mich – widerstrebend – an den Moment zu erinnern, in dem ich sie gesehen hatte. Ich nahm Dunkelheit wahr und feuchte Kühle und das Flackern roter Fackeln.
»Ich glaube, sie ist in einer Höhle«, sagte ich erstaunt. »Ist es noch weit, Lawrence?«
»Nein«, sagte er und beobachtete mein Gesicht voll gebannter Neugier. »Der Eingang ist nicht weit von hier.«
»Führt uns hin.« Jamie war auf den Beinen und zog mich hoch.
»Jamie.« Meine Hand auf seinem Arm hielt ihn zurück.
»Aye?«
»Jamie – sie weiß auch, dass ich hier bin.«
Das wirkte, als hätte ich ihm einen Knüppel zwischen die Beine geworfen. Er blieb stehen, und ich sah ihn schlucken. Dann biss er die Zähne aufeinander, und er nickte.
»A Mhìcheal bheannaichte, dìon sinn bho dheamhainnean«, sagte er leise und wandte sich dem Abhang zu. Seliger Michael, beschütze uns vor Dämonen.
Es herrschte absolute Schwärze. Ich hob die Hand an mein Gesicht, spürte meine Handfläche über meine Nase streichen, sah aber nichts. Doch es war keine leere Schwärze. Der Boden der Passage war uneben, und unter unseren Füßen knirschten kleine, scharfe Partikel; an manchen Stellen drängten sich die Wände derart dicht zusammen, dass ich mich fragte, wie es Geilie je gelungen war, sich dort hindurchzuzwängen.
Selbst dort, wo die Passage breiter wurde und die steinernen Wände so weit voneinander entfernt waren, dass ich sie mit ausgestreckten Händen nicht erreichen konnte, konnte ich die Höhle spüren. Es war, als befände ich mich mit einer anderen Person in einem dunklen Zimmer – mit jemandem, der sich völlig still verhielt, dessen Gegenwart ich aber spüren konnte, nie mehr als eine Armeslänge entfernt.
Jamies Hand lag fest auf meiner Schulter, und ich konnte ihn hinter mir spüren, ein warmer Lufthauch in der kühlen Leere der Höhle.
»Stimmt unsere Richtung noch?«, fragte er, als ich einen Moment innehielt, um Luft zu schnappen. »Rechts und links zweigen Gänge ab; ich fühle sie im Vorübergehen. Woher weißt du, wohin wir unterwegs sind?«
»Ich kann es hören. Kann sie hören. Hörst du es nicht?« Es fiel mir schwer zu sprechen, klare Gedanken zu fassen. Der Ruf war hier anders; kein Bienenstock wie auf dem Craigh na Dun, sondern ein Summen wie die Vibration der Luft nach einem Glockenschlag. Ich konnte den Widerhall in den langen Knochen meiner Arme spüren, in meinem Schultergürtel und in meiner Wirbelsäule.
Jamie packte mich fest am Arm.
»Bleib bei mir!«, sagte er. »Sassenach – pass auf, dass es dich nicht holt; bleib hier!«
Ich streckte blind die Hand aus, und er zog mich fest an seine Brust. Sein Herzschlag an meiner Schläfe war lauter als das Summen.
»Jamie. Jamie, halt mich fest.« Ich hatte mich im Leben noch nie so gefürchtet. »Lass mich nicht gehen. Wenn es mich ergreift – Jamie, ich kann nicht wieder zurück. Es ist jedes Mal schlimmer. Es wird mich umbringen, Jamie!«
Seine Arme legten sich fester um mich, bis ich meine Rippen ächzen spürte und nach Luft schnappte. Nach einigen Sekunden ließ er los. Er schob mich sanft zur Seite und bewegte sich in der Passage an mir vorbei. Dabei achtete er darauf, mich nicht loszulassen.
»Ich gehe zuerst«, sagte er. »Steck deine Hand in meinen Gürtel und lass auf keinen Fall los.«
So miteinander verbunden, bewegten wir uns langsam abwärts, tiefer in die Dunkelheit. Lawrence wäre gern mitgekommen, doch Jamie hatte es nicht zugelassen. Wir hatten ihn am Eingang der Höhle zurückgelassen, wo er warten sollte. Falls wir nicht zurückkehrten, sollte er zum Strand zurückgehen, zum Stelldichein mit Innes und den anderen Schotten.
Falls wir nicht zurückkehrten …
Er muss gespürt haben, wie ich fester zufasste, denn er blieb stehen und zog mich zu sich.
»Claire«, sagte er leise. »Ich muss etwas sagen.«
Ich wusste es schon, und ich tastete nach seinem Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen, doch meine Hand streifte im Dunklen sein Gesicht. Er packte mein Handgelenk und hielt es fest.
»Wenn es zur Entscheidung kommt zwischen ihr und einem von uns – dann muss ich es sein. Das weißt du, aye?«