Mit großer Klarheit nahm ich die lederne Ummantelung mit dem Perlenmuster wahr. Sie war rot mit gelben Zickzacklinien und schwarzen Punkten. Die Punkte harmonisierten mit dem schwarzen Obsidian der Klinge, das Rot und Gelb mit der brennenden Fackel in Geilies Rücken.
Ich hörte ein Geräusch hinter mir, doch ich drehte mich nicht um. Reflexionen der Flammen brannten rot in den Pupillen ihrer Augen. Die rote Glut, hatte Jamie es genannt. Ich habe mich ihr hingegeben, hatte er gesagt.
Ich brauchte mich ihr nicht hinzugeben; sie hatte mich ergriffen.
Es gab keine Angst, keine Wut, keinen Zweifel. Nur den Hieb der schwingenden Axt.
Der Aufprall setzte sich in meinem Arm fort, und mit betäubten Fingern ließ ich los. Ich stand völlig still und bewegte mich selbst da nicht, als sie auf mich zuwankte.
Blut ist im Schein eines Feuers schwarz, nicht rot.
Sie trat blindlings einen Schritt vor und fiel mit erschlafften Muskeln zu Boden, ohne auch nur mit einer Bewegung zu versuchen, sich abzufangen. Das Letzte, was ich von ihrem Gesicht sah, waren ihre Augen; weit gefasst und schön wie Edelsteine, ein Grün so klar wie Wasser, und die Gewissheit des Todes spiegelte sich in ihren Facetten.
Jemand sagte etwas, doch die Worte ergaben keinen Sinn. Die Spalte im Felsen summte so laut, dass es meine Ohren ganz erfüllte. Die Fackel flackerte und flammte plötzlich gelb im Luftzug auf; der Flügelschlag des schwarzen Engels, dachte ich.
Wieder ertönte das Geräusch hinter mir.
Ich drehte mich um und sah Jamie. Er hatte sich zum Knien aufgerichtet und schwankte. Aus seiner Kopfhaut strömte Blut und färbte die Hälfte seines Gesichtes rot-schwarz. Die andere Hälfte war weiß wie die Maske eines Harlekins.
Stille die Blutung, sagte ein Überbleibsel eines Instinkts in meinem Hirn, und ich tastete nach einem Taschentuch. Doch er war schon zu der Stelle gekrochen, wo Ian lag, und betastete die Fesseln des Jungen, riss die Lederriemen los, und sein Blut tropfte dem Jungen auf das Hemd. Ian kämpfte sich zum Stehen hoch, sein Gesicht gespenstisch blass, und er streckte die Hand aus, um seinem Onkel zu helfen.
Dann lag Jamies Hand auf meinem Arm. Ich blickte auf und hielt ihm betäubt das Taschentuch hin. Er nahm es und wischte sich unsanft über das Gesicht, dann riss er an meinem Arm und zog mich zur Mündung des Tunnels. Ich stolperte und wäre fast gefallen, fing mich und kehrte in die Gegenwart zurück.
»Komm!«, sagte er. »Kannst du den Wind nicht hören? Oben zieht ein Sturm herauf.«
Wind?, dachte ich. In einer Höhle? Doch er hatte recht; ich hatte mir den Luftzug nicht eingebildet; der schwache Hauch aus der Spalte neben dem Eingang war zu einem beständigen, leise heulenden Wind angeschwollen, der in dem schmalen Durchgang fast wie Wehklagen klang.
Ich drehte den Kopf, um mich umzusehen, doch Jamie griff fest nach meiner Hand und schob mich vorwärts. Das Letzte, was ich von der Höhle sah, war eine verschwommene Vision von Gagat und Rubinen, in deren Mitte eine reglose weiße Gestalt auf dem Boden lag. Dann wehte der Luftzug tosend auf uns zu, und die Fackel ging aus.
»Großer Gott!« Es war Ians Stimme, von Todesangst erfüllt, irgendwo in der Nähe. »Onkel Jamie!«
»Hier«, kam Jamies Stimme unmittelbar vor mir aus der Dunkelheit, überraschend ruhig und so laut, dass sie das Tosen übertönte. »Hier, Junge. Komm her zu mir, Ian. Hab keine Angst; es ist nur der Atem der Höhle.«
Es war das Falscheste, was er sagen konnte. Ich konnte bei seinen Worten den kalten Atem des Felsens in meinem Nacken spüren, und mir standen die Haare zu Berge. Das Bild der Höhle als eines Lebewesens, das uns atmend umgab, blind und boshaft, erfüllte mich mit kaltem Grauen.
Anscheinend wirkte diese Vorstellung auf Ian genauso angsteinflößend wie auf mich, denn ich hörte ihn leise aufkeuchen, und dann fand mich seine tastende Hand und klammerte sich an meinen Arm, als hinge sein Leben davon ab.
Ich legte eine Hand um die seine und tastete mit der anderen vor mir im Dunkel umher, wo ich fast augenblicklich auf Jamies beruhigend große Gestalt traf.
»Ich habe Ian«, sagte ich. »Lass uns um Himmels willen hier verschwinden!«
Als Antwort nahm er meine Hand, und so miteinander verbunden machten wir uns auf den Rückweg durch den gewundenen Tunnel. Immer wieder kamen wir im Stockfinsteren ins Stolpern oder traten uns gegenseitig in die Fersen. Und die ganze Zeit heulte hinter uns dieser gespenstische Wind.
Ich konnte nichts sehen; nicht die Spur von Jamies Hemd vor meinem Gesicht, obwohl ich wusste, dass es schneeweiß war, nicht den Hauch einer Bewegung meiner eigenen hellen Röcke, obwohl ich ihr Rascheln im Gehen hören konnte, ein Geräusch, das mit dem Wind verschmolz.
Das leise Rauschen der Luft wurde höher und tiefer, es flüsterte und jaulte. Ich versuchte, mich zu zwingen, nicht an das zu denken, was hinter uns lag, mir nicht morbide einzubilden, dass der Wind voller seufzender Stimmen war, deren geflüsterte Geheimnisse sich unserem Gehör entzogen.
»Ich kann sie hören«, sagte Ian plötzlich hinter mir, und seine Stimme überschlug sich panisch. »Ich kann sie hören! O Gott, o Gott, sie kommt!«
Ich erstarrte, und mir blieb ein Schrei in der Kehle stecken. Die kühle Beobachterin in meinem Kopf wusste genau, dass es nicht so war – es war nur der Wind und Ians Angst –, doch das änderte nichts an der schieren Furcht, die mir aus der Magengrube schoss und meine Eingeweide in Wasser verwandelte. Auch ich spürte plötzlich, dass sie kam, und ich schrie laut auf.
Dann hatte mich Jamie im Arm, und er drückte auch Ian fest an sich, so dass seine Brust unsere Ohren blockierte. Er roch nach Kiefernrauch, Schweiß und Brandy, und ich schluchzte beinahe vor Erleichterung über seine Nähe.
»Schsch!«, sagte er entschlossen. »Schsch, alle beide! Ich lasse nicht zu, dass sie euch anrührt. Niemals!« Er presste uns fest an sich; ich spürte sein Herz rapide unter meiner Wange schlagen, spürte Ians knochige Schulter, die sich an die meine drückte, und dann ließ der Druck nach.
»Kommt mit«, sagte Jamie, ruhiger jetzt. »Es ist nur der Wind. Wenn sich das Wetter an der Oberfläche ändert, zieht es in einer Höhle durch die Ritzen. Ich habe das schon öfter gehört. Draußen zieht ein Gewitter herauf. Kommt jetzt.«
Das Gewitter war nur kurz. Als wir blinzelnd an die Oberfläche stolperten, war der Regen schon vorbeigezogen und hatte die Welt wie neugeboren zurückgelassen.
Lawrence saß im Schutz einer tropfenden Palme neben dem Eingang der Höhle. Als er uns sah, sprang er auf, und Erleichterung glättete die Falten in seinem Gesicht.
»Es ist gutgegangen?«, sagte er und blickte von mir zu Jamies blutbefleckter Erscheinung.
Jamie nickte ihm mit einem halben Lächeln zu.
»Es ist gutgegangen«, sagte er. Er drehte sich um und zeigte auf Ian. »Darf ich Euch meinen Neffen vorstellen, Ian Murray? Ian, dies ist Dr. Stern, der uns auf der Suche nach dir eine große Hilfe gewesen ist.«
»Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet, Doktor«, sagte Ian und neigte den Kopf. Er wischte sich mit dem Ärmel über das verschmierte Gesicht und richtete den Blick auf Jamie.
»Ich wusste, dass du kommen würdest, Onkel Jamie«, sagte er mit einem zaghaften Lächeln, »aber du hast dir lange Zeit gelassen, aye?« Das Lächeln wurde breiter, dann brach es, und er begann zu zittern. Er blinzelte krampfhaft und kämpfte gegen die Tränen an.
»So ist es, und es tut mir leid, Ian. Komm her, a bhalaich.« Jamie streckte den Arm aus und zog ihn eng an sich. Er tätschelte ihm den Rücken und murmelte ihm auf Gälisch zu.
Ich beobachtete die beiden einen Moment, ehe ich begriff, dass Lawrence mit mir sprach.