Ich sah Gordon hundert Meter von uns entfernt am Bug der Pinasse mit einer Pistole ans Ufer zielen und wusste, dass wir verfolgt wurden. Die Muskete knallte mit einem Rauchwölkchen, und Meldrum, der hinter ihm stand, hob seinerseits die Waffe und feuerte. Die beiden wechselten sich ab und gaben uns Deckung, während wir auf sie zurauschten, bis uns schließlich helfende Hände an Bord zogen und das Boot aus dem Wasser hievten.
»Herum!«, rief Innes am Steuerrad, und der Mast schwenkte zur anderen Seite, so dass sich die Segel blähten. Jamie zog mich hoch und setzte mich auf eine Bank, dann ließ er sich keuchend neben mich fallen.
»Großer Gott«, ächzte er. »Habe ich dir nicht … gesagt, du sollst … dich fernhalten … Duncan?«
»Spar dir den Atem, Mac Dubh«, sagte Innes, und unter seinem Schnurrbart breitete sich ein Grinsen aus. »Du hast nicht genug davon, um ihn zu verschwenden.« Er rief MacLeod etwas zu; der nickte und begann ein Manöver mit den Leinen. Die Pinasse legte sich schräg, änderte den Kurs, wendete und hielt geradewegs aus der kleinen Bucht … auf das Kriegsschiff zu, das uns jetzt so nah war, dass ich den Delphin mit den dicken Lippen unter dem Bugspriet grinsen sehen konnte.
MacLeod brüllte etwas auf Gälisch, begleitet von einer Geste, die keinen Zweifel an der Bedeutung seiner Worte ließ. Unter Innes’ Triumphgeheul schossen wir direkt unter dem Bug der Porpoise vorbei, so nah, dass wir die überraschten Gesichter oben an der Reling sehen konnten.
Als wir die Bucht hinter uns gelassen hatten, blickte ich mich um und sah, dass die Porpoise immer noch mit dem ganzen Antrieb ihrer drei großen Masten auf die Insel zuhielt. Im offenen Meer konnte ihr die Pinasse nicht entkommen, doch auf engem Raum war die kleine Schaluppe im Vergleich mit dem Leviathan von einem Kriegsschiff leicht und wendig wie eine Feder.
»Es ist das Sklavenschiff, hinter dem sie her sind«, sagte Meldrum, der sich umwandte und meiner Blickrichtung folgte. »Wir haben gesehen, wie sie drei Meilen vor der Insel die Verfolgung aufgenommen haben. Wir dachten, während sie anderweitig beschäftigt sind, könnten wir euch schnell am Strand auflesen.«
»Nicht schlecht«, sagte Jamie mit einem Lächeln. Seine Brust hob und senkte sich zwar immer noch sichtlich, aber er kam allmählich wieder zu Atem. »Ich hoffe, die Porpoise hat länger zu tun.«
Ein Warnruf von Raeburn machte uns jedoch klar, dass dies Wunschdenken war. Ich blickte mich um und sah an Deck der Porpoise Messing aufglänzen, als sie die beiden langen Heckgeschütze zum Vorschein holten und auf uns ausrichteten.
Jetzt waren wir es also, die ins Visier genommen wurden – ein unangenehmes Gefühl. Doch wir waren in Bewegung, und zwar schnell. Innes drehte das Rad abrupt zur einen Seite, dann zur anderen, und raste im Zickzack an der Landzunge vorbei.
Die Heckgeschütze donnerten gleichzeitig los. Es platschte backbord von unserem Bug, zwar in zwanzig Metern Entfernung, aber dennoch gespenstisch nah, wenn man bedachte, dass uns die Kugel eines Vierundzwanzigpfünders, wenn sie den Boden der Pinasse durchbrach, wie einen Stein versenken würde.
Innes beugte sich fluchend über das Steuerrad, was dank seines fehlenden Arms ein wenig seltsam aussah. Unser Kurs wurde noch unberechenbarer, und die nächsten drei Versuche kamen uns nicht einmal andeutungsweise nah. Dann donnerte es lauter, und als ich hinter mich blickte, sah ich die Bordwand der schiefliegenden Bruja splitternd explodieren, denn die Porpoise war jetzt in Schussweite der Küste und richtete ihre Buggeschütze auf das gestrandete Schiff.
Ein Hagel von Granatsplittern traf den Strand und schlug mitten in eine Gruppe fliehender Sklaven ein. Menschen und Körperteile flogen in die Luft wie schwarze Streichholzfiguren und fielen in den Sand, den sie mit roten Flecken tränkten. Überall lagen abgetrennte Gliedmaßen verstreut wie Treibholz.
»Heilige Maria, Mutter Gottes.« Ian bekreuzigte sich mit bleichen Lippen und starrte von Grauen erfüllt auf den Strand, während die Bombardierung fortgesetzt wurde. Zwei Geschosse trafen die Bruja und schlugen ein großes Loch in ihre Seite. Mehrere andere landeten harmlos im Sand, und zwei weitere fanden ihr Ziel unter den Flüchtenden. Dann hatten wir die Landspitze umrundet und hielten auf das offene Meer zu, so dass wir den Strand mitsamt der Verwüstung aus dem Blick verloren.
»Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.« Flüsternd beendete Ian sein Gebet und bekreuzigte sich erneut.
In unserem Boot wurde kaum geredet, abgesehen davon, dass Jamie mit Innes das geplante Vorgehen in Eleuthera besprach und Innes und MacLeod über den Kurs diskutierten. Alle anderen waren zu entsetzt über das, was wir gerade gesehen hatten – und zu erleichtert über unser Entkommen –, als dass uns nach Reden zumute gewesen wäre.
Das Wetter war schön; es wehte ein frischer Wind, und wir kamen gut voran. Bei Sonnenuntergang war die Insel Hispaniola hinter dem Horizont versunken, und Grand Turk erhob sich zu unserer Linken.
Ich aß meinen kleinen Anteil unseres Zwiebackvorrats, trank einen Becher Wasser und rollte mich am Boden des Bootes zusammen, um mich zwischen Ian und Jamie schlafen zu legen. Innes zog sich gähnend an den Bug zurück, während sich MacLeod und Meldrum in der Nacht am Steuer abwechselten.
Am Morgen weckte mich ein Ruf. Schlaftrunken blinzelnd erhob ich mich auf den Ellbogen, steif von der Nacht auf den nackten, feuchten Brettern. Jamie stand neben mir, und der Morgenwind wehte ihm das Haar aus dem Gesicht.
»Was?«, fragte ich ihn. »Was ist?«
»Ich glaube es nicht«, sagte er und blickte rückwärts über die Reling. »Da ist das verdammte Schiff schon wieder!«
Ich rappelte mich zum Stehen auf und stellte fest, dass es stimmte; weit hinter uns waren winzige weiße Segel zu sehen.
»Bist du sicher?«, fragte ich blinzelnd. »Kannst du es aus dieser Entfernung erkennen?«
»Ich nicht, nein«, sagte Jamie offen, »aber Innes und MacLeod können es, und sie sagen, es sind tatsächlich die englischen Blutsauger. Vielleicht haben sie erraten, wohin wir unterwegs sind, und sind uns gefolgt, sobald sie mit den armen schwarzen Teufeln auf Hispaniola fertig waren.« Er wandte sich von der Reling ab und zuckte mit den Schultern.
»Uns bleibt verdammt wenig anderes übrig, als zu hoffen, dass wir unseren Vorsprung halten. Innes sagt, vielleicht können wir ihnen vor Cat Island entwischen, wenn wir bis zum Abend dort sind.«
Das Meer zwischen Cat Island und Eleuthera war flach und voller Korallenriffe. Ein Kriegsschiff konnte uns niemals in dieses Labyrinth folgen – doch wir konnten uns auch nicht schnell genug bewegen, um zu verhindern, dass uns die langen Kanonen der Porpoise versenkten. Wenn wir uns einmal inmitten dieser verräterischen Untiefen und Kanäle befanden, würden wir eine lebende Zielscheibe sein.
Schließlich beschlossen wir widerstrebend, uns ostwärts zu halten und das offene Meer anzusteuern; wir konnten es nicht riskieren, langsamer zu werden, und es bestand zumindest eine kleine Chance, das Kriegsschiff in der Dunkelheit abzuhängen.
Bei Tagesanbruch war jedes Land verschwunden. Die Porpoise allerdings unglücklicherweise nicht. Sie war zwar nicht näher gekommen, doch als sich zusammen mit der Sonne auch der Wind erhob, schüttelte sie weiteres Segeltuch aus und begann aufzuholen. Da wir schon jeden Quadratzentimeter Segel gehisst hatten und uns nirgendwo verstecken konnten, blieb uns nichts anderes übrig, als zu flüchten – und zu warten.
Im Lauf der langen Morgenstunden wurde die Porpoise hinter uns ständig größer. Der Himmel zog sich mehr und mehr zu, und der Wind hatte beträchtlich zugelegt, doch das half der Porpoise mit ihren riesigen Segelflächen deutlich mehr als uns.