»Fühlst du dich sehr schlecht?«, fragte er.
»Grauenvoll«, krächzte ich meine Antwort. Außerdem ärgerte ich mich darüber, doch noch am Leben und damit gezwungen zu sein, wieder Notiz von den Dingen zu nehmen. Als er mein Krächzen hörte, griff Jamie nach einem Krug mit Wasser auf dem Tisch neben meinem Bett.
Ich blinzelte verwirrt, doch es war tatsächlich ein Bett, keine Koje und keine Hängematte. Die Leinenwäsche trug das Ihre zu dem überwältigenden Gefühl bei, in Weiß getaucht zu sein. Hinzu kamen die weißgetünchten Wände und die langen weißen Musselinvorhänge, die sich ins Zimmer blähten wie Segel und im Wind der offenen Fenster raschelten.
Das flackernde Licht kam von den Reflexionen, die über die Zimmerdecke huschten; anscheinend befand sich im Freien ein Gewässer, das von der Sonne beschienen wurde. Es kam mir um einiges gemütlicher vor als des toten Manns Kiste. Dennoch empfand ich einen kurzen Moment bedauernder Sehnsucht nach dem Gefühl grenzenlosen Friedens, das ich im Herzen der Welle gespürt hatte – ein Bedauern, das umso akuter wurde, als mir bei der kleinsten Bewegung weißglühender Schmerz durch das Bein fuhr.
»Ich glaube, du hast dir das Bein gebrochen«, sagte Jamie überflüssigerweise. »Du solltest es wohl besser nicht viel bewegen.«
»Danke für den Hinweis«, sagte ich zähneknirschend. »Wo zum Teufel sind wir?«
Er zuckte flüchtig mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, dass es ein recht großes Haus ist. Ich hatte nicht viel Aufmerksamkeit dafür übrig, als sie uns hergebracht haben. Ein Mann hat gesagt, es heißt Les Perles.« Er hielt mir den Becher an die Lippen, und ich schluckte dankbar.
»Was ist passiert?« Solange ich darauf achtete, mich nicht zu bewegen, war der Schmerz in meinem Bein erträglich. Ich legte mir automatisch die Finger unter das Kinn, um meinen Puls zu fühlen; beruhigend kräftig. Ich stand nicht unter Schock; mein Bein konnte nicht dramatisch gebrochen sein, auch wenn es schmerzte.
Jamie rieb sich das Gesicht. Er sah furchtbar müde aus, und ich bemerkte, dass seine Hand vor Erschöpfung zitterte. Er hatte eine große Prellung auf der Wange, und ein Kratzer hatte eine getrocknete Blutspur auf seinem Hals hinterlassen.
»Ich glaube, der Mast ist gebrochen. Eine der Spieren ist heruntergefallen und hat dich über Bord geworfen. Du bist im Wasser untergegangen wie ein Stein, und ich bin dir hinterhergesprungen. Ich habe dich zu fassen bekommen – und die Spiere auch, Gott sei Dank. Du hattest ein Tau von der Takelage um das Bein gewickelt, das dich in die Tiefe gezogen hat, aber ich konnte dich davon befreien.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus und rieb sich den Kopf.
»Ich habe mich einfach nur an dich geklammert, und nach einer Weile habe ich Sand unter meinen Füßen gespürt. Ich habe dich an Land getragen, und schließlich haben uns ein paar Männer gefunden und uns hierhergebracht. Das ist alles.« Er zuckte mit den Schultern.
Trotz des warmen Lufthauchs, der zum Fenster hereindrang, fröstelte ich.
»Was ist aus dem Schiff geworden? Und den Männern? Ian? Lawrence?«
»Ich glaube, sie sind alle gerettet. Mit dem beschädigten Mast konnten sie uns nicht erreichen – bis sie ein Segel improvisieren konnten, waren wir lange fort.« Er hustete krampfhaft und rieb sich mit dem Handrücken über den Mund. »Aber sie sind in Sicherheit; die Männer, die uns gefunden haben, sagen, sie hätten gesehen, wie ein kleines Schiff eine Viertelmeile südlich von hier im Schlick auf Grund gelaufen ist; sie sind unterwegs, um es zu bergen und die Männer zu holen.«
Er trank einen Schluck Wasser, spülte sich den Mund aus, ging zum Fenster und spuckte es aus.
»Ich habe Sand zwischen den Zähnen«, sagte er und verzog das Gesicht, als er zurückkam. »Und in den Ohren. Und in der Nase, und vermutlich sogar in der Ritze in meinem Hintern.«
Ich streckte den Arm aus und griff erneut nach seiner Hand. Seine Handfläche war zwar voller Schwielen, doch sie war auch von den empfindlichen Schwellungen frischer Blasen übersät, und dort, wo ältere Blasen aufgeplatzt waren und geblutet hatten, hing seine Haut in Fetzen.
»Wie lange sind wir im Wasser gewesen?«, fragte ich und zeichnete sanft die Konturen seiner geschwollenen Handfläche nach. Das winzige »C« an seiner Daumenwurzel war inzwischen fast unsichtbar geworden, doch unter meinem Finger konnte ich es noch spüren. »Wie lange hast du mich festgehalten?«
»Lange genug«, sagte er nur.
Er lächelte schwach und hielt meine Hand ein wenig fester, obwohl seine Handfläche so wund war. Mir dämmerte plötzlich, dass ich keine Kleider trug; die Laken waren glatt und kühl auf meiner nackten Haut, und ich konnte sehen, wie sich meine Brustwarzen unter dem dünnen Stoff aufrichteten.
»Was ist mit meinen Kleidern passiert?«
»Ich konnte dich nicht an der Oberfläche halten, während du von deinen Röcken nach unten gezogen wurdest, also habe ich sie fortgerissen«, erklärte er. »Der Rest schien es nicht wert zu sein, ihn zu verwahren.«
»Vermutlich nicht«, sagte ich langsam, »aber Jamie – was ist mit dir? Wo ist dein Rock?«
Er zuckte mit den Schultern, dann ließ er sie fallen und lächelte reumütig.
»Auf dem Meeresgrund bei meinen Schuhen, nehme ich an«, sagte er. Und die Bilder von Willie und Brianna lagen ebenfalls dort.
»Oh, Jamie. Es tut mir so leid«, sagte ich und drückte seine Hand. Er wandte den Blick ab und blinzelte.
»Aye, nun ja«, sagte er leise. »Ich werde sie vermutlich auch so in Erinnerung behalten.« Wieder zuckte er mit den Schultern und lächelte schief. »Und wenn nicht, kann ich ja in den Spiegel schauen, nicht wahr?« Halb lachte, halb schluchzte ich; er schluckte gequält, doch er lächelte weiter.
Dann blickte er an seiner zerschlissenen Kniehose hinunter, und ihm schien ein Gedanke zu kommen. Er lehnte sich zurück und schob eine Hand in seine Tasche.
»Ganz leer sind meine Hände aber nicht«, sagte er und verzog ironisch das Gesicht. »Obwohl ich lieber die Bilder noch hätte und auf das hier verzichten würde.«
Er öffnete die Hand, und ich sah es auf seiner verletzten Handfläche glänzen und glitzern. Steine der ersten Kategorie, mit Facettenschliff, geeignet für magische Zwecke. Ein Smaragd, ein Rubin – vermutlich männlich –, ein großer, feuriger Opal, ein Türkis, so blau wie der Himmel, den ich jenseits des Fensters sehen konnte, ein goldener Stein wie in Honig gefangene Sonne und die seltsame kristalline Reinheit von Geilies schwarzem Diamanten.
»Du hast den Adamanten«, sagte ich und berührte ihn sanft. Der Stein war kühl, obwohl ihn Jamie so dicht am Körper getragen hatte.
»Ja«, sagte er, doch sein Blick war auf mich gerichtet, nicht auf den Stein, und er lächelte schwach. »Was ist es, was ein Adamant einem Menschen schenkt? Freude an allen Dingen?«
»So wurde es mir gesagt.« Ich hob meine Hand an sein Gesicht und streichelte es sanft, spürte festen Knochen und lebendige Haut, und es strahlte Wärme aus und schenkte mir Freude an allen Dingen.
»Wir haben Ian«, sagte ich leise. »Und uns.«
»Aye, das stimmt.« Jetzt erreichte das Lächeln seine Augen. Er ließ die Steine als glitzerndes Häufchen auf den Tisch fallen, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und nahm meine Hand zwischen die seinen.
Ich entspannte mich und spürte, wie mich warmer Friede überkam, trotz der blauen Flecken und Kratzer und der Schmerzen in meinem Bein. Wir waren am Leben, waren in Sicherheit und waren zusammen, und sonst gab es nicht viel, was wichtig gewesen wäre; gewiss keine Kleider oder ein gebrochenes Schienbein. Mit der Zeit würden wir alles regeln – aber nicht jetzt. Jetzt war es genug, zu atmen und Jamie anzusehen.
Eine Weile saßen wir friedlich schweigend da und beobachteten die sonnigen Vorhänge und den offenen Himmel. Vielleicht war es zehn Minuten später, vielleicht eine Stunde, als ich draußen leise Schritte hörte und ein vorsichtiges Klopfen an der Tür ertönte.
»Herein«, sagte Jamie und richtete sich auf, doch er ließ meine Hand nicht los.