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Sie legte den Papierstapel beiseite und zog den nächsten herbei – eine Anzahl Heftmappen mit dem charakteristischen Logo des Britischen Museums auf den Deckeln.

»Jamie war auch so«, sagte sie leise wie zu sich selbst. »Er war ein Mensch, der sich nie von etwas abgewandt hätte, was er für seine Aufgabe hielt. Und ich glaube nicht, dass er geglaubt hätte, sein Leben vergeudet zu haben – ganz gleich, was aus ihm geworden ist.«

Dann verfiel sie in Schweigen, ganz auf die Buchstabengespinste eines längst verstorbenen Verfassers konzentriert, auf der Suche nach dem Eintrag, der ihr sagen konnte, was Jamie Fraser getan hatte und wer er gewesen war und ob sein Leben in einer Gefängniszelle vergeudet worden war oder in einem einsamen Verlies geendet hatte.

Die Uhr auf dem Schreibtisch schlug Mitternacht, und das Glöckchen klang überraschend tief und melodisch für so ein kleines Instrument. Sie schlug die Viertelstunde und die halbe und unterbrach damit das monotone Rascheln der Seiten. Roger legte das Bündel dünner Papiere hin, in denen er geblättert hatte, und gähnte herzhaft, ohne sich die Mühe zu machen, sich die Hand vor den Mund zu halten.

»Ich bin so müde, dass ich schon doppelt sehe«, sagte er. »Wollen wir morgen früh weitermachen?«

Im ersten Moment antwortete Claire ihm nicht; ihr Blick war auf die glühenden Rippen des Radiators gerichtet, und ihr Gesicht trug einen Ausdruck unaussprechlicher Ferne. Roger wiederholte seine Frage, und sie kehrte langsam zurück, wo auch immer sie gewesen war.

»Nein«, sagte sie. Sie griff nach der nächsten Mappe und lächelte Roger an, die Ferne immer noch in den Augen. »Geh nur, Roger«, sagte sie. »Ich … suche noch ein bisschen weiter.«

Als ich es schließlich fand, hätte ich um ein Haar daran vorbeigeblättert. Ich hatte die Namen nicht genau gelesen, sondern nur die Seiten auf der Suche nach dem Buchstaben »J« überflogen. »John, Joseph, Jacques, James.« James Edward, James Alan, James Walter gab es ad infinitum. Dann war es da, in kleinen, präzisen Buchstaben auf der Seite: »Jms. MacKenzie Fraser aus Brock Turac«.

Ich legte das Blatt vorsichtig auf den Tisch, schloss einen Moment die Augen, um besser zu sehen, dann schaute ich noch einmal hin. Es war noch da.

»Jamie«, sagte ich laut. Mein Herz schlug heftig in meiner Brust. »Jamie«, sagte ich erneut, leiser jetzt.

Es war fast drei Uhr morgens. Alle schliefen, doch das Haus ringsum war noch wach und leistete mir nach der Art alter Häuser ächzend und seufzend Gesellschaft. Seltsamerweise hatte ich kein Bedürfnis, aufzuspringen und Brianna oder Roger zu wecken, um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. Ich wollte sie eine Weile für mich behalten, als sei ich mit Jamie selbst hier im Lampenschein des Zimmers allein.

Mein Finger zeichnete die Linie aus Tinte nach. Die Person, die das geschrieben hatte, hatte Jamie gesehen – hatte es vielleicht sogar geschrieben, während Jamie vor ihm stand. Das Datum am Kopf der Seite lautete 16. Mai 1753. Es war also ungefähr dieselbe Jahreszeit gewesen wie jetzt. Ich konnte mir ausmalen, wie die Luft gewesen war, kühl und frisch, während ihm die seltene Frühlingssonne auf die Schultern fiel und Funken in seinem Haar entzündete.

Wie mochte er es wohl getragen haben – kurz oder lang? Am liebsten hatte er es lang getragen, geflochten oder in einem Pferdeschwanz. Ich musste an die beiläufige Geste denken, mit der er es sich aus dem Nacken hob, um sich Abkühlung zu verschaffen, wenn ihm vor Anstrengung warm wurde.

Seinen Kilt würde er nicht getragen haben – das Tragen jeglicher Art von Tartan war in der Zeit nach Culloden verboten gewesen. Wahrscheinlich also eine Kniehose und ein Leinenhemd. Ich hatte ihm solche Hemden genäht; in meiner Erinnerung konnte ich den weichen Stoff spüren, die kompletten, wogenden drei Meter, die man dazu brauchte, für die langen Hemdschöße und Ärmel, die es den Highlandmännern ermöglichten, ihre Plaids abzulegen und nur im Hemd zu schlafen oder zu kämpfen. Ich konnte mir seine Schultern vorstellen, breit unter dem grob gewebten Tuch, durch das ich seine warme Haut spüren konnte, während seine Hände in die Kälte des schottischen Frühlings getaucht waren.

Es war nicht das erste Mal, dass er im Gefängnis war. Was für eine Miene mochte er getragen haben angesichts eines englischen Gefängnisschreibers, während er doch nur zu gut wusste, was ihn erwartete. Grimmig wie der Teufel, dachte ich, einen herablassenden Blick in den kalten, dunkelblauen Augen – dunkel und abweisend wie das Wasser von Loch Ness.

Erst als ich selbst die Augen öffnete, begriff ich, dass ich auf der Sesselkante saß und mir die Mappe mit den Fotokopien an die Brust hielt, so sehr darauf konzentriert, mir Jamies Bild heraufzubeschwören, dass ich gar nicht darauf geachtet hatte, aus welchem Gefängnis diese Register überhaupt kamen.

Es gab mehrere große Gefängnisse, die die Engländer im achtzehnten Jahrhundert regelmäßig benutzt hatten, und eine Reihe weniger bedeutende. Ich drehte den Ordner langsam um. Würde es Berwick sein, nahe der Landesgrenze? Der berüchtigte TolBooth in Edinburgh? Oder eins der Gefängnisse im Süden, die Burg von Leeds oder gar der Tower in London?

»Ardsmuir«, stand auf der Karteikarte, die ordentlich auf der Mappe festgeheftet war.

»Ardsmuir?«, sagte ich verständnislos. »Wo zum Teufel ist das?«

Kapitel 8

Ein Gefangener und Ehrenmann

Ardsmuir, Schottland, 15. Februar 1755

Ardsmuir ist der Karbunkel am Hintern Gottes«, sagte Oberst Harry Quarry. Er hob sein Glas sardonisch in Richtung des jungen Mannes am Fenster. »Ich bin jetzt zwölf Monate hier, und das sind elf Monate und neunundzwanzig Tage zu viel. Ich wünsche Euch Freude an Eurem neuen Posten, Mylord.«

Major John William Grey wandte sich vom Fenster zum Hof ab, von wo er über seine neue Domäne hinweggeblickt hatte.

»Es scheint tatsächlich ein wenig ungastlich zu sein«, pflichtete er Quarry sardonisch bei und hob seinerseits das Glas. »Regnet es denn hier immerzu?«

»Natürlich. Es ist Schottland – und noch dazu die letzte Ecke, die das verflixte Schottland anzubieten hat.« Quarry trank einen großen Schluck von seinem Whisky, hustete und atmete geräuschvoll aus, während er das leere Glas hinstellte.

»Der Alkohol ist der einzige Ausgleich«, sagte er ein wenig heiser. »Wenn Ihr die hiesigen Schnapshändler in Eurer besten Uniform aufsucht, machen sie Euch einen guten Preis. Ohne den Zoll ist es erstaunlich billig. Ich habe Euch die besten Destillen aufgeschrieben.« Er wies kopfnickend auf den gewaltigen Eichenholzschreibtisch an der Seite des Zimmers, der in der Mitte seiner Teppichinsel stand wie eine kleine Festung, die dem kahlen Zimmer trotzte. Die Illusion einer Befestigungsanlage wurde noch verstärkt durch die Regiments- und Landesbanner, die dahinter an der steinernen Wand hingen.

»Hier ist die Diensteinteilung der Wachen«, sagte Quarry. Er erhob sich und kramte in der oberen Schreibtischschublade, dann ließ er eine abgenutzte Ledermappe auf den Tisch klatschen und legte eine weitere obenauf. »Und das Häftlingsregister. Im Moment habt Ihr einhundertsechsundneunzig; zweihundert sind üblich, plus oder minus einige Todesfälle durch Erkrankungen oder hin und wieder einen Wilderer, den sie in der Gegend erwischen.«

»Zweihundert«, sagte Grey. »Und wie viele im Quartier der Wachen?«

»Zahlenmäßig zweiundachtzig. Ungefähr die Hälfte davon im Dienst.« Quarry griff erneut in die Schublade und zog eine braune Glasflasche mit einem Korken hervor. Er schüttelte sie, hörte es darin plätschern und lächelte sardonisch. »Der Kommandeur ist nicht der Einzige, der Trost im Alkohol sucht. Die Hälfte der alten Säufer ist normalerweise beim Appell nicht ansprechbar. Ich lasse Euch das hier, ja? Ihr werdet es brauchen.« Er steckte die Flasche zurück und zog die Schublade darunter heraus.