Quarry antwortete nicht. Nach einem kurzen Moment drehte Grey sich um und stellte fest, dass ihn sein Gegenüber nachdenklich betrachtete. Jede Spur von Humor war aus dem breiten, roten Gesicht gewichen.
»Es gibt Intelligenz«, sagte Quarry langsam. »Und es gibt andere Dinge. Doch vielleicht seid Ihr noch zu jung, um Hass und Verzweiflung aus nächster Nähe erlebt zu haben. Davon hat es in Schottland in den letzten zehn Jahren eine Menge gegeben.« Er neigte den Kopf und betrachtete den neuen Kommandeur von Ardsmuir mit der Überlegenheit des fünfzehn Jahre Älteren.
Major Grey war jung, nicht älter als sechsundzwanzig, mit einem hellhäutigen Gesicht und mädchenhaften Wimpern, die ihn noch jünger aussehen ließen, als er war. Um das Problem zu vervollständigen, war er außerdem ein paar Zentimeter kleiner als der Durchschnitt und sehr feinknochig. Er richtete sich kerzengerade auf.
»Ich bin mir dieser Dinge bewusst, Oberst«, sagte er gleichmütig. Genau wie er war zwar auch Quarry ein jüngerer Sohn aus gutem Hause, doch der Oberst war dennoch der Ranghöhere; er musste sich beherrschen.
Quarrys leuchtender haselgrüner Blick ruhte nachdenklich auf ihm.
»Natürlich.«
Mit einer plötzlichen Bewegung drückte er sich den Hut auf den Kopf. Er berührte sich an der Wange, wo die dunklere Linie einer Narbe die rötliche Haut zerschnitt; ein Souvenir des skandalösen Duells, dem er das Exil in Ardsmuir verdankt hatte.
»Weiß der Himmel, was Ihr getan habt, um hierhergeschickt zu werden, Grey«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Aber ich hoffe um Euretwillen, Ihr habt es verdient! Viel Glück!« Sein blauer Umhang wirbelte, und er war fort.
»Lieber den Teufel, den man kennt, als den, den man nicht kennt«, sagte Murdo Lindsay und schüttelte wehmütig den Kopf. »Der Hübsche Harry war gar nicht so schlecht.«
»Nein, das war er nicht«, stimmte Kenny Lesley zu. »Aber du warst doch auch schon hier, als er gekommen ist, oder? Er war um einiges besser als der verdammte Bogle, aye?«
»Aye«, sagte Murdo mit verständnislosem Gesicht. »Was willst du damit sagen, Mann?«
»Wenn der Hübsche also besser war als Bogle«, erklärte Lesley geduldig, »dann war der Hübsche doch der Teufel, den wir nicht kannten, und Bogle der, den wir kannten – aber der Hübsche war trotzdem besser, also irrst du dich, Mann.«
»Meinst du?« Murdo, den diese Argumentation hoffnungslos verwirrte, sah Lesley finster an. »Nein, das tue ich nicht.«
»Doch«, sagte Lesley, der jetzt die Geduld verlor. »Du irrst dich ständig, Murdo! Warum widersprichst du mir, wenn du doch nie recht hast?«
»Ich widerspreche doch gar nicht!«, protestierte Murdo entrüstet. »Du bist es doch, der mich Lügner nennt, nicht umgekehrt.«
»Nur, weil du unrecht hast, Mann!«, sagte Lesley. »Wenn du recht hättest, hätte ich kein Wort gesagt.«
»Ich habe aber nicht unrecht! Zumindest glaube ich das nicht«, murmelte Murdo, der sich nicht mehr genau erinnern konnte, was er wirklich gesagt hatte. Er wandte sich hilfesuchend an die hochgewachsene Gestalt, die in der Ecke saß. »Mac Dubh, hatte ich unrecht?«
Der hochgewachsene Mann räkelte sich sacht und lachte. Bei jeder Bewegung klirrte die Kette seiner Eisenfesseln leise.
»Nein, Murdo, du hast nicht unrecht. Aber wir können auch noch nicht sagen, ob du recht hast. Nicht, solange wir nicht gesehen haben, was für eine Sorte der neue Teufel ist, aye?« Da er sah, dass sich Lesleys Stirn in Falten zog, weil er weitere Einwände vorbereitete, hob er die Stimme und wendete sich an die ganze Zelle. »Hat schon jemand den neuen Verwalter gesehen? Johnson? MacTavish?«
»Ich«, sagte Hayes und schob sich bereitwillig nach vorn, um sich die Hände am Feuer zu wärmen. Es gab nur eine Feuerstelle in der großen Zelle, und es konnten immer nur höchstens sechs Mann auf einmal davorsitzen. Die anderen vierzig waren der bitteren Kälte überlassen und drängten sich in kleinen Gruppen umeinander, um sich zu wärmen.
Demzufolge herrschte die Übereinkunft, dass jedem, der etwas zu erzählen hatte oder ein Lied vortragen wollte, für die Dauer seines Vortrags ein Platz am Feuer zustand. Mac Dubh hatte gesagt, das sei Bardenrecht, dass man den Barden, die in die alten Burgen kamen, ein warmes Plätzchen und reichlich zu essen und zu trinken gab, im Namen der Gastfreundschaft des Burgherrn. Hier hatte zwar niemand etwas zu essen oder zu trinken übrig, doch das warme Plätzchen war garantiert.
Hayes entspannte sich, die Augen geschlossen und ein seliges Lächeln im Gesicht, während er die Hände nach der Wärme ausstreckte. Durch die nervösen Zuckungen zu seiner Rechten und Linken gewarnt, öffnete er jedoch die Augen hastig wieder und begann zu sprechen.
»Ich habe ihn gesehen, als er aus der Kutsche kam, und dann noch einmal, als ich einen Teller mit Naschwerk aus der Küche hinaufgebracht habe, während er mit dem Hübschen Harry geplaudert hat.« Hayes runzelte konzentriert die Stirn.
»Er ist blond und trägt die langen gelben Locken mit einem blauen Band zusammengebunden. Noch dazu hat er große Augen und lange Wimpern wie ein Mädchen.« Hayes zog vor seinen Zuhörern eine lüsterne Fratze und klimperte spöttisch mit den eigenen, kurzen Wimpern.
Durch das Gelächter ermuntert, fuhr er fort, indem er die Kleidung des neuen Verwalters beschrieb – »elegant wie ein Gutsherr« –, sein Gepäck und seinen Bediensteten – »einer dieser Sassenachs, die reden, als hätten sie sich die Zunge verbrannt« – und das, was er von den Worten des neuen Mannes mitbekommen hatte.
»Er hört sich ganz schlau an, als wüsste er, wovon er spricht«, sagte Hayes und schüttelte skeptisch den Kopf. »Aber er ist noch sehr jung – er sieht fast aus, als wäre er noch ein Kind, obwohl er vermutlich älter ist, als er aussieht.«
»Aye, er ist ein schmächtiger Kerl, kleiner als unser Angus«, meldete sich Baird zu Wort und wies mit einem Ruck seines Kopfes auf Angus MacKenzie, der verblüfft an sich hinunterschaute. Angus war zwölf gewesen, als er an der Seite seines Vaters in Culloden gekämpft hatte. Er hatte fast sein halbes Leben in Ardsmuir verbracht, und infolge der schlechten Ernährung im Gefängnis war er seitdem kaum noch gewachsen.
»Aye«, pflichtete Hayes ihm bei, »aber seine Haltung ist gut; als hätte er einen Stock verschluckt.«
Dies löste einen Schwall von Gelächter und deftigen Bemerkungen aus, und Hayes räumte seinen Platz für Ogilvie, der eine lange, skurrile Geschichte über den Gutsherrn von Donibristle und die Tochter des Schweinehirten kannte. Hayes verließ das Feuer ohne Murren und ging – wie es bei ihnen üblich war – zu Mac Dubh, um sich neben ihn zu setzen.
Mac Dubh nahm nie am Feuer Platz, selbst wenn er ihnen die langen Geschichten aus den Büchern erzählte, die er gelesen hatte – Die Abenteuer des Roderick Random, Tom Jones: Die Geschichte eines Findelkindes oder die Geschichte, die sie alle am liebsten hörten, Robinson Crusoe. Mit der Begründung, er bräuchte den Platz für seine langen Beine, saß Mac Dubh immer an derselben Stelle in der Ecke, wo ihn jeder hören konnte. Aber die Männer, die das Feuer verließen, kamen einer nach dem anderen herbei und setzten sich neben ihn auf die Bank, um ihm die Wärme zu spenden, die noch in ihren Kleidern hing.
»Glaubst du, du wirst den neuen Verwalter morgen sprechen, Mac Dubh?«, fragte Hayes, als er sich setzte. »Ich bin Billy Malcolm auf dem Heimweg vom Torfstechen begegnet, und er hat mir zugerufen, die Ratten in ihrer Zelle wären ungewöhnlich dreist geworden. Diese Woche sind sechs Mann im Schlaf gebissen worden, und zwei von ihnen haben eiternde Wunden.«
Mac Dubh schüttelte den Kopf und kratzte sich am Kinn. Vor seinen allwöchentlichen Audienzen bei Harry Quarry hatte man ihm ein Rasiermesser zugestanden, doch die letzte war jetzt fünf Tage her, und sein Kinn war voller dichter roter Stoppeln.