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Sie wusste sehr wohl, dass er in Ungnade gefallen war; niemand schickte einen vielversprechenden jungen Offizier, der das Wohlwollen seiner Vorgesetzten genoss, ans hinterletzte Ende Schottlands, um die Renovierung kleiner, unbedeutender Gefängnisfestungen zu beaufsichtigen. Doch sein Bruder Harold hatte ihr erzählt, der Grund sei eine unglückselige Herzensangelegenheit, und er hatte so viel Peinlichkeit angedeutet, dass sie nicht weiter danach gefragt hatte. Vermutlich glaubte sie, man hätte ihn mit der Frau seines Obersts erwischt, oder er hätte eine Hure in seinem Quartier unterhalten.

Eine unglückselige Herzensangelegenheit! Er lächelte grimmig und tauchte seine Feder in die Tinte. Vielleicht war es ja scharfsinniger von Hal gewesen, als er dachte, diese Beschreibung zu wählen. Andererseits waren seit Culloden all seine Herzensangelegenheiten unglückselig gewesen.

Mit dem Gedanken an Culloden kehrte auch der Gedanke an Fraser zurück; etwas, was er den ganzen Tag verdrängt hatte. Er ließ den Blick von seinem Löschpapier zu der Mappe mit dem Gefangenenverzeichnis schweifen und biss sich auf die Lippe. Er war versucht, sie zu öffnen und nach dem Namen zu suchen, doch welchen Zweck hatte das? Es mochte ja in den Highlands Dutzende von Männern namens James Fraser geben, doch nur einen, der außerdem als der Rote Jamie bekannt war.

Er spürte, wie er errötete, als ihn die Hitze in Wellen überlief, doch es lag nicht an der Nähe zum Feuer. Dennoch erhob er sich und ging zum Fenster, wo er sich die Lungen in tiefen Zügen vollsog, als könnte ihn der kalte Luftzug von seinen Erinnerungen reinwaschen.

»Verzeihung, Sir, aber hättet Ihr jetzt gern Euer Bett gewärmt?« Die schottische Stimme hinter ihm ließ ihn aufschrecken, und als er herumfuhr, sah er den zerzausten Kopf des Gefangenen, der für sein Quartier zuständig war, aus der Tür kommen, die zu seinen Privaträumen führte.

»Oh! Äh, ja. Danke … MacDonnell?«, sagte er skeptisch.

»MacKay, Mylord«, verbesserte der Mann ohne sichtbare Verärgerung, und der Kopf verschwand.

Grey seufzte. Ihm blieb heute Abend nichts mehr zu tun. Er kehrte an den Schreibtisch zurück und schob die Mappen zusammen, um sie zu verstauen. Das Zackenmuster auf dem Löschpapier sah aus wie einer dieser stacheligen Morgensterne, mit denen die alten Ritter ihren Gegnern die Schädel zertrümmert hatten. Er fühlte sich, als hätte er ein solches Gerät verschluckt, obwohl das vielleicht nur eine Magenverstimmung nach dem halbgaren Hammel war.

Er schüttelte den Kopf, zog den Brief an sich und unterzeichnete ihn hastig.

In tiefer Zuneigung, Dein gehorsamer Sohn, John Wm. Grey. Er schüttete Sand auf die Signatur, versiegelte den Brief mit seinem Ring und legte ihn beiseite, um ihn am Morgen aufzugeben.

Er erhob sich und blieb zögernd stehen, während sein Blick über die finstere Weite der Amtsstube schweifte. Es war ein großer, kalter, nackter Raum, der wenig mehr enthielt als den riesigen Schreibtisch und ein paar Stühle. Er erschauerte; die trübe Glut der Torfziegel im Kaminfeuer trug wenig dazu bei, die Weite des Raums zu erwärmen, vor allem, während gleichzeitig die eiskalte nasse Luft zum Fenster hereinkam.

Noch einmal fiel sein Blick auf die Liste der Gefangenen. Dann bückte er sich, öffnete die untere Schreibtischschublade und holte die braune Glasflasche heraus. Er löschte die Kerze mit zwei Fingern und suchte im dumpfen Leuchten des Kamins den Weg zu seinem Bett.

Eigentlich hätte seine Erschöpfung, gepaart mit dem Whisky, dazu führen sollen, dass er augenblicklich einschlief, doch der Schlaf blieb auf Abstand und schwebte über dem Bett wie eine Fledermaus, ohne je zu landen. Jedes Mal, wenn er spürte, wie er ins Reich der Träume sank, stand ihm das Bild des Waldes von Carryarick vor Augen, und wieder lag er hellwach und schwitzend da, und das Herz donnerte ihm in den Ohren.

Er war damals sechzehn gewesen und hatte die Aufregung über seinen ersten Feldzug kaum ertragen. Er hatte damals noch kein Offizierspatent besessen, doch sein Bruder Hal hatte ihn mit dem Regiment mitgenommen, um ihm einen Vorgeschmack auf das Soldatendasein zu geben.

Auf dem Weg zu General Cope in Prestonpans hatten sie eines Abends ihr Lager am Rand eines dunklen schottischen Waldes aufgeschlagen, und John war zu nervös zum Schlafen gewesen. Wie würde es wohl sein in der Schlacht? Cope war ein großer General, Hals Freunde sagten das alle, doch die Männer an den Lagerfeuern erzählten sich furchtbare Geschichten von den brutalen Highlandern und ihren tödlichen Breitschwertern. Würde er den Mut haben, sich ihrem grauenerregenden Ansturm entgegenzustellen?

Er konnte sich nicht einmal überwinden, Hector von seinen Ängsten zu erzählen. Hector liebte ihn, doch Hector war auch schon zwanzig, hochgewachsen, muskulös und furchtlos mit seinem Leutnantspatent und den Heldengeschichten seiner Schlachten in Frankreich.

Er wusste bis heute nicht, ob es der Drang gewesen war, es Hector gleichzutun oder ihn einfach nur zu beeindrucken, der ihn dazu verleitet hatte. So oder so, als er den Highlander im Wald erspähte und den berüchtigten Roten Jamie Fraser der Flugblätter wiedererkannte, hatte er den Entschluss gefasst, ihn umzubringen oder gefangen zu nehmen.

Der Gedanke, ins Lager zurückzukehren und Hilfe zu holen, war ihm zwar gekommen, doch der Mann war allein – zumindest hatte John gedacht, er sei allein – und offensichtlich achtlos, wie er da in aller Ruhe auf einem Baumstamm saß und ein Stück Brot aß.

Und so hatte er sein Messer aus dem Gürtel gezogen und war lautlos durch den Wald auf diesen schimmernden Rotschopf zugeschlichen, das Heft rutschig in seinen Fingern, den Kopf voller Visionen von Ruhm und Hectors Lob.

Doch stattdessen hatte er mit dem Messer ausgeholt, den Arm fest um den Hals des Schotten geschlossen, um ihm die Luft abzuschnüren, und dann …

Lord John warf sich im Bett herum, und sein Gesicht brannte bei der Erinnerung daran. Sie waren rücklings in die Dunkelheit gestürzt und hatten sich zusammen im raschelnden Eichenlaub gewälzt, um das Messer gerungen, um sich geschlagen – um sein Leben gekämpft, hatte er zumindest gedacht.

Erst hatte der Schotte unter ihm gelegen, sich dann aber irgendwie umgedreht. Er hatte einmal eine große Schlange berührt, einen Python, den ein Freund seines Onkels von den Westindischen Inseln mitgebracht hatte, und genauso war es gewesen, Fraser zu spüren, geschmeidig und glatt und unglaublich kraftvoll, seine Bewegungen wie die Muskelschleifen der Schlange, niemals dort, wo man ihn erwartete.

Er war schmählich mit dem Gesicht im Laub gelandet, das Handgelenk schmerzhaft hinter dem Rücken verdreht. Panisch vor Angst und fest überzeugt, dass man ihn abschlachten würde, hatte er mit aller Kraft an seinem fixierten Arm gerissen, und der Knochen war unter derart glühendem Schmerz gebrochen, dass er einen Moment die Besinnung verloren hatte.

Einige Augenblicke später war er an einen Baum gelehnt zu sich gekommen und hatte sich von wild aussehenden Highlandern umringt gesehen, alle im Plaid. In ihrer Mitte standen der Rote Jamie Fraser – und die Frau.

Grey knirschte mit den Zähnen. Diese verflixte Frau! Wenn sie nicht gewesen wäre … Nun ja, der Himmel allein wusste, was dann vielleicht geschehen wäre. Was geschehen war, war, dass sie den Mund aufgemacht hatte. Sie war Engländerin, der Ausdrucksweise nach eine feine Dame, und er – Idiot, der er war! – hatte augenblicklich den voreiligen Schluss gezogen, dass sie eine Geisel der brutalen Highlander war, zweifellos entführt, um vergewaltigt zu werden. Jeder sagte doch, dass sich die Highlander keine Gelegenheit zu einer Vergewaltigung entgehen ließen und sich daran ergötzten, Engländerinnen zu entehren; wie hätte er es besser wissen sollen!

Und so hatte Lord John William Grey, sechzehn Jahre alt und voller militärischer Ideen von Ritterlichkeit und Edelmut, verletzt, erschüttert und beinahe überwältigt durch den Schmerz in seinem Arm, versucht zu verhandeln, um ihr dieses Schicksal zu ersparen. Überlegen und voller Spott hatte ihn Fraser geködert wie einen Lachs und die Frau vor seinen Augen halb entblößt, um Informationen über den Standort und die Größe des Regiments seines Bruders von ihm zu erpressen. Und als er ihm dann alles gesagt hatte, was er konnte, hatte ihm Fraser lachend enthüllt, dass die Frau seine Ehefrau war. Sie hatten alle gelacht; in seiner Erinnerung konnte er die unflätigen schottischen Stimmen jetzt noch brüllend lachen hören.