Grey wälzte sich auf die andere Seite und verlagerte gereizt das Gewicht auf der ungewohnten Matratze. Und um alles noch schlimmer zu machen, hatte Fraser nicht einmal den Anstand besessen, ihn umzubringen, sondern ihn stattdessen an einen Baum gefesselt, wo ihn seine Freunde am Morgen finden würden. Zu welchem Zeitpunkt Frasers Männer längst das Lager heimgesucht und – mit Hilfe der Information, die er ihnen verraten hatte – die Kanonen, die sie zu Cope bringen wollten, bewegungsunfähig gemacht hatten.
Natürlich hatte es jeder herausgefunden, und man hatte zwar sein Alter und seinen inoffiziellen Status als Entschuldigung angeführt, doch er war zum Aussätzigen geworden, dem man mit Verachtung begegnete. Niemand sprach mit ihm außer seinem Bruder – und Hector. Der getreue Hector.
Er seufzte und rieb mit der Wange über das Kissen. Er konnte Hector auch jetzt noch vor seinem inneren Auge sehen. Dunkelhaarig und blauäugig mit einem sanften Mund, der immer lächelte. Es war zehn Jahre her, dass Hector in Culloden gestorben war, von einem Highlandschwert in Stücke gehackt, und John erwachte heute noch hin und wieder im Morgengrauen, zuckend im Griff des Krampfes, und spürte Hectors Berührung.
Und nun das. Mit Grauen hatte er diesem Posten entgegengeblickt, auf dem er von Schotten umringt sein würde, von ihren Reibeisenstimmen, überwältigt von der Erinnerung an das, was sie Hector angetan hatten. Doch selbst in seinen trübsten Vorahnungen hatte er nie daran gedacht, dass er James Fraser wiederbegegnen würde.
Das Torffeuer im Kamin erstarb allmählich zu heißer Asche, dann erkaltete es, und das Fenster erbleichte von tiefem Schwarz zum stumpfen Grau einer verregneten schottischen Morgendämmerung. Und immer noch lag John Grey schlaflos da, die brennenden Augen fest auf die rauchgeschwärzten Deckenbalken über ihm geheftet.
Am Morgen erhob Grey sich unausgeruht, aber entschlossen. Er war hier. Fraser war hier. Und auf absehbare Zeit konnte keiner von ihnen fort. Nun denn. Er würde den Mann hin und wieder sehen müssen – in einer Stunde würde er beim Morgenappell zu den Gefangenen sprechen, und danach musste er sie regelmäßig begutachten – doch er würde ihn nicht unter vier Augen sehen. Wenn er den Mann selbst auf Abstand halten konnte, gelang es ihm vielleicht auch, die Erinnerungen im Zaum zu halten, die er weckte. Und die Gefühle.
Denn mochte es anfangs die Erinnerung an die Wut und Erniedrigung der Vergangenheit gewesen sein, die ihn wach hielt, war es jetzt die Kehrseite, die ihn auch gegen Morgen nicht schlafen ließ. Die langsam herandämmernde Erkenntnis, dass Fraser jetzt sein Gefangener war; nicht länger sein Peiniger, sondern ein Gefangener wie die anderen, der ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
Er läutete nach seinem Bediensteten und stapfte zum Fenster, um zu sehen, wie sich das Wetter entwickelte. Die Kälte des Steins unter seinen nackten Füßen ließ ihn zusammenzucken.
Es war nicht überraschend, dass es regnete. Unten im Hof wurden die Gefangenen bereits in Arbeitskolonnen eingeteilt, nass bis auf die Haut. Zitternd und im Hemd zog Grey den Kopf ein und schloss das Fenster zur Hälfte, ein guter Kompromiss zwischen dem Erstickungstod und einer tödlichen Grippe.
Es waren Rachefantasien gewesen, mit denen er sich im Bett hin und her warf, während es im Fenster heller wurde und der Regen auf das Sims prasselte; Gedanken an Fraser, der in eine winzige Zelle aus eisigem Stein gesperrt war, nackt in den Winternächten, sich von Resten ernährte, im Gefängnishof entkleidet und ausgepeitscht wurde. All diese machtvolle Arroganz erniedrigt, bis er zu Kreuze kroch, und es lag einzig in Greys Macht, ob er auch nur einen Moment Erleichterung fand.
Ja, all diese Dinge dachte er, malte sie sich aus bis ins Detail, weidete sich daran. Er hörte Fraser um Gnade betteln, sah sich selbst geringschätzig und herablassend. Er dachte diese Dinge, und der gestachelte Gegenstand wand sich in seinen Eingeweiden und durchbohrte ihn mit Selbstverachtung.
Was auch immer Fraser einmal für Grey gewesen sein mochte, jetzt war er ein geschlagener Feind, ein Kriegsgefangener in der Obhut der Krone. Tatsächlich war Grey für ihn verantwortlich, sein Wohlergehen eine Ehrenpflicht.
Sein Bediensteter hatte ihm heißes Wasser zum Rasieren gebracht. Er befeuchtete sich die Wangen damit, spürte die beruhigende Wärme, die den Gedankenaufruhr der Nacht zur Ruhe brachte. Denn mehr war es nicht gewesen, begriff er – Gedankenspiele, und diese Erkenntnis brachte ihm Erleichterung.
Er hätte Fraser in der Schlacht begegnen und echtes, brutales Vergnügen dabei empfinden können, ihn zu töten oder zu verstümmeln. Doch es blieb eine unausweichliche Tatsache, dass er Fraser nur unter Verlust der eigenen Ehre etwas antun konnte, solange der Mann sein Gefangener war. Bis er sich rasiert und sein Bediensteter ihn angekleidet hatte, hatte er sich wieder so weit gefasst, dass er eine gewisse grimmige Ironie an der ganzen Sache fand.
Sein törichtes Verhalten in Carryarick hatte Fraser in Culloden das Leben gerettet. Nun, da diese Schuld eingelöst und Fraser in seiner Gewalt war, war er durch seine schiere Hilflosigkeit als Gefangener vollkommen sicher. Denn ob sie nun töricht waren oder klug, naiv oder erfahren, alle Greys waren Ehrenmänner.
Er fühlte sich ein wenig besser, als er sich dann im Spiegel in die Augen sah, seine Perücke gerade richtete und frühstücken ging, ehe er seine erste Ansprache an die Gefangenen richtete.
»Möchtet Ihr das Abendessen in Eurem Wohnraum serviert bekommen, Sir, oder hier?« Ungekämmt wie immer lugte MacKays Kopf zur Stube herein.
»Ähm?«, murmelte Grey in die Papiere vertieft, die auf dem Schreibtisch ausgebreitet lagen. »Oh«, sagte er und blickte auf. »Hier, bitte.« Er wies mit einer vagen Handbewegung auf die Ecke des gewaltigen Schreibtischs und machte sich wieder an die Arbeit. Auch als etwas später das Tablett mit seinem Essen kam, blickte er kaum auf.
Quarry hatte keine Witze gemacht, was die Bürokratie betraf. Allein die Massen an Proviant erforderten endlose Bestellungen – die bitte sehr in Kopie nach London zu übersenden waren! –, ganz zu schweigen von den Hunderten anderer Notwendigkeiten, die für die Gefangenen, die Wachen und die Männer und Frauen aus dem Dorf nötig waren, die täglich zum Reinigen der Quartiere oder als Küchenpersonal in die Festung kamen. Er hatte den ganzen Tag nichts anderes getan, als Bestellungen zu schreiben und zu unterzeichnen. Er musste bald einen Sekretär finden, sonst würde er an schierer Langeweile sterben.
Zweihundert Pfd Weizenmehl, schrieb er, für die Gefangenen. Sechs Fass Ale für die Besatzung. Seine normalerweise elegante Handschrift war schnell zu praktischem Gekrakel heruntergekommen, seine stilvolle Signatur war nur noch ein knappes J. Grey.
Mit einem Seufzer legte er sein Schreibgerät nieder und schloss die Augen, um sich den Schmerz zwischen den Augenbrauen fortzumassieren. Die Sonne hatte sich seit seiner Ankunft nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht, sich zu zeigen, und den ganzen Tag bei Kerzenlicht in einem verqualmten Raum zu arbeiten, verwandelte seine Augen in glühende Kohlen. Seine Bücher waren tags zuvor eingetroffen, doch er hatte sie noch nicht einmal ausgepackt, da er abends zu erschöpft gewesen war, um mehr zu tun, als seine schmerzenden Augen in kaltem Wasser zu baden und schlafen zu gehen.
Er hörte ein leises, verstohlenes Geräusch, riss die Augen auf und setzte sich kerzengerade hin. Eine große braune Ratte saß auf der Schreibtischkante, ein Stückchen Pflaumenkuchen zwischen den Vorderpfoten. Sie bewegte sich nicht, sondern betrachtete ihn nur nachdenklich, und ihre Schnurrhaare zuckten.