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»Da soll mich doch der Teufel holen!«, rief Grey voll Erstaunen aus. »Mistvieh! Das ist mein Abendessen!«

Die Ratte knabberte in aller Ruhe an dem Pflaumenkuchen, die leuchtenden Knopfaugen fest auf den Major geheftet.

»Verschwinde da!« Aufgebracht griff Grey nach dem nächstbesten Gegenstand und warf ihn nach der Ratte. Die Tintenflasche explodierte als schwarzer Sprühnebel auf dem Steinboden, und die erschrockene Ratte sprang vom Schreibtisch und flüchtete. Sie galoppierte zwischen den Beinen des noch erschrockeneren MacKay hindurch, der an der Tür erschien, um zu sehen, woher der Lärm kam.

»Hat das Gefängnis eine Katze?«, wollte Grey wissen und kippte den Inhalt seines Essenstabletts in den Abfalleimer vor dem Schreibtisch.

»Aye, Sir, es gibt Katzen in den Vorratskammern«, antwortete MacKay, der auf Händen und Knien rückwärtskroch, um die kleinen schwarzen Pfotenabdrücke aufzuwischen, die die Ratte infolge ihrer überstürzten Flucht durch die Tintenpfütze hinterlassen hatte.

»Nun, bringt bitte eine hierherauf, MacKay«, ordnete Grey an. »Sofort.« Er stöhnte bei der Erinnerung an diesen obszönen nackten Schwanz, der ganz unbekümmert auf seinem Teller drapiert lag. Natürlich hatte er im Feld schon oft mit Ratten zu tun gehabt, aber vor den eigenen Augen das Abendessen ruiniert zu bekommen, war etwas, das ihn ganz besonders in Rage brachte.

Er schritt zum Fenster, wo er stehen blieb und versuchte, den Kopf mit Hilfe frischer Luft freizubekommen, während MacKay zu Ende aufwischte. Die Abenddämmerung senkte sich über den Innenhof und füllte ihn mit violetten Schatten. Die Steine des Zellenflügels gegenüber sahen noch kälter und trostloser aus als sonst.

Die Wärter kamen jetzt durch den Regen aus dem Küchenflügel; eine Prozession kleiner Karren, die mit dem Essen der Gefangenen beladen waren; großen Töpfen mit dampfendem Hafermehl und Körben voller Brot, die zum Schutz vor dem Regen mit Tüchern bedeckt waren. Immerhin bekamen die armen Teufel nach ihrem nassen Tagewerk im Steinbruch etwas Warmes.

Als er sich vom Fenster abwandte, kam ihm ein Gedanke.

»Gibt es in den Zellen viele Ratten, MacKay?«

»Aye, Sir, sehr viele«, erwiderte der Gefangene und wischte ein letztes Mal über die Schwelle. »Ich sage dem Koch, er soll Euch ein frisches Tablett zubereiten, ja, Sir?«

»Bitte«, sagte Grey. »Und dann sorgt doch bitte dafür, MacKay, dass jede Zelle ihre eigene Katze bekommt.«

MacKays Miene war ein wenig skeptisch. Grey, der gerade seine Papiere wieder ordnete, hielt inne.

»Stimmt etwas nicht, MacKay?«

»Nein, Sir«, erwiderte MacKay langsam. »Es ist nur so, dass die braunen Biester das Ungeziefer in Schach halten. Und bei allem Respekt, Sir, ich glaube nicht, dass die Männer es gern sähen, wenn ihnen eine Katze die ganzen Ratten wegfrisst.«

Grey starrte den Mann an, und ihm wurde ein wenig mulmig.

»Die Gefangenen essen die Ratten?«, fragte er und sah dabei noch einmal die scharfen gelben Zähne vor sich, die an seinem Pflaumenkuchen knabberten.

»Nur, wenn sie das Glück haben, eine zu fangen, Sir«, sagte MacKay. »Vielleicht wären ihnen die Katzen dabei doch eine Hilfe. Ist das für heute alles, Sir?«

Kapitel 9

Der Wanderer

Greys Entschlossenheit im Hinblick auf James Fraser hielt genau zwei Wochen an. Dann kam aus der Ortschaft Ardsmuir der Mann mit der Nachricht, die alles veränderte.

»Lebt er noch?«, fragte er den Mann scharf. Der Überbringer, ein Bewohner des Dorfes, der für das Gefängnis arbeitete, nickte.

»Ich habe ihn selbst gesehen, Sir, als er ins Dorf gebracht wurde. Er ist jetzt im Lime Tree, und man kümmert sich um ihn – aber er sah nicht so aus, als würde es reichen, sich um ihn zu kümmern, Sir, falls Ihr versteht.« Der Mann zog vielsagend die Augenbraue hoch.

»Ich verstehe«, antwortete Grey knapp. »Danke, Mr. –«

»Allison, Sir. Rufus Allison. Euer Diener, Sir.« Der Mann nahm den angebotenen Shilling entgegen, verbeugte sich mit dem Hut unter dem Arm und ging.

Grey saß an seinem Schreibtisch und starrte auf den bleiernen Himmel hinaus. Seit seiner Ankunft hatte es kaum einen Tag mit Sonnenschein gegeben. Er tippte mit dem Federkiel, den er zum Schreiben benutzt hatte, auf den Tisch, ohne den Schaden zu beachten, den er der Spitze zufügte.

Wenn von Gold die Rede war, spitzte jeder Mensch die Ohren, ganz besonders jedoch er.

Heute Morgen war ein Mann gefunden worden, der in der Nähe des Dorfs im Nebel durch das Moor wanderte. Seine Kleider waren nicht nur nebelfeucht, sondern mit Meerwasser getränkt, und er war von Sinnen vom Fieber.

Er hatte ohne Unterlass geredet, seit man ihn gefunden hatte, doch seine Worte waren zum Großteil wirr, und seine Retter konnten sich keinen Reim auf das meiste machen, was er im Wahn von sich gab. Der Mann schien Schotte zu sein, doch er sprach eine zusammenhanglose Mischung aus Französisch und Gälisch, die hier und dort mit einzelnen englischen Wörtern durchsetzt war. Und eines dieser Wörter war »Gold« gewesen.

Ein Schotte, der Französisch sprach und von Gold redete, diese Kombination konnte in diesem Teil des Landes bei jedem, der während der letzten Tage des Jakobitenaufstands gekämpft hatte, nur einen Gedanken wecken. Das Gold des Franzosen. Das Vermögen in Goldbarren, das Louis von Frankreich – Gerüchten zufolge – insgeheim nach Schottland geschickt hatte, um seinem Vetter Charles Stuart zu helfen. Das er viel zu spät geschickt hatte.

Manche der Geschichten besagten, das Gold sei von der Highlandarmee während ihres letzten, hastigen Rückzugs nach Norden versteckt worden, vor der endgültigen Katastrophe von Culloden. Andere behaupteten, das Gold habe Charles Stuart nie erreicht, sondern es sei an einem sicheren Ort in einer Höhle versteckt worden, in der Nähe seines Landungsortes an der Nordwestküste.

Manche sagten, das Geheimnis des Verstecks sei verlorengegangen, weil sein Hüter in Culloden ums Leben kam. Andere sagten, das Versteck sei noch bekannt, doch es sei ein streng gehütetes Geheimnis, das von den Mitgliedern einer bestimmten Highlandfamilie bewahrt würde. Was auch immer die Wahrheit war, man hatte das Gold nie gefunden. Bis jetzt.

Französisch und Gälisch. Grey sprach passabel Französisch, das Ergebnis jahrelanger Feldzüge in der Fremde, doch weder er noch seine Offiziere sprachen das barbarische Gälisch, abgesehen von ein paar Worten, die Sergeant Grissom als Junge von einem schottischen Kindermädchen gelernt hatte.

Im Dorf konnte er niemandem vertrauen; nicht, wenn etwas Wahres an dieser Geschichte war. Das Gold des Franzosen! Abgesehen von seinem Geldwert – der ohnehin der Krone gehören würde –, war das Gold von beträchtlichem persönlichem Wert für John William Grey. Diesen halb mythischen Schatz zu finden, würde sein Passierschein aus Ardsmuir sein – zurück nach London und in die Zivilisation. Der Abgrund der Ungnade würde augenblicklich im Glanz des Goldes verschwinden.

Er biss auf das Ende des jetzt stumpfen Federkiels und spürte, wie der Schaft zwischen seinen Zähnen zerbrach.

Verdammt. Nein, es konnte weder ein Dorfbewohner noch einer seiner Offiziere sein. Also ein Gefangener. Ja, einen Gefangenen konnte er ohne Risiko benutzen, denn ein Gefangener würde das, was er erfuhr, nicht für seine eigenen Zwecke benutzen können.

Und noch einmal verdammt. Alle Gefangenen sprachen Gälisch, die meisten außerdem etwas Englisch – doch nur einer sprach zusätzlich Französisch. Er ist ein gebildeter Mensch, hallten Quarrys Worte in seinem Gedächtnis wider.

»Verdammt, verdammt, verdammt!«, murmelte Grey. Es führte kein Weg daran vorbei. Allison hatte gesagt, der Wanderer sei sehr krank; es blieb keine Zeit, sich nach Alternativen umzusehen. Er spuckte ein Stückchen Federkiel aus.