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»Aufwachen, verdammt!« Sein Kopf schlackerte, als ihn Melton ungeduldig schüttelte. »Hört mir zu!«

Jamie öffnete erschöpft die Augen. »Aye?«

»John William Grey ist mein Bruder«, sagte Melton. »Er hat mir von seiner Begegnung mit Euch erzählt. Ihr habt ihm das Leben geschenkt, und er hat Euch ein Versprechen gegeben – ist das wahr?«

Mit großer Mühe ließ er seine Gedanken in die Vergangenheit wandern. Er war dem Jungen zwei Tage vor der ersten Schlacht der Rebellion begegnet, dem schottischen Sieg in Prestonpans. Die sieben Monate, die seitdem vergangen waren, erschienen ihm wie eine gewaltige Kluft; so viel war seitdem geschehen.

»Aye, ich erinnere mich. Er hat mir versprochen, mich umzubringen. Aber ich habe nichts dagegen, wenn Ihr es für ihn tut.« Seine Augenlider wurden wieder schwer. Musste er wach sein, um erschossen zu werden?

»Er sagt, er steht in Eurer Ehrenschuld, und er hat recht.« Melton erhob sich, strich sich den Staub von den Knien seiner Hose und wandte sich dem Leutnant zu, der dieses Verhör mit wachsender Verwunderung beobachtet hatte.

»Es ist eine vertrackte Situation, Wallace. Dieser … dieser jakobitische Schuft ist eine Berühmtheit. Ihr habt doch vom Roten Jamie gehört? Der auf den Flugblättern abgebildet ist?« Der Leutnant nickte und senkte den Blick neugierig auf die heruntergekommene Gestalt im Staub zu seinen Füßen. Melton lächelte bitter.

»Nein, jetzt sieht er nicht mehr so gefährlich aus, nicht wahr? Aber er ist immer noch der Rote Jamie Fraser, und Seine Durchlaucht wäre mehr als erfreut, von einem solch illustren Gefangenen zu hören. Zwar wurde Charles Stuart noch nicht gefunden, aber ein paar berühmte Jakobiten würden die Menge am Tower Hill beinahe genauso begeistern.«

»Soll ich Seiner Durchlaucht eine Nachricht übersenden?« Der Leutnant griff nach seinem Depeschenbehälter.

»Nein!« Melton fuhr herum und funkelte seinen Gefangenen an. »Das ist ja das Problem! Dieser Dreckskerl ist nicht nur erstklassiges Futter für den Galgen, sondern auch der Mann, der meinen jüngsten Bruder in der Nähe von Preston gefangen genommen hat, und statt den Rotzlümmel zu erschießen, wie er es verdient gehabt hätte, hat er ihn verschont und ihn zu seinen Kameraden zurückkehren lassen. Womit er«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, »meiner Familie eine verdammte Ehrenschuld auferlegt hat!«

»Grundgütiger«, sagte der Leutnant. »Also könnt Ihr ihn Seiner Durchlaucht gar nicht übergeben.«

»Nein, verdammt! Ich kann den Mistkerl nicht einmal erschießen, ohne den Eid meines Bruders zu verletzen!«

Der Gefangene öffnete ein Auge. »Ich werde es niemandem verraten, wenn Ihr es auch nicht tut«, sagte er, um es dann prompt wieder zu schließen.

»Maul halten!« Melton verlor die Beherrschung und trat nach dem Gefangenen, der zwar aufstöhnte, aber nichts mehr sagte.

»Vielleicht könnten wir ihn unter falschem Namen erschießen«, schlug der Leutnant hilfsbereit vor.

Lord Melton warf seinem Adjutanten einen vernichtenden Blick zu, dann hielt er aus dem Fenster nach dem Sonnenstand Ausschau.

»In drei Stunden ist es dunkel. Ich beaufsichtige das Begräbnis der anderen exekutierten Gefangenen. Sucht einen kleinen Wagen und lasst ihn mit Heu füllen. Sucht einen Kutscher – jemand, der diskret ist, Wallace, das bedeutet käuflich, Wallace. Er soll sich hier einfinden, sobald es dunkel ist.«

»Ja, Sir. Äh, Sir? Was ist mit dem Gefangenen?« Der Leutnant wies zögernd auf den Mann am Boden.

»Was soll mit ihm sein?«, sagte Melton schroff. »Er ist zu schwach zum Kriechen, von Laufen ganz zu schweigen. Er wird sich nicht davonmachen – zumindest nicht, bis der Wagen hier ist.«

»Wagen?« Der Gefangene erwachte jetzt zum Leben. Er war sogar so erregt, dass es ihm gelungen war, sich auf einen Arm aufzustützen. Blutunterlaufene blaue Augen glänzten groß und alarmiert unter Stacheln aus verklebtem rotem Haar hervor. »Wohin schickt Ihr mich denn?« Melton wandte sich an der Tür um und warf ihm einen durchdringenden Blick der Abneigung zu.

»Ihr seid doch der Herr von Broch Tuarach, oder? Nun, dort schicke ich Euch hin.«

»Ich will aber nicht nach Hause! Ich will erschossen werden!«

Die Engländer wechselten einen Blick.

»Von Sinnen«, sagte der Leutnant mit vielsagender Miene, und Melton nickte.

»Ich glaube zwar nicht, dass er die Fahrt überleben wird – doch zumindest werde ich seinen Tod nicht auf dem Gewissen haben.«

Die Tür schloss sich fest hinter den Engländern, und Jamie Fraser blieb allein zurück – und nach wie vor lebendig.

Kapitel 2

Die Jagd beginnt

Inverness, 2. Mai 1968

Natürlich ist er tot!« Claires Ton war vor Erregung scharf; ihre Stimme scholl laut durch das halbleere Studierzimmer und hallte von den geplünderten Bücherregalen wider. Sie stand vor der Korkwand wie ein Gefangener, der auf das Exekutionskommando wartet, und ließ den Blick von ihrer Tochter zu Roger Wakefield schweifen und zurück.

»Nein, ich glaube nicht.« Roger fühlte sich furchtbar müde. Er rieb sich das Gesicht, dann nahm er den Aktenordner vom Tisch, der alles enthielt, was er recherchiert hatte, seit Claire und ihre Tochter ihn vor drei Wochen das erste Mal besucht und ihn um Hilfe gebeten hatten.

Er öffnete den Ordner und blätterte ihn langsam durch. Die Jakobiten von Culloden. Der Aufstand von ’45. Die tapferen Schotten, die sich unter Bonnie Prince Charlies Banner gesammelt hatten und wie ein flammendes Schwert durch Schottland gefahren waren – nur um auf dem grauen Moor von Culloden gegen den Herzog von Cumberland vernichtend geschlagen zu werden.

»Hier«, sagte er und zog mehrere zusammengeheftete Blätter heraus. Im schwarz-weißen Kontrast einer Fotokopie sah die alte Handschrift seltsam aus. »Das ist die Musterrolle des jungen Lovat.«

Er hielt Claire die Bögen hin, doch es war ihre Tochter Brianna, die sie ihm abnahm und sie durchzublättern begann, ein kleines Stirnrunzeln zwischen den roten Augenbrauen.

»Lies das obere Blatt«, sagte Roger. »Da, wo ›Offiziere‹ steht.«

»Gut. ›Offiziere‹«, las sie vor, »›Simon, der junge Lovat‹ …«

»Der Junge Fuchs«, unterbrach Roger. »Lovats Sohn. Und fünf weitere Namen, nicht wahr?«

Brianna sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, las aber weiter. »›William Chisholm Fraser, Leutnant; George D’Amerd Fraser Shaw, Hauptmann; Duncan Joseph Fraser, Leutnant; Bayard Murray Fraser, Major‹«, sie hielt inne und schluckte, ehe sie den letzten Namen las, »›… James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser. Hauptmann.‹« Sie ließ die Papiere sinken und wurde ein wenig blass. »Mein Vater.«

Claire war mit einer raschen Bewegung an der Seite ihrer Tochter und drückte der jungen Frau den Arm. Auch sie war blass.

»Ja«, sagte sie zu Roger. »Ich weiß, dass er nach Culloden gegangen ist. Als er mich dort zurückgelassen hat … in dem Steinkreis … hatte er vor, zum Feld von Culloden zurückzukehren, um seine Männer zu retten, die bei Charles Stuart waren. Und wir wissen, dass er das getan hat«, sie wies kopfnickend auf die Mappe auf dem Schreibtisch, deren Oberfläche blank und unschuldig im Lampenschein lag, »du hast ja ihre Namen gefunden. Aber … aber … Jamie …« Den Namen laut auszusprechen, schien sie zu erschüttern, und sie presste die Lippen zusammen.

Jetzt war es an Brianna, ihre Mutter zu stützen.

»Er hatte vor zurückzukehren, hast du gesagt.« Ihre dunkelblauen Augen konzentrierten sich ermutigend auf das Gesicht ihrer Mutter. »Er hatte vor, seine Männer vom Feld fortzubringen und dann in die Schlacht zurückzukehren.«

Claire nickte und fasste sich wieder ein wenig.