Grey konnte die Männer hinter sich spüren, Soldaten wie Gefangene, alle Augen fest auf die Plattform und ihre zentrale Gestalt geheftet. Selbst das Husten verstummte.
Und über allem haftete wie ein klebriger Firnis, der Greys Gefühle versiegelte, eine dünne Schicht aus Selbsthass, weil er begriff, dass seine Augen nicht deshalb auf die Szene geheftet waren, weil es seine Pflicht war, sondern aus schierer Unfähigkeit, den Blick abzuwenden von der glänzenden Schicht aus Regen und Blut auf den Muskeln, die der Schmerz zu erschütternder Schönheit verzerrte.
Zwischen den Hieben hielt der Sergeant kaum inne. Er ließ ein wenig Eile walten; alle wollten es hinter sich bringen, um ins Trockene zu kommen. Grissom zählte jeden Hieb mit lauter Stimme und notierte ihn dabei auf seinem Blatt. Der Sergeant überprüfte die Peitsche und ließ sich die Riemen mit den hart gewachsten Knoten zwischen den Fingern hindurchgleiten, um sie von Blut und Hautfetzen zu befreien, dann hob er die Katze erneut, ließ sie sich langsam zweimal um den Kopf schwingen und schlug wieder zu. »Dreißig!«, sagte der Sergeant.
Major Grey zog die untere Schublade seines Schreibtischs heraus und übergab sich säuberlich auf einen Stapel Orderpapiere.
Seine Finger hatten sich fest in seine Handflächen gebohrt, doch das Zittern hörte einfach nicht auf. Es saß ihm tief in den Knochen wie die Winterkälte.
»Legt eine Decke über ihn; ich bin gleich für ihn da.«
Die Stimme des englischen Stabsarztes schien von weit her zu kommen; er spürte keine Verbindung zwischen der Stimme und den Händen, die ihn fest an beiden Armen packten. Er schrie auf, als sie ihn anders lagerten, denn der Zug ließ die kaum verkrusteten Wunden auf seinem Rücken aufplatzen. Das warme Blut, das ihm über die Rippen rann, verschlimmerte das Zittern noch, trotz der groben Decke, die sie ihm über die Schultern legten.
Er packte die Kanten der Bank, auf der er lag, die Wange fest auf das Holz gepresst, die Augen fest geschlossen, und kämpfte gegen das Zittern an. Irgendwo im Zimmer bewegte sich jemand, doch er konnte sich nicht darauf konzentrieren, konnte die Aufmerksamkeit nicht von seinen zusammengebissenen Zähnen und seinen verkrampften Gliedern abwenden.
Die Tür schloss sich, und es wurde still im Zimmer. Hatten sie ihn allein gelassen?
Nein, da waren Schritte neben seinem Kopf, und die Decke hob sich und wurde bis zu seiner Taille zurückgeschlagen.
»Mm. Er hat dich übel zugerichtet, was, Junge?«
Er antwortete nicht; man schien auch keine Antwort zu erwarten. Der Arzt wendete sich einen Moment ab, dann spürte er eine Hand unter seiner Wange, die seinen Kopf hob. Ein Handtuch glitt ihm unter das Gesicht, ein Polster auf dem groben Holz.
»Ich säubere jetzt die Wunden«, sagte die Stimme. Sie klang unpersönlich, aber nicht unfreundlich.
Er atmete durch die Zähne ein, als eine Hand seinen Rücken berührte. Er hörte ein seltsames Wimmern. Er begriff, dass er es selbst ausgestoßen hatte, und schämte sich.
»Wie alt bist du, Junge?«
»Neunzehn.« Kaum hatte er das Wort herausgebracht, als ihm auch schon ein Stöhnen entfuhr.
Sanft berührte der Arzt hier und dort seinen Rücken, dann stand er auf. Er hörte, wie der Riegel zugeschoben wurde, dann kehrten die Schritte des Arztes zurück.
»Jetzt kommt niemand herein«, sagte die Stimme freundlich. »Jetzt kannst du weinen.«
»He da!«, sagte die Stimme. »Wach auf, Mann!«
Langsam kam er zu Bewusstsein; das rauhe Holz unter seiner Wange ließ Traum und Wachsein einen Moment lang verschwimmen, und er konnte sich nicht erinnern, wo er war. Eine Hand kam aus der Dunkelheit und berührte ihn zögernd an der Wange.
»Du hast im Schlaf gestöhnt, Mann«, flüsterte die Stimme. »Tut es sehr weh?«
»Ein bisschen.« Er erkannte die andere Verbindung zwischen Traum und Wachsein, als er versuchte, sich zu erheben, und ihm der Schmerz über den Rücken zuckte wie Wetterleuchten. Er atmete mit einem unwillkürlichen Grunzlaut aus und ließ sich wieder auf die Bank sinken.
Er hatte Glück gehabt; das Schicksal hatte ihm Dawes zugeteilt, einen kräftigen Soldaten in den mittleren Jahren, der keine große Freude daran hatte, Gefangene auszupeitschen, und es nur tat, weil es zu seinen Dienstpflichten gehörte. Dennoch, sechzig Hiebe hinterließen ihre Spuren, auch wenn keine Begeisterung dahintersteckte.
»Nein, das ist doch viel zu heiß. Willst du ihn etwa verbrühen?« Es war Morrisons Stimme, die da schimpfte. Natürlich war es Morrison.
Seltsam, dachte er dumpf. Wie in einer Gruppe von Männern stets jeder seine Aufgabe zu finden schien, ganz gleich, ob es etwas war, was sie zuvor schon getan hatten. Morrison war Pachtbauer gewesen wie die meisten von ihnen. Hatte vermutlich ein gutes Händchen für sein Vieh gehabt, ohne weiter darüber nachzudenken. Jetzt war er wie selbstverständlich der Heiler für die Männer, derjenige, an den sie sich wandten, wenn sie Bauchschmerzen hatten oder einen gebrochenen Daumen. Morrison wusste zwar kaum mehr als der Rest, aber die Männer wandten sich an ihn, wenn sie Schmerzen hatten, so wie sie sich an Seumus Mac Dubh wandten, wenn sie Trost oder Rat brauchten. Und einen Schiedsmann.
Das dampfende Tuch wurde ihm auf den Rücken gelegt, und er ächzte vor Schmerzen und presste die Lippen zusammen, um nicht aufzuschreien. Er konnte den Umriss von Morrisons kleiner Hand spüren, die sacht in der Mitte seines Rückens lag.
»Durchhalten, Mann, bis die Hitze nachlässt.«
Er blinzelte, während der Alptraum nun verblasste, und gewöhnte sich wieder an die Stimmen und die Gesellschaft. Er lag in der großen Zelle, in der dunklen Nische hinter dem Kamin. Vom Feuer stieg Dampf auf; es musste ein Kessel darauf kochen. Er sah, wie Walter MacLeod einen Armvoll frischer Tücher hineinsenkte und wie das Feuer MacLeods dunklen Bart und seine Brauen in Rot tauchte. Dann, als die erhitzten Tücher auf seinem Rücken allmählich eine angenehme Wärme annahmen, schloss er die Augen und sank wieder in den Halbschlaf, eingelullt durch die leisen Gespräche der Männer ringsum.
Er war nichts Neues, dieser Zustand halber Abwesenheit, den er schon seit dem Moment empfand, als er über Angus’ Schulter hinweggegriffen und die Faust um das Stückchen Tartanstoff geschlossen hatte. Als hätte sich mit diesem Entschluss ein Vorhang zwischen ihn und die Männer gesenkt; als wäre er allein an einem unendlich abgelegenen Ort.
Er war dem Wärter gefolgt, der ihn ergriff, hatte sich entkleidet, als man es ihm sagte, all das jedoch, ohne das Gefühl zu haben, tatsächlich wach zu sein. Hatte seinen Platz auf der Plattform eingenommen und die Worte der Klage und der Strafe angehört, ohne wirklich zuzuhören. Nicht einmal das Scheuern des Stricks an seinen Handgelenken oder der kalte Regen auf seinem nackten Rücken hatten ihn wachgerüttelt. All dies schienen Dinge zu sein, die bereits geschehen waren; nichts, was er sagte oder tat, konnte irgendetwas ändern; es war alles vorausbestimmt.
Was die Bestrafung betraf, so hatte er sie über sich ergehen lassen. In diesem Moment war kein Platz gewesen für Gedanken oder Bedauern oder irgendetwas anderes außer dem hartnäckigen, verzweifelten Kampf gegen eine solche körperliche Kränkung.
»Ruhig jetzt, ruhig.« Morrisons Hand lag in seinem Nacken, um zu verhindern, dass er sich bewegte, als die nassen Tücher entfernt und ein frischer heißer Umschlag aufgelegt wurde, so dass all seine schlafenden Nerven erneut aufschraken.
Eine Folge seines seltsamen Geisteszustands war es, dass alle Empfindungen dieselbe Intensität zu haben schienen. Wenn er es versuchte, konnte er jede einzelne Strieme auf seinem Rücken spüren, sie als leuchtend bunten Streifen in der Dunkelheit seiner Fantasie sehen. Doch der Schmerz der aufgeplatzten Wunde, die sich von seinen Rippen bis zur Schulter zog, bedeutete ihm nicht mehr und nicht weniger als das beinahe angenehme Gefühl der Schwere in seinen Beinen, die Überanstrengung in seinen Armen oder das sanfte Kitzeln der Haare auf seinen Wangen.