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Im ersten Moment antwortete Roger nicht. Dann wandte er sich halb um, so dass nur die kräftigen, scharfen Konturen seines Profils zu sehen waren. Sein Blick war nicht auf mich gerichtet, sondern auf den Stapel mit Franks Büchern, auf Frank, dessen Foto auf der Rückseite des Umschlags für die Nachwelt lächelte, schlank, dunkel und attraktiv.

»Hat er dir geglaubt?«, fragte Roger leise.

Meine Lippen klebten von der Limonade, und ich leckte sie mir, ehe ich antwortete.

»Nein«, sagte ich. »Anfangs nicht. Er dachte, ich bin verrückt; hat mich sogar von einem Psychologen begutachten lassen.« Ich lachte kurz, doch bei der Erinnerung an meine Wut ballte ich die Fäuste.

»Später also?« Roger wandte sich mir ganz zu. Die Röte auf seiner Haut war verblasst, nur der Hauch von Neugier in seinen Augen war geblieben. »Was hat er dann gedacht?«

Ich holte tief Luft und schloss die Augen. »Ich weiß es nicht.«

Das kleine Krankenhaus in Inverness roch ungewohnt nach Karbolsäure und Wäschestärke.

Ich konnte nicht denken und versuchte, nicht zu fühlen. Die Rückkehr war viel schrecklicher, als es meine Reise in die Vergangenheit gewesen war, denn dort hatte mich eine schützende Schicht aus Zweifel und Unglauben in Bezug auf meine Umgebung und die Ereignisse umgeben, und ich hatte in der ständigen Hoffnung auf Entrinnen gelebt. Jetzt wusste ich nur zu gut, wo ich war, und ich wusste, dass es kein Entrinnen gab. Jamie war tot.

Die Ärzte und Schwestern waren um eine freundliche Ansprache bemüht und boten mir Essen und Trinken an, doch in meinem Inneren gab es keinen Raum für etwas anderes als Schmerz und Grauen. Ich hatte ihnen meinen Namen gesagt, als sie mich fragten, doch ansonsten sprach ich nicht.

Ich lag in dem sauberen weißen Bett, die Finger über meinem verletzlichen Bauch fest ineinandergekrallt, und hielt die Augen geschlossen. Wieder und wieder dachte ich an die letzten Bilder, die ich gesehen hatte, ehe ich die Steine durchschritt – das verregnete Moor und Jamies Gesicht –, denn ich wusste, dass sie verblassen würden, wenn ich den Blick zu lange auf meine neue Umgebung richtete, verdrängt durch Alltägliches wie die Schwestern oder die Blumenvase an meinem Bett. Verstohlen drückte ich den einen Daumen gegen die Wurzel des anderen und fand obskuren Trost in der kleinen Verletzung an dieser Stelle, einem kleinen Schnitt in Form des Buchstaben J. Jamie hatte ihn mir zugefügt, weil ich es verlangt hatte – seine letzte Berührung auf meiner Haut.

Ich muss einige Zeit so verbracht haben; manchmal schlief ich und träumte von den letzten Tagen des Jakobitenaufstands – wieder sah ich den Toten im Wald, der unter einer Decke aus leuchtend blauen Pilzen schlief, und Dougal MacKenzie, der auf dem Fußboden einer Dachkammer im Culloden House starb; die zerlumpten Männer der Highlandarmee, die in schlammigen Gräben schliefen; ihr letzter Schlaf vor dem Gemetzel.

Ich erwachte schreiend oder stöhnend, umgeben von Desinfektionsmittelgeruch und tröstenden Worten, unverständlich im Echo der gälischen Rufe in meinen Träumen, und schlief wieder ein, den Schmerz in meiner Handfläche fest umklammert.

Und dann schlug ich die Augen auf, und Frank war da. Er stand in der Tür, strich sich mit einer Hand das dunkle Haar zurück, und blickte unsicher drein – kein Wunder, der Arme.

Ich lag in den Kissen und beobachtete ihn nur, ohne zu sprechen. Er hatte das Aussehen seiner Vorfahren, Jack und Alex Randall; feine, klare, aristokratische Züge und einen wohlgeformten Kopf unter dem glatten dunklen Haar. Nichts an ihm zeugte von Angst oder Gewissenlosigkeit; er besaß weder Alex’ Spiritualität noch Jacks eisige Arroganz. Sein hageres Gesicht sah intelligent, gütig und ein wenig müde aus, unrasiert und mit dunklen Rändern unter den Augen. Ich wusste ohne Worte, dass er die ganze Nacht durchgefahren war, um hierherzukommen.

»Claire?« Er kam zum Bett herüber und sprach zögernd, als sei er sich nicht sicher, ob ich tatsächlich Claire war.

Ich war mir selbst nicht sicher, doch ich nickte und sagte: »Hallo, Frank.« Meine Stimme war kratzig und rauh, so ungewohnt war das Sprechen.

Er nahm eine meiner Hände, und ich überließ sie ihm.

»Fehlt … dir etwas?«, sagte er nach einer Minute. Seine Stirn war leicht gerunzelt, als er mich ansah.

»Ich bin schwanger.« Das schien meinem verwirrten Verstand das Wichtigste zu sein. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich zu Frank sagen würde, wenn ich ihn je wiedersah, doch in dem Moment, als ich ihn in der Tür stehen sah, hatte ich Klarheit. Ich würde ihm sagen, dass ich schwanger war, er würde gehen, und ich würde allein sein mit meinem letzten Bild von Jamies Gesicht und seiner brennenden Berührung in meiner Hand.

Sein Gesicht spannte sich ein wenig an, doch er ließ meine andere Hand nicht los. »Ich weiß. Sie haben es mir gesagt.« Er atmete tief ein und wieder aus. »Claire – kannst du mir sagen, was dir zugestoßen ist?«

Im ersten Moment fühlte ich mich völlig leer, dann zuckte ich mit den Schultern.

»Ich denke schon«, sagte ich. Kraftlos nahm ich meine Gedanken zusammen; ich wollte nicht darüber sprechen, doch ich empfand eine Verpflichtung gegenüber diesem Mann. Keine Schuld, noch nicht; aber auf jeden Fall Verpflichtung. Ich war mit ihm verheiratet gewesen.

»Nun ja«, sagte ich, »ich habe mich in einen anderen verliebt, und ich habe ihn geheiratet. Es tut mir leid«, fügte ich als Reaktion auf den schockierten Blick hinzu, der sich über sein Gesicht breitete, »ich konnte nicht anders.«

Das hatte er nicht erwartet. Sein Mund öffnete und schloss sich eine Weile, und er packte meine Hand so fest, dass ich zusammenfuhr und sie ihm entriss.

»Was meinst du damit?«, sagte er scharf. »Wo bist du gewesen, Claire?« Er erhob sich plötzlich und stand finster über dem Bett.

»Erinnerst du dich noch, dass ich vorhatte, zu dem Steinkreis auf dem Craigh na Dun zu gehen, als ich dich das letzte Mal gesehen habe?«

»Ja?« Er starrte mit einer Miene irgendwo zwischen Wut und Argwohn auf mich hinunter.

»Nun ja«, ich leckte mir die Lippen, die völlig trocken geworden waren, »es ist so, dass ich durch einen gespaltenen Stein in diesem Kreis geschritten bin und im Jahr 1743 rausgekommen bin.«

»Mach keine Witze, Claire!«

»Du glaubst, ich mache einen Witz?« Der Gedanke war so absurd, dass ich tatsächlich anfing zu lachen, obwohl mir nichts so fernlag wie echter Humor.

»Hör auf damit!«

Ich hörte auf zu lachen. Wie von Zauberhand erschienen zwei Schwestern in der Tür; sie mussten sich im Flur aufgehalten haben. Frank beugte sich über mich und packte meinen Arm.

»Hör mir zu«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Du wirst mir jetzt sagen, wo du gewesen bist und was du getan hast!«

»Ich erzähle es dir doch! Lass los!« Ich setzte mich im Bett auf und entriss ihm meinen Arm. »Ich habe es dir gesagt; ich bin durch einen Stein gegangen und vor zweihundert Jahren herausgekommen. Und ich bin dort deinem verdammten Vorfahren Jack Randall begegnet!«

Frank blinzelte völlig verblüfft. »Wem?«

»Black Jack Randall, und was für ein dreckiger Perverser er war!«

Frank hing der Mund auf, genau wie den Schwestern. Hinter ihnen konnte ich Schritte durch den Korridor kommen hören und hastende Stimmen.

»Ich musste Jamie Fraser heiraten, um Jack Randall zu entkommen, aber dann … Jamie … ich konnte nicht anders, Frank, ich habe ihn geliebt, und ich wäre bei ihm geblieben, wenn ich es gekonnt hätte, aber er hat mich zurückgeschickt, wegen Culloden und dem Baby und …« Ich brach ab, weil sich ein Mann in Arztkleidung an den Schwestern in der Tür vorbeidrängte.

»Frank«, sagte ich müde, »es tut mir leid. Ich hatte das nicht vor, und ich habe alles getan, um zurückzukehren – wirklich –, aber ich konnte es nicht. Und jetzt ist es zu spät.«

Ungebeten begannen mir die Tränen in die Augen zu steigen und über die Wangen zu laufen. Zum Großteil Tränen um Jamie und um mich und das Kind, das ich trug, doch auch um Frank. Ich zog die Nase hoch und schluckte, um sie zu unterdrücken, und schob mich ganz zum Sitzen hoch.