»Hör zu«, sagte ich, »ich weiß, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, und ich werfe dir das nicht vor. Nur … geh einfach, ja?«
Sein Gesicht hatte sich verändert. Er sah jetzt nicht mehr wütend aus, sondern bestürzt und ein wenig verwundert. Er setzte sich an das Bett, ohne den Arzt zu beachten, der inzwischen hereingekommen war und nach meinem Puls tastete.
»Ich gehe nirgendwohin«, sagte er ganz sanft. Wieder ergriff er meine Hand, obwohl ich versuchte, sie fortzuziehen. »Dieser … Jamie. Wer war er?«
Ich holte tief und krampfhaft Luft. Der Arzt hielt meine andere Hand fest und versuchte immer noch, meinen Puls zu fühlen, und ich empfand ein absurdes Gefühl der Panik, als hielten sie mich zwischen sich gefangen. Doch ich kämpfte das Gefühl nieder und bemühte mich, ruhig zu sprechen.
»James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser«, sagte ich und betonte die Wörter förmlich, so wie Jamie sie gesprochen hatte, als er mir zum ersten Mal seinen vollen Namen sagte – am Tag unserer Hochzeit. Der Gedanke ließ eine weitere Träne überquellen, und ich tupfte sie an meiner Schulter ab, da meine Hände ja festgehalten wurden.
»Er war Highlander. Er ist in Culloden umgek-kommen.« Es war zwecklos, ich weinte wieder. Die Tränen brachten zwar keine Linderung für die Qual, die mich zerriss, doch sie waren die einzige Reaktion, die ich dem unerträglichen Schmerz entgegensetzen konnte. Ich beugte mich ein wenig vor, um ihn einzukapseln, mich um das winzige, unmerkliche Leben in meinem Bauch zu schmiegen, das Einzige, was mir von Jamie Fraser geblieben war.
Frank und der Arzt wechselten einen Blick, den ich nur halb wahrnahm. Natürlich, für sie war Culloden Teil der fernen Vergangenheit. Für mich war es erst zwei Tage her.
»Vielleicht sollten wir Mrs. Randall ausruhen lassen«, schlug der Arzt vor. »Sie scheint gerade ein wenig aus der Fassung zu sein.«
Frank blickte unsicher von dem Arzt zu mir. »Nun, das scheint sie auf jeden Fall zu sein. Aber ich möchte wirklich gern herausfinden … was ist das, Claire?« Während er über meine Hand strich, war er auf den Silberring an meinem Ringfinger gestoßen und beugte sich jetzt darüber, um ihn näher zu betrachten. Es war der Ring, den mir Jamie zur Hochzeit geschenkt hatte; ein breites Silberband mit einem keltischen Flechtmuster, in dessen Verbindungsstellen kleine stilisierte Distelblüten eingraviert waren.
»Nein!«, rief ich panisch aus, als Frank versuchte, ihn mir vom Finger zu drehen. Ich riss meine Hand fort und wiegte sie zur Faust geballt an meiner Brust, umfasst von der linken Hand, die nach wie vor Franks goldenen Ehering trug. »Nein, du darfst ihn nicht nehmen, das lasse ich nicht zu! Das ist mein Ehering!«
»Nun hör doch, Claire …« Franks Worte wurden durch den Arzt unterbrochen, der zu Franks Seite des Bettes hinübergegangen war und sich jetzt niederbeugte, um ihm ins Ohr zu murmeln. Ich fing ein paar Worte auf – »… Ihre Frau jetzt nicht bedrängen. Der Schock …« –, und dann war Frank wieder auf den Beinen, fortgeschoben von dem Arzt, der im Vorübergehen einer der Schwestern zunickte.
Ich spürte den Stich der Nadel kaum, denn wieder schlug der Schmerz in einer Woge über mir zusammen und ließ mich die Umwelt vergessen. Dumpf hörte ich Franks Abschiedsworte: »Also schön – aber, Claire, ich werde es herausbekommen!« Und dann senkte sich selige Dunkelheit über mich, und ich schlief sehr, sehr lange und traumlos.
Roger neigte die Karaffe und brachte den Pegel der Flüssigkeit im Glas auf halbe Höhe. Er reichte es Claire mit einem halben Lächeln.
»Fionas Oma hat immer gesagt, Whisky hilft, wenn’s dich zwickt.«
»Ich habe schon schlimmere Arzneien gesehen.« Claire nahm das Glas und gab ihm dafür ihrerseits ein halbes Lächeln zurück.
Roger schenkte sich ebenfalls Whisky ein, dann setzte er sich neben sie und nippte wortlos daran.
»Ich habe immerhin versucht, ihn fortzuschicken«, sagte sie plötzlich und ließ ihr Glas sinken. »Frank. Ich habe ihm gesagt, ich wüsste, dass er nicht mehr dasselbe für mich empfinden könnte, ganz gleich, was seiner Meinung nach geschehen sei. Ich habe gesagt, ich würde in die Scheidung einwilligen; er müsste gehen und mich vergessen – das Leben fortsetzen, das er sich ohne mich aufzubauen begonnen hatte.«
»Aber er war nicht dazu zu bewegen«, sagte Roger. Es wurde jetzt kalt im Studierzimmer, weil die Sonne versank, und er bückte sich und schaltete den betagten elektrischen Radiator ein. »Weil du schwanger warst?«, riet er.
Sie warf ihm einen plötzlichen scharfen Blick zu, dann lächelte sie mit einem Hauch von Ironie.
»Ja, genau. Er hat gesagt, nur einem absoluten Schuft würde es auch nur im Traum einfallen, eine schwangere, praktisch mittellose Frau im Stich zu lassen. Schon gar nicht eine Frau, deren Realitätsempfinden ein wenig zu schwach zu sein schien«, fügte sie sarkastisch hinzu. »Ich war zwar nicht völlig mittellos – mein Onkel Lamb hatte mir etwas Geld hinterlassen –, aber Frank war auch kein Schuft.« Ihr Blick wanderte zu den Büchern ihres Mannes hinüber, deren Rücken im Licht der Schreibtischlampe glänzten.
»Er war ein sehr anständiger Mann«, sagte sie leise. Sie trank noch einen Schluck und schloss die Augen, um sich die Alkoholdämpfe in die Nase steigen zu lassen.
»Außerdem – hat er gewusst oder zumindest vermutet, dass er selbst keine Kinder zeugen konnte. Ein ziemlicher Schlag für einen Mann mit einer solchen Leidenschaft für Geschichte und Ahnenkunde. All diese dynastischen Studien …«
»Ja, ich verstehe«, sagte Roger langsam. »Aber fühlte er sich nicht … ich meine, das Kind eines anderen?«
»Möglich wäre es gewesen.« Die Bernsteinaugen hatten sich wieder auf ihn gerichtet, ihre Klarheit sacht gedämpft durch Whisky und Nostalgie. »So jedoch … Da er nichts von dem geglaubt hat – glauben konnte –, was ich ihm über Jamie erzählt habe, war der Vater des Babys im Prinzip unbekannt. Wenn er nicht wusste, wer der Mann war – und sich einredete, dass ich es eigentlich auch nicht wusste, sondern mir nur aufgrund eines traumatischen Schocks etwas zurechtgesponnen hatte –, nun, dann würde auch niemand je sagen, dass das Kind nicht von ihm war. Ich jedenfalls bestimmt nicht«, fügte sie mit einer Spur von Bitterkeit hinzu.
Sie trank einen großen Schluck Whisky, der ihr die Augen tränen ließ, und hielt einen Moment inne, um sich mit der Hand darüberzufahren.
»Aber um ganz sicherzugehen, hat er mich weit fortgebracht. Nach Boston«, fuhr sie fort. »Man hatte ihm eine gute Stelle in Harvard angeboten, und dort kannte uns niemand. Da ist Brianna zur Welt gekommen.«
Das klägliche Weinen weckte mich erneut. Ich war um halb sieben wieder ins Bett gegangen, nachdem ich im Lauf der Nacht fünfmal wegen des Babys aufgestanden war. Ein verschwommener Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es jetzt sieben Uhr war. Aus dem Bad kam fröhlicher Gesang, Franks Stimme, die das Geräusch des laufenden Wassers mit »Rule, Britannia« übertönte.
Ich lag halb gelähmt vor Erschöpfung im Bett und fragte mich, ob ich wohl die Kraft hatte, das Weinen zu ertragen, bis Frank aus der Dusche kam und mir Brianna bringen konnte. Als ob das Baby wüsste, was ich dachte, hob sich das Weinen um zwei oder drei Tonlagen und artete in eine Art periodisches Kreischen aus, das durch beängstigend krampfhaftes Luftholen unterbrochen wurde. Ich warf die Bettdecke zurück und war auf den Beinen, getrieben durch dieselbe Art von Panik, mit der ich im Krieg auf Luftangriffe reagiert hatte.
Ich wankte durch den kalten Flur ins Kinderzimmer, wo ich Brianna, die jetzt drei Monate war, auf dem Rücken fand, während sie sich die Kehle aus dem kleinen Körper brüllte. Ich war so benommen vor Schlafmangel, dass es einen Moment dauerte, bis ich begriff, dass ich sie auf dem Bauch schlafen gelegt hatte.
»Schätzchen! Du hast dich umgedreht! Ganz alleine!« Voller Angst vor der eigenen Courage fuchtelte Brianna mit ihren roten Fäustchen und kreischte noch lauter, die Augen fest geschlossen.