«Es ist wichtig«, sagte sie im Plauderton, sobald sie saß und Thomas alle Türen zentral verriegelt hatte,»daß man sich durch Gefahr nicht von seinen Vergnügungen abhalten läßt.«
«Mm «sagte ich neutral.
Sie lächelte reizend.»Sie, Kit, lassen das doch auch nicht zu.«
«Es sind die Vergnügungen, mit denen ich mein Brot verdiene.«
«Gefahr sollte einen also nicht von seiner Pflicht abhalten. «Sie seufzte.»So ausgedrückt, klingt es leicht spießig, was? Dabei treffen Pflicht und Vergnügen oft im Innersten zusammen, finden Sie nicht?«
Ich dachte darüber nach und fand, daß sie wahrscheinlich recht hatte. Sie war auf ihre Art keine schlechte Psychologin.
«Erzählen Sie mir von Cotopaxi«, verlangte sie und hörte zufrieden meinen Bericht; wenn ich innehielt, schob sie Fragen ein. Danach unterhielten wir uns über Kinley, ihr brillantes junges Hürdenpferd, und über Hillsborough, ihren anderen heutigen Starter, und erst als wir uns Newbury schon näherten, fragte ich sie, ob sie etwas dagegen hätte, wenn Thomas sie auf den Platz begleitete und den ganzen Nachmittag an ihrer Seite bliebe.
«Thomas?«meinte sie überrascht.»Aber er hält doch nichts vom Pferderennen. Das langweilt ihn, stimmt’s, Thomas?«
«Normalerweise schon, Madam«, sagte er.
«Thomas ist fähig und stark«, stellte ich fest,»und Monsieur de Brescou möchte, daß Sie den Renntag ungestört genießen.«
«Oh«, sagte sie bestürzt.»Wieviel… haben Sie Thomas erzählt?«
«Daß ich nach einem adlernasigen Frosch Ausschau halten soll, damit er Sie nicht ärgert, Madam«, sagte Thomas.
Sie war erleichtert, belustigt und anscheinend auch dankbar.
Daheim in London, ob sie es wußte oder nicht, opferte John Grundy seinen Samstagnachmittag, um bei Roland de Brescou zu bleiben, die Nummer der nächsten Polizeidienststelle fest in seinem Kopf.
«Die wissen schon, daß es Ärger geben könnte«, hatte ich ihm erklärt.»Wenn Sie anrufen, kommen sie sofort.«
John Grundy, robust für sein Alter, hatte lediglich bemerkt, er sei oft genug mit betrunkenen Streithähnen fertig geworden, ich solle ihm das getrost überlassen. Dawson, dessen Frau mit ihrer Schwester ausfuhr, hatte versichert, kein Fremder werde an ihm vorbei ins Haus kommen. Ich hielt es zwar für unwahrscheinlich, daß Nanterre noch einen Frontalangriff versuchen würde, aber es wäre dumm gewesen, bei offenen Türen eine Fehleinschätzung zu riskieren.
Thomas, mit seinen einsneunzig der perfekte Leibwächter, ging den ganzen Nachmittag einen Schritt hinter der Prinzessin, die sich meistens so verhielt, als wüßte sie von ihrem Schatten nichts. Sie hatte fünf Freunde zum Lunch eingeladen und deshalb auch ihre Nachmittagsgesellschaft nicht absagen wollen. Auf meinen Vorschlag hin bat sie die fünf, unter allen Umständen bei ihr zu bleiben und sie nur allein zu lassen, wenn sie es selbst verlangte.
Zwei von ihnen kamen vor dem ersten ihrer Rennen mit in den Führring, überragt von Thomas, und alle miteinander bildeten einen Schild, als sie zur Tribüne zurückging. Sie war ein viel naheliegenderes Angriffsziel als de Brescou selbst, dachte ich unbehaglich, ihren Abgang beobachtend, als ich mit Hillsborough auf die Bahn hinausritt. Ihr Mann würde niemals seine Ehre verkaufen, um das eigene Leben zu retten, aber um die entführte Gattin zu befreien… höchstwahrscheinlich schon.
Er konnte eine durch Drohungen erwirkte Unterschrift für ungültig erklären. Er konnte widerrufen, Lärm schlagen, konnte sagen:»Ich hatte keine Wahl. «Die Waffen würden dann vielleicht nicht hergestellt, doch sein Gesundheitszustand würde leiden, und sein Ruf konnte ruiniert sein. Besser vorbeugen als retten, sagte ich mir, aber hatte ich auch an alles gedacht?
Hillsborough fühlte sich in meinen Händen stumpf an, und als wir zum Start kanterten, wußte ich, daß er nicht viel bringen würde. Die Signale, die ein gut aufgelegtes, kampfbereites Pferd aussendet, fehlten völlig, und obwohl ich ihn nach dem Antritt aufzumuntern versuchte, war er so schwerfällig wie ein kalter Motor.
Er ging die meisten Hindernisse richtig an, verlor nach der Landung aber an Boden, weil er nicht schnell wieder anzog, und als ich ihn nach dem letzten Sprung zu beschleunigen versuchte, konnte oder wollte er nicht mehr und fiel noch hinter zwei Spurtstärkere zurück, so daß er als Achter von dem Zwölferfeld eintrudelte.
Es war nicht zu ändern; man kann nicht immer gewinnen. Dennoch war ich gereizt, als anschließend ein Offizier in den Waageraum kam und sagte, die Stewards wollten mich unverzüglich sprechen. Ich folgte ihm eher wütend als resigniert in den Raum der Rennleitung, und dort saß wie erwartet Maynard Allardeck mit zwei anderen an einem Tisch, so unparteiisch und vernünftig anzusehen wie ein Heiliger. Die Stewards sagten, sie wollten wissen, warum mein aussichtsreiches Pferd so schlecht gelaufen sei. Sie sagten, sie seien der Ansicht, ich hätte das Pferd nicht voll ausgeritten, mich nicht genügend um den Sieg bemüht, und ich möchte ihnen doch bitte eine Erklärung dafür geben.
Maynard war fast mit Sicherheit der Anstifter, aber nicht der Wortführer. Einer der anderen, ein Mann, den ich schätzte, hatte zur Eröffnung gesagt:»Mr. Fielding, erklären Sie uns bitte die schwache Darbietung von Hillsborough.«
Er war vor Zeiten selbst als Amateur geritten, und ich sagte ihm einfach, daß mein Pferd sich anscheinend nicht wohlgefühlt und keinen Spaß an der Sache gehabt hätte. Es sei schon plattfüßig an den Start gegangen, und im weiteren Verlauf hätte ich ein- oder zweimal daran gedacht, es ganz aus dem Rennen zu nehmen.
Der Steward warf einen Blick auf Allardeck und sagte zu mir:»Warum haben Sie nach dem letzten Hindernis nicht die Peitsche benutzt?«
Die Floskel» ein totes Pferd spornen «drängte sich mir fast unwiderstehlich auf, aber ich sagte nur:»Ich habe ihm eine Menge Zeichen gegeben, das Tempo zu verschärfen, leider konnte er nicht. Schläge hätten daran nichts geändert.«
«Es hatte den Anschein, als ob Sie ihm ein leichtes Rennen geben«, sagte er, aber ohne die Kampflust der Überzeugung.»Wie erklären Sie sich das?«
Einem Pferd ein leichtes Rennen geben, das war eine Umschreibung für» nicht zu gewinnen versuchen «oder schlimmer noch» versuchen nicht zu gewinnen«, eine Sache, die einen die Lizenz kosten konnte. Ich sagte mit einigem Nachdruck:»Prinzessin Casilias Pferde, Mr. Harlowes Pferde geben immer ihr Bestes. Hillsborough hat sein Bestes gegeben, aber er hatte einen schlechten Tag.«
Eine Spur von Belustigung lag in den Augen des Stewards. Er wußte wie jeder andere im Rennsport, was zwischen den Fieldings und den Allardecks ablief. Ein halbes Jahrhundert lang hatten Stewards die heftigen Anschuldigungen untersucht, die Maynards Vater von meinem Großvater entgegengeschleudert wurden und meinem Großvater von Maynards Vater, als sie beide noch in Newmarket Flachpferde trainierten. Das einzig Neue an dem alten Kampf war, daß inzwischen ein Allardeck auf der Machthab er seite des Tisches saß — bestimmt sehr erheiternd für alle, außer für mich.
«Wir nehmen Ihre Erklärung zur Kenntnis«, bemerkte der Steward trocken und sagte mir, ich könne gehen.
Ich ging, ohne Maynard direkt anzusehen. Zweimal innerhalb von zwei Tagen war ich ihm aus dem Netz geschlüpft. Er sollte nicht meinen, daß ich mich hämisch darüber freute. Ich kehrte schnell in den Umkleideraum zurück, um die Farben der Prinzessin mit dem Dreß eines anderen Besitzers zu tauschen und mich wiegen zu lassen, kam aber trotzdem für das nächste Rennen zu spät in den Führring (und auch dafür konnte eine Geldbuße verhängt werden).