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«Natürlich muß ich hin. Der arme Wykeham braucht doch jetzt Trost. Ich fände es verkehrt, wenn ich nicht fahren würde.«

Wykeham brauchte den Trost zwar weniger als sie, aber um halb neun waren wir unterwegs; die Prinzessin mit Lippenstift und Thomas friedfertig wie immer, obwohl sein freier Tag hinüber war. Mein Angebot, den Rolls an seiner Stelle zu fahren, hatte er abgelehnt wie einen unsittlichen Antrag.

Wykehams Niederlassung, eine Autostunde südlich von London, lag außerhalb eines kleinen Ortes an einem Hang der Sussex Downs. Weitläufig und verschachtelt, war sie im Lauf eines Jahrhunderts planlos vergrößert worden, und für Pferdebesitzer war sie reizvoll wegen ihres Labyrinths von unerwarteten kleinen Stallhöfen, mit jeweils acht bis zehn Boxen und mit Stechpalmen in rotbemalten Tonnen. Für das Stallpersonal bedeutete das malerische Wirrsal viel Lauferei, viel vergeudete Zeit.

Die Pferde der Prinzessin waren auf fünf von den Höfen verteilt, keinen nahmen sie ganz ein. Wie viele andere Trainer verstreute Wykeham lieber die Pferde eines Besitzers, anstatt sie alle zusammenzuziehen, und zufällig waren Cascade und Cotopaxi die einzigen aus dem Besitz der Prinzessin gewesen, die in dem Hof direkt an der Einfahrt gestanden hatten.

Man mußte auf einem zentralen Platz parken und durch überwölbte Torwege auf die Höfe gehen, und als er unseren Wagen hörte, kam Wykeham uns aus dem ersten Hof entgegen.

Er sah mit jeder Woche älter aus, dachte ich unbehaglich, als er spitzbübisch die Hand der Prinzessin küßte. Er flirtete immer halb mit ihr, mit zwinkernden Augen und den Überresten eines ehemals vitalen Charmes, aber an diesem Morgen wirkte er einfach verstört. Sein weißes Haar flatterte, als er den Hut abnahm, seine dünnen, alten Hände zitterten.

«Mein lieber Wykeham«, sagte die Prinzessin beunruhigt.»Sie sehen so verfroren aus.«

«Kommen Sie ins Haus. Das ist am besten. «Er schlug den Weg ein.

Die Prinzessin zögerte.»Sind meine armen Pferde noch hier?«

Er nickte unglücklich.»Der Doktor ist bei ihnen.«

«Dann sehe ich sie mir, glaube ich, mal an«, sagte sie einfach und ging mit festen Schritten auf den Hof. Wykeham und ich versuchten nicht, sie zurückzuhalten, sondern folgten ihr.

Die Türen von zwei Boxen standen offen, ihr Inneres von blassem Lampenschein beleuchtet, obwohl es draußen taghell war. Alle anderen Boxen waren fest geschlossen, und Wykeham sagte:»Wir haben die anderen Pferde hiergelassen. Anscheinend sind sie nicht beunruhigt, weil kein Blut geflossen ist… das würde sie nämlich aufregen.«

Die Prinzessin, die nur halb zuhörte, ging etwas langsamer dort hinüber, wo ihre Pferde auf dem dunkelbraunen Torf am Boden der Stallboxen lagen, ihre Leiber stumme Buckel, die ganze blitzende Geschwindigkeit dahin.

Sie waren in ihren Schlafdecken gestorben, doch entweder der Tierarzt oder Wykeham oder die Pfleger hatten sie ihnen abgenommen und zusammengerollt an die Wand gelehnt. Wir sahen schweigend auf das dunkel schimmernde Haarkleid von Cascade und auf das schneegesprenkelte Braun von Cotopaxi.

Robin Curtiss, der lange, jungenhaft schlaksige Tierarzt, war der Prinzessin bereits an dem einen oder anderen Morgen begegnet und mir schon öfter. Bekleidet mit einem grünen Overall, nickte er uns beiden zu und entschuldigte sich dafür, daß er uns nicht die Hand gab; er müsse sich erst waschen.

Die Prinzessin erwiderte seinen Gruß und fragte gleich darauf gefaßt:»Bitte… wie sind sie gestorben?«

Robin Curtiss warf einen Blick auf Wykeham und mich, aber wir mochten ihn beide nicht von der Antwort abhalten, und so schaute er wieder die Prinzessin an und sagte es ihr geradeheraus.

«Ma’am, sie sind erschossen worden. Sie haben nichts davon gemerkt. Sie wurden mit einem Bolzenschußapparat getötet.«

Kapitel 6

Cascade lag quer ausgestreckt in der Box, sein Kopf im Schatten, aber nicht weit von der Tür. Robin Curtiss trat auf die Torfstreu, bückte sich und hob das schwarze Stirnhaar an, das zwischen den Ohren des Pferdes nach vorn fiel.

«Man kann es nicht deutlich sehen, Madam, weil er so dunkel ist, aber an dieser Stelle, direkt unter der Stirnlok-ke, ist der Bolzen eingedrungen. «Er richtete sich auf, wischte seine Finger an einem Taschentuch.»Unauffällig«, sagte er.»Man entdeckt nur, was passiert ist, wenn man danach sucht.«

Die Prinzessin wandte sich mit tränenglitzernden Augen, aber ruhigem Gesicht von ihrem toten Pferd ab. Sie blieb einen Moment an der Tür der angrenzenden Box stehen, wo Cotopaxis Hinterhand am nächsten lag, sein Kopf praktisch außer Sicht, nahe der Krippe.

«Bei ihm das gleiche«, sagte Robin Curtiss.»Unter der Stirnlocke, fast unsichtbar. Es war gekonnt, Madam. Sie haben nicht gelitten.«

Sie nickte, legte dann schluckend, unfähig zu sprechen, eine Hand auf Wykehams Arm und winkte mit der anderen nach dem Hofeingang und dem Haus. Robin Curtiss und ich sahen zu, wie sie fortgingen, und er seufzte mitfühlend.

«Die arme Frau. Es ist immer ein schwerer Schlag.«

«Man hat sie umgebracht«, sagte ich.»Das macht es schlimmer.«

«Klar, die sind umgebracht worden. Wykeham hat die Polizei verständigt, obwohl ich ihm sagte, das sei nicht unbedingt notwendig. Die Rechtslage ist im Hinblick auf das Töten von Tieren sehr unklar. Aber weil sie Prinzessin Casilias Eigentum waren, hielt er es wohl für das beste. Und was ihm auf den Nägeln brennt, er will möglichst bald die Kadaver wegschaffen, aber wir wissen nicht, wie es mit der Versicherung steht. ob sie in so einem Fall erst benachrichtigt werden muß… und es ist doch Sonntag. «Er rief sich zur Ordnung und sagte zusammenhängender:»Solche Wunden sieht man nur noch selten.«

«Wie meinen Sie das?«fragte ich.

«Unverlierbare Geschosse sind ein alter Hut. Sie werden kaum noch benutzt.«

«Unverlierbare Geschosse?«

«Der Bolzen. >Unverlierbar<, weil er nicht aus dem Apparat herausfliegt, sondern wieder zurückschnellt. Das wissen Sie doch wohl?«

«Ja. Ich meine, ich weiß, daß der Bolzen zurückspringt. Ich habe vor Jahren mal einen aus der Nähe gesehen. Ich wußte nicht, daß sie veraltet sind. Was nimmt man denn jetzt?«

«Sie müssen doch schon mal gesehen haben, wie ein Pferd getötet wird«, sagte er erstaunt.»Es kommt ja auf der Rennbahn schließlich vor, daß ein Galopper sich ein Bein bricht.«

«Ich habe das nur zweimal erlebt«, sagte ich.»Und beide Male habe ich meinen Sattel abgenommen und bin weggegangen.«

Ich merkte, wie ich darüber nachdachte, es zu erklären versuchte.»Gerade noch ist man der Partner dieses großen Geschöpfes gewesen, und vielleicht hat man es gern, und im nächsten Moment soll es sterben… Da wollte ich eben nicht dabeistehen und zuschauen. Es erscheint Ihnen vielleicht seltsam, zumal ich ja in einem Rennstall aufgewachsen bin, aber ich habe noch nie mitangesehen, wie der Bolzenschußapparat an den Kopf gesetzt wird, und ich hatte mir irgendwie vorgestellt, daß man von der Seite schießt, quasi durch die Schläfe.«

«Tja«, sagte er, immer noch überrascht und ein wenig belustigt,»dann können Sie noch was lernen. Gerade Sie. Schauen Sie her«, sagte er,»schauen Sie auf Cotopaxis Kopf. «Er stieg vorsichtig über die steifen braunen Beine hinweg, bis er mir das Gewünschte zeigen konnte. Cotopaxis Augen waren halb offen und trüb, und mochte Robin Curtiss auch völlig unberührt sein, für mich war die Szene längst nichts Alltägliches.

«Ein Pferdehirn ist nur so groß wie eine Faust«, sagte er.»Ich nehme an, das wissen Sie?«

«Ja, ich weiß, daß es klein ist.«

Er nickte.»Der größte Teil des Pferdeschädels ist leer, lauter Nebenhöhlen. Das Gehirn sitzt oben zwischen den Ohren, über dem Genick. Der Knochen ist in diesem Bereich ziemlich massiv. Nur an der einen Stelle können Sie sicher sein, daß der Bolzen seine Aufgabe erfüllt. «Er hob Cotopaxis Stirnlocke an und wies auf eine kleine Verfilzung in dem hellen Haar.»Man denkt sich eine Linie vom rechten Ohr zum linken Auge«, sagte er,»und eine Linie vom linken Ohr zum rechten Auge. Wo sich die Linien schneiden, ist der beste… mehr oder minder der einzige Zielpunkt. Und sehen Sie? An genau der Stelle ist der Bolzen bei Cotopaxi eingedrungen. Das war nicht irgendein Zufallstreffer. Wer das getan hat, der kennt sich aus.«