Für Kinley würde er noch nicht so viel empfinden, dachte ich. Kinley, der aufgehende Stern, jung und sprühend. Kinley war ein Wunderding, kein alter Kumpel.
«Passen Sie auf Kinley auf«, sagte ich.
«Ja, ich habe ihn verlegt. Er ist in der Eckbox.«
Die Eckbox, die immer als letzte in Anspruch genommen wurde, war nicht direkt von irgendeiner Stallgasse aus zu erreichen, sondern nur über eine andere Box. Ihre Lage war für die Pfleger zwar ärgerlich, aber es war auch der versteckteste und sicherste Platz im Stall.
«Großartig«, sagte ich erleichtert,»und jetzt, was ist mit morgen?«
«Morgen?«
«Die Rennen in Plumpton.«
Eine kurze Pause entstand, während er seine Gedanken ordnete. Er stellte immer einen Schwung Pferde für Plumpton auf, weil es eine der nächstgelegenen Bahnen war, und soviel ich wußte, sollte ich sechs von ihnen reiten.
«Dusty hat eine Liste«, sagte er schließlich.
«Okay.«
«Reiten Sie sie, wie es Ihnen am besten erscheint.«
«Alles klar.«
«Dann gute Nacht, Kit.«
«Gute Nacht, Wykeham.«
Zumindest hatte er mich beim richtigen Namen genannt, dachte ich, als ich auflegte. Vielleicht würden dann auch genau die richtigen Pferde in Plumpton ankommen.
Ich fuhr am nächsten Morgen mit dem Zug hin, und während die Kilometer vorbeirauschten, war ich froh, von dem Haus am Eaton Square fort zu sein. Ein Abend mit Beatrice de Brescou Bunt hatte mir, wenn auch abgeschwächt durch die Prinzessin, Litsi und Danielle, Perspektiven anstrengender Geselligkeit eröffnet, auf die ich gern verzichtete. Ich hatte mich unter den unverhüllt tadelnden Blicken der anderen zeitig zurückgezogen, aber selbst im Schlaf war mir, als hörte ich diese aufdringlich nörgelnde Stimme.
Als ich am Morgen aufgebrochen war, hatte Litsi gesagt, er wolle den größten Teil des Tages bei Roland verbringen, wenn John Grundy fort sei. Die Prinzessin und Danielle würden sich um Beatrice kümmern. Danielle, die bei ihrem Fernsehnachrichtensender Spätdienst hatte, würde kurz nach halb sechs alles weitere der Prinzessin überlassen müssen. Ich hatte versprochen, sobald wie möglich von Plumpton wiederzukommen, aber ehrlich gesagt war ich dankbar, als mir ein triftiger Grund geliefert wurde, das nicht zu tun, und zwar in Gestalt einer Nachricht, die mich im Waageraum erwartete. Sie kam von dem Boxenmanager der Rennbahn in Newbury; er bat mich, meinen Wagen dort wegzuholen, wo ich ihn hatte stehenlassen, da der Platz dringend für andere Zwecke benötigt wurde.
Ich rief am Eaton Square an. Zufällig meldete sich Danielle. Ich erklärte die Sache mit dem Wagen.»Ich lasse mich von jemand nach Newbury mitnehmen. Es wird aber besser sein, wenn ich dann bei mir in Lambourn übernachte, weil ich morgen in Devon starte. Entschuldigst du mich bei der Prinzessin? Sag ihr, ich komme morgen abend nach dem Rennen wieder, wenn’s ihr recht ist.«
«Deserteur«, sagte Danielle.»Du hörst dich verdächtig zufrieden an.«
«Von der Entfernung her ist es schon sinnvoll«, betonte ich.
«Das kannst du deiner Großmutter erzählen.«
«Gib auf dich acht«, sagte ich.
Sie sagte zögernd, mit einem Seufzer:»Ja«, und legte auf. Manchmal war es, als wäre alles unverändert zwischen uns, und dann, nach einem Seufzer, war es doch nicht so.
Ohne besondere Lust machte ich mich auf die Suche nach Dusty, der die richtigen Pferde, die richtigen Rennfarben für mich und eine schlechte Meinung von dem Kriminalbeamten mitgebracht hatte, weil der die Pfleger ausgerechnet verhören mußte, während sie arbeiteten. Es wüßte sowieso keiner was, sagte Dusty, und die Pfleger seien in der Stimmung, jeden herumstreichenden Fremden zu lynchen. Der Futtermeister (nicht Dusty, der war für Reisen zuständig) hatte wie gewohnt am Samstagabend die Höfe kontrolliert, und da schien alles ruhig zu sein. Er hatte nicht in alle achtzig Boxen einen Blick geworfen, nur in zwei, deren Insassen es nicht gut ging, und bei Cascade oder Cotopaxi war er nicht gewesen. Er hatte bei Kinley und Hillsborough nachgesehen, ob sie nach dem Rennen wieder gefressen hatten, und war nach Hause schlafen gegangen. Was konnte man noch mehr tun? wollte Dusty wissen.
«Niemand macht irgendwen verantwortlich«, sagte ich.
Er sagte dunkeclass="underline" »Noch nicht«, und nahm meinen Sattel mit, um ihn für das erste Rennen auf das richtige Pferd zu packen.
Wir zogen den Nachmittag wie so oft zu zweit auf. Er sattelte und präsentierte die Pferde, ich ritt sie, und beide leisteten wir Öffentlichkeitsarbeit bei den verschiedenen Besitzern — gratulieren, trösten, erklären und entschuldigen. Es wurde ein typischer Tag mit zwei Siegen, einem zweiten Platz, zwei Fernerliefen und einem Sturz, letzterer mit weicher Landung und unproblematisch.
«Schönen Dank, Dusty«, sagte ich zum Schluß.»Danke für alles.«
«Was heißt das?«fragte er argwöhnisch.
«Es sollte nur heißen, daß sechs Rennen für Sie viel Arbeit sind und daß alles gut gelaufen ist.«
«Es wäre noch besser gelaufen, wenn Sie im fünften nicht runtergefallen wären«, sagte er bissig.
Ich war nicht runtergefallen. Das Pferd war glatt unter mir zu Boden gegangen, seine Nummerndecke hatte Grasflecke bekommen. Dusty wußte das ganz genau.
«Na ja«, sagte ich.»Trotzdem vielen Dank.«
Er nickte mir ernst zu, bevor er davoneilte; und in grundsätzlicher Uneinigkeit würden wir zweifellos auch am nächsten Tag in Newton Abbot und am übernächsten in Ascot zusammenwirken, ein eingespieltes, aber kaltes Team.
Zwei andere Jockeys, die in Lambourn wohnten, nahmen mich mit nach Newbury, und ich holte meinen Wagen dort von seinem Dauerstellplatz ab und fuhr heim zu meinem Haus auf dem Hügel.
Ich machte Feuer im Kamin, um Gemütlichkeit herbeizuzaubern, aß ein Brathähnchen und rief Wykeham an.
Er hatte wieder einen aufreibenden Tag hinter sich. Die Versicherungsleute hatten seine Schutzmaßnahmen ange-zweifelt, die Kriminalpolizei hatte alle Pfleger verärgert, und der Hundeführer war vom Futtermeister, als der um sechs Uhr früh zur Arbeit kam, schlafend auf dem Heuboden entdeckt worden. Wykeham hatte Weatherbys, das Sekretariat des Jockey-Clubs, vom Tod der Pferde unterrichtet (eine Pflicht), und den ganzen Nachmittag hatte ihn das Telefon genervt, da eine Zeitung nach der andern sich erkundigte, ob sie tatsächlich umgebracht worden seien.
Zu guter Letzt, sagte er, hatte die Prinzessin angerufen. Sie habe den Besuch bei ihren Freunden in Newton Abbot abgesagt und werde sich auch ihre Pferde dort nicht ansehen; er möchte mir bitte ausrichten, ihr sei sehr daran gelegen, daß ich, sobald ich könnte, wieder zum Eaton Square käme.
«Was ist denn da los?«fragte Wykeham ohne direkte Neugierde.»Sie klingt anders als sonst.«
«Ihre Schwägerin ist unerwartet zu Besuch gekommen.«
«So?«Er verfolgte es nicht weiter.»Gratuliere zu den Siegen heute.«
«Danke. «Ich erwartete im Anschluß daran zu hören, daß Dusty gesagt habe, ich sei vom Pferd gefallen, aber ich hatte mich in dem alten Brummbär geirrt.»Dusty sagt, Tor-quil hat sich im fünften hingelegt. Alles klar mit Ihnen?«
«Nicht ein Kratzer«, sagte ich ziemlich erstaunt.
«Gut. Nun also zu morgen.«
Wir besprachen die Rennen des nächsten Tages und wünschten uns schließlich gute Nacht, und er sagte Kit zu mir, jetzt schon zum zweitenmal hintereinander. Wenn sich die Lage normalisierte, würde ich es wohl daran erkennen, daß er mich wieder Paul nannte.
Ich spulte die Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter ab und stellte fest, daß es vorwiegend Variationen von den Anrufen waren, die Wykeham bekommen hatte. Eine ganze Kolonne von Presseleuten wollte wissen, wie ich den Verlust von Cotopaxi empfand. Schon gut, daß ich darüber nicht hatte reden müssen.