Ein Trainer aus Devon fragte an, ob ich in Newton Abbot zwei für ihn reiten könnte, sein Jockey sei verletzt. Ich schlug die Pferde im Leistungsbuch nach, gab ihm die telefonische Zusage und ging friedlich ins Bett.
Das Telefon weckte mich gegen halb drei.
«Hallo«, sagte ich schläfrig und schielte nach der unwillkommenen Nachricht auf meine Armbanduhr.»Wer ist denn da?«»Kit…«
Ich wurde im Bruchteil einer Sekunde hellwach. Es war Danielles Stimme, sehr beunruhigt.
«Wo bist du?«sagte ich.
«Ich… oh… ich brauche… ich bin in einem Shop.«
«Hast du >Schock< oder >Shop< gesagt?«
«Oh. «Sie schluckte hörbar.»Es stimmt wohl beides.«
«Was ist passiert? Hol mal tief Luft. Erzähl es mir langsam.«
«Ich bin um zehn nach. zehn nach zwei aus dem Studio gekommen… und bin losgefahren. «Sie brach ab. Sie arbeitete immer bis um zwei, dann machten die amerikanischen Nachrichtensammler allgemein Feierabend, und sie fuhr mit ihrem kleinen Ford nach Hause, zu der Garage hinter dem Eaton Square, wo Thomas auch den Rolls unterstellte.
«Weiter«, sagte ich.
«Es schien, als ob mir ein Auto folgte. Dann hatte ich eine Reifenpanne. Ich mußte anhalten. Ich…«sie schluckte wieder.»Ich sah, daß zwei Reifen platt waren. Und der andere Wagen hielt an, und ein Mann stieg aus… Er war. vermummt.«
Guter Gott, dachte ich.
«Ich bin weggerannt«, sagte Danielle, hörbar bemüht, nicht hysterisch zu werden.»Er kam hinter mir her… Ich bin gerannt und gerannt… ich sah den Laden hier… er hat die ganze Nacht geöffnet… da bin ich schnell rein. Aber dem Mann hier paßt das nicht. Er hat mir erlaubt zu telefonieren, aber ich habe kein Geld, meine Tasche und mein Mantel liegen im Auto… und ich weiß nicht, was ich machen soll.«
«Du tust folgendes«, sagte ich,»du bleibst da, bis ich bei dir bin.«»Ja, aber… der Mann hier will das nicht… und irgendwo da draußen… Ich kann nicht… ich kann einfach nicht rausgehen. Ich komme mir so blöd vor… aber ich hab Angst.«
«Dazu hast du auch guten Grund. Ich komme sofort. Gib mir mal den Mann da im Laden. und keine Sorge, ich bin in weniger als einer Stunde dort.«
Sie sagte leise:»Gut«, und Sekunden später meldete sich eine asiatisch klingende Stimme:»Hallo?«
«Meine Freundin«, sagte ich,»braucht Ihre Hilfe. Es ist kalt draußen. Geben Sie ihr etwas Warmes zu trinken, machen Sie es ihr gemütlich, bis ich komme, und ich bezahle Ihnen das.«
«In bar«, sagte er kurz und bündig.
«Ja, in bar.«
«Fünfzig Pfund«, sagte er.
«Dafür«, meinte ich,»kümmern Sie sich aber wirklich gut um sie. Und jetzt geben Sie mir Ihre Adresse. Wo finde ich Sie?«
Er erklärte den Weg und sagte mir ernst, er werde sich um die Dame kümmern, ich brauchte mich nicht zu beeilen, aber ich solle an das Geld denken, und ich versicherte ihm nochmals, daß ich das tun würde.
Ich zog mich an, warf ein paar Kleider in eine Tasche, schloß das Haus ab und brach den Geschwindigkeitsrekord nach London. Nachdem ich zwei- bis dreimal falsch abgebogen war und eine unwillige Stricherin befragt hatte, fand ich die Straße und die dunkle Ladenzeile mit dem einen hellen Schaufenster nahe der U-Bahn-Station am anderen Ende. Ich hielt mit einem Ruck auf gelben Doppelstreifen und ging hinein.
Der» Shop «war ein schmaler Mini-Supermarkt mit einer gläsernen Imbißtheke bei der Tür, der ganze übrige Raum vollgepackt mit Lebensmitteln, die zart nach Gewürzen dufteten. Zwei Kunden suchten sich gerade warme Speisen aus, ein dritter, weiter hinten im Laden, studierte Konservendosen, aber von Danielle war nichts zu sehen.
Der bedienende Asiat, rundlich, rundgesichtig, drogenschwere Augen, warf mir einen flüchtigen Blick zu, als ich hereingehastet kam, und widmete sich wieder den von seinen Kunden ausgesuchten Chapatis und Samosas, die er methodisch mit einer Zange pflückte.
«Die junge Dame«, sagte ich.
Er tat, als hätte er es nicht gehört, schlug die Ware ein, rechnete den Preis zusammen.
«Wo ist sie?«beharrte ich und hätte ebensogut schweigen können. Der Asiat unterhielt sich mit seinen Kunden in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte, nahm ihr Geld entgegen, gab heraus, wartete, bis sie gegangen waren.
«Wo ist sie?«drängte ich, allmählich besorgt.
«Geben Sie mir das Geld. «Seine Augen sprachen beredt davon, wie nötig er es brauchte.»Sie ist in Sicherheit.«
«Wo?«
«Im Hinterzimmer, durch die Tür. Geben Sie mir das Geld.«
Ich gab ihm, was er verlangt hatte, ließ ihn nachzählen und sprintete fast durch den Laden. Ich kam zu einer Rückwand, die bis zur Decke vollgestellt war wie der Rest, und fühlte hellen Zorn aufsteigen, bevor ich sah, daß auch die Tür als Gestell und Regal diente.
In einer kleinen Lücke zwischen Kaffeetüten entdeckte ich den Türgriff, packte ihn, drehte ihn, stieß die Tür auf. Sie führte in einen Raum, in dem sich weitere Lebensmittel in braunen Kartons türmten, so daß nur wenig Platz für einen Schreibtisch, einen Stuhl und einen Elektroofen mit einer einzigen Rippe blieb.
Danielle saß auf dem Stuhl, in einen großen, dunklen Herrenmantel gekuschelt, um sich an dem dürftigen Heizofen zu wärmen, und starrte ins Leere.
«Tag«, sagte ich.
Der Ausdruck unendlicher Erleichterung in ihrem Gesicht war vermutlich so gut wie ein leidenschaftlicher Kuß, den ich allerdings nicht bekam. Aber sie stand auf und ließ sich in meine Arme gleiten, als komme sie nach Hause, und ich hielt sie fest, ohne durch den dicken Mantel viel von ihr zu spüren, roch den moschusartigen Duft des dunklen Stoffes, streichelte Danielles Haar und atmete tief vor Zufriedenheit.
Nach einer Weile löste sie sich langsam, obwohl ich stundenlang so hätte stehenbleiben können.
«Bestimmt hältst du mich für blöd«, sagte sie zittrig, schnüffelte und wischte sich mit den Fingerknöcheln über die Augen.»Für eine dumme Gans.«
«Weit gefehlt.«
«Ich bin froh, dich zu sehen. «Es war aufrichtig, eine Tatsache.
«Dann komm«, sagte ich, tief getröstet.»Am besten gehen wir.«
Sie schlüpfte aus dem übergroßen Mantel, legte ihn auf den Stuhl und zitterte leicht in ihrem Pullover. Die Kälte des Schocks, dachte ich, denn weder in dem Laden noch im Lagerraum war es wirklich kalt.
«Ich habe eine Decke im Wagen«, sagte ich.»Dann fahren wir erst mal deinen Mantel holen.«
Sie nickte, und wir gingen durch das Geschäft nach vorn.
«Vielen Dank«, sagte ich dem Asiaten.
«Haben Sie die Heizung abgedreht?«wollte er wissen.
Ich schüttelte den Kopf. Er sah verärgert aus.
«Gute Nacht«, sagte ich, und Danielle sagte:»Danke schön.«
Er blickte uns aus den drogenschweren Augen an und erwiderte nichts, und nach ein paar Sekunden ließen wir ihn allein und gingen über den Bürgersteig zum Wagen.
«Er war gar nicht verkehrt«, sagte Danielle, als ich ihr die Decke um die Schultern legte.»Er hat mir Kaffee von der Imbißtheke gegeben und mir auch was zu essen angeboten, aber ich hätte nichts runtergebracht.«
Ich schloß die Beifahrertür, ging außen herum und glitt neben ihr hinter das Steuer.
«Wo steht dein Wagen?«sagte ich.
Sie hatte Mühe, sich zu erinnern, aber das war kein Wunder nach der Aufregung ihrer Flucht.
«Ich war, glaube ich, zwei Meilen gefahren, als ich merkte, daß ich einen Platten hatte. Ich bin von der Schnellstraße runter. Wenn wir nochmal in Richtung Studio fahren… aber ich weiß nicht mehr.«
«Wir finden ihn«, sagte ich.»Du kannst nicht weit gelaufen sein.«